Jesus bei den wilden Tieren in der Wüste, bei Viechern, die mit dem Menschen alles andere als in Frieden leben! Wie sie ihm zusetzten oder ängstigten, und wie er mit ihnen umging, lässt der Erzähler auch hier mit Bedacht offen. Nur nicht, dass er eben auch bei ihnen war – Schlangen, Skorpionen, Aasfressern, Bestien, die einem Menschen schwer zu schaffen machen können. Jesus auch bei ihnen, wie er auch beim Satan war. Dass für die wilden Tiere in der Wüste mit Jesu Kommen zu ihnen messianische Zeiten anbrachen, wie sie Jes 11, 6–8 geschildert werden, wollte der Evangelist an dieser Stelle wohl nicht gesagt haben. Ihm ging es um den Messias in seiner Versuchung oder Erprobung durch sie, nicht um die Änderung der Natur der Tiere.
Vierzig Tage hält es kein Mensch unbeschadet in der Wüste aus. Auch Jesus nicht. Und so ist zum Schluss vermerkt, dass er dort dennoch nicht ums Leben kam, weil Engel ihm wiederholt dienten . 5Wohl mit Speise und Trank jeweils zur rechten Zeit. Hier etwas und dort etwas, was Engel in der Wüste so zu bieten haben. Himmlische Bankette, die ihm die Engel bereitet hätten, sind da sicher nicht gemeint. In der Bereitstellung von Lebensmitteln erschöpfte sich ihr Dienst. Weder sollten sie seine Versuchungen mit ihm teilen noch mit ihm dagegen ankämpfen.
Was auch immer in der Wüste geschah, in die Gottes Geist Jesus geführt und ihn dem Satan und den wilden Tieren ausgesetzt hatte, eines jedenfalls ist nicht geschehen: dass er von dort als Gottes- und Menschenfeind wiederkam. Weder als Klagender noch als Anklagender, weder als wildes Tier noch als verängstigter Mensch kehrte er aus der Wüste zurück. Nicht geschwächt kam er zurück, obwohl er ihnen ausgesetzt war, sondern gestärkt und gereift.
Danach aber, als Johannes ausgeliefert war, kam Jesus nach Galiläa, das Evangelium Gottes verkündigend wie folgt: »Die Zeit ist erfüllt, und die Herrschaft Gottes ist nahe. Ändert euren Sinn und glaubt an das Evangelium« (Mk 1,14f)!
1Unterstreichungen im nachfolgenden Text markieren Berührungen mit der Logienquelle Q, die der zweite Evangelist gekannt hat. Q wird nach Lk zitiert.
2Sie wird in Jes 40, 3 [hebr] genannt, worauf Mk 1, 3 sich bezieht, und bezeichnet ein Gebiet, in dem einstmals auch der Prophet Elia wirkte und am Ende mit feurigem Wagen und feurigen Pferden in einem Wirbelwind in den Himmel aufgenommen wurde (vgl. 1 Kön 2,1ff). Zur Bedeutung Elias im Markusevangelium vgl. 6,15; 8, 28; 9, 4f.11–13; 15, 35f.
3Nach Q 4,1ff wurde der in der Wüste vierzig Tage nichts zu essen habende Jesus vom Teufel ermutigt, sich selbst mit einem Wunder von seinem Hunger zu befreien, allerlei fromme Werke zu tun und dabei Gott blindlings zu vertrauen.
4»Eva weinte und sprach: ›Wehe, wehe, wenn ich komme zum Tag der Auferstehung, werden mich alle, die gesündigt haben, verfluchen und sagen: Eva hat das Gebot Gottes nicht gehalten‹« (ApkMos 10, 2). In anderer Version: »Wehe mir Armen, dass ich verflucht bin, weil ich die Gebote des Herrn nicht gehalten habe« (VitAd 37, 2).
5Zum Dienst eines Engels für den Propheten Elia vgl. 1 Kön 19, 4–7.
Jesu Kommen nach Kapharnaum
Markus 1, 21–31.32–34
21–22 Einleitung
23–28 Die Entgeisterung eines Besessenen
29–31 Die Heilung der Schwiegermutter des Petrus
32–34 Erster Bericht vom Andrang der Menschen
21 Und sie wandern hinein nach Kapharnaum.
Und gleich am Sabbat,
nachdem er in die Synagoge hineingegangen war,
begann er zu lehren.
22 Und sie gerieten außer sich wegen seiner Lehre,
denn er lehrte sie wie einer, der Vollmacht hat,
und nicht wie die Schriftgelehrten.
23 In ihrer Synagoge war da gerade
ein Mensch mit einem unreinen Geist,
und er schrie auf,
24 sagend:
» Was (ist mit) uns und dir
(Ri 11,12; 1 Kön 17,18; 2 Kön 3,13; vgl. Mk 5, 7),
Jesus, Nazarener?
Ich weiß, wer du bist,
der Heilige Gottes!«
25 Doch Jesus fuhr ihn an,
sagend:
»Verstumme
und geh heraus aus ihm!«
26 Da ging der unreine Geist heraus aus ihm,
wobei er ihn (hin und her) zerrte
und mit lauter Stimme rief.
27 Und sie erschraken alle zusammen,
so dass sie miteinander disputieren,
sagend:
»Was ist dies?«
»Eine neue Lehre in Vollmacht!«
»Den unreinen Geistern befiehlt er,
und sie gehorchen ihm.«
28 Und die Kunde von ihm ging aus sogleich
überallhin in das ganze Umland Galiläas.
29 Als sie aus der Synagoge hinausgegangen waren,
gleich kamen sie mit Jakobus und Johannes
in das Haus von Simon und Andreas.
30 Die Schwiegermutter Simons aber lag fiebernd,
und sogleich sagen sie ihm von ihr.
31 Nachdem er herzu getreten
und die Hand ergriffen hatte,
richtete er sie auf.
Da verließ sie das Fieber,
und sie begann ihnen zu dienen.
32 Am Abend aber, als die Sonne unterging,
brachten sie zu ihm all die Kranken und die Besessenen.
33 Die ganze Stadt war da versammelt vor der Tür.
34 Und er heilte viele Kranke mit verschiedenen Krankheiten
und trieb viele Dämonen aus.
Doch den Dämonen gestattete er nicht zu reden,
denn sie kannten ihn.
Und sie wandern hinein nach Kapharnaum . Jesus ist mit seinen Jüngern, den Brüderpaaren Simon (Beiname Petrus, vgl. 3,16) und Andreas sowie Jakobus und Johannes, mit Fischern, die er am Galiläischen See (See von Gennesaret) von ihrer Arbeit rief, unterwegs. Ein Für und Wider gab es nicht. Er rief sie, und sie folgten ihm nach (vgl. 1,16–20). Zunächst nach Kapharnaum. Simon und wohl auch Andreas wohnten dort. Das Fischerstädtchen war ein Grenzort zwischen Galiläa und der Gaulanitis und lag am Nordwestufer des Sees etwa vier Kilometer westlich der Mündung des Jordan. Vom Aufschlagen des Quartiers in Kapharnaum wird nicht erzählt, sondern von anderem.
Und gleich am Sabbat, nachdem er in die Synagoge hineingegangen war, begann er zu lehren . In der Synagoge versammelte sich die Gemeinde unter der Leitung des Synagogenvorstehers zu Schriftlesung mit anschließendem Lehrvortrag, den ein Schriftgelehrter hielt. Gebet, Gesang und Segenshandlung gehörten ebenfalls dazu. In der Synagoge wurde auch Schule abgehalten und Recht gesprochen. Jesus begann zu lehren. Was und wie er lehrte, bleibt vorerst offen. Mitgeteilt wird uns zunächst nur die Wirkung des Lehrens Jesu auf die im Lehrhaus Versammelten. Sie gerieten außer sich wegen seiner Lehre . Und zwar gerieten sie deshalb außer sich, weil er sie lehrte wie einer, der Vollmacht hat , anders als ihre Schriftgelehrten.
Gemeint ist nicht, dass Jesus eine andere Sprache sprach als jene oder sich neuer Redeformen bediente. Gemeint ist auch nicht die Wohlgeformtheit seiner Rede, nicht eine originelle Vortragsweise, nicht eine seine Hörer in Bann ziehende Redekunst oder einfach etwas Neues, das die in der Synagoge Versammelten ganz aus dem Häuschen brachte. Das alles können andere schließlich auch und vielleicht sogar besser als er. Aber nein, Jesus lehrte sie wie einer, der Vollmacht hat , so wie keiner der anderen, wie keiner von ihren Schriftgelehrten. Jesus redete nicht über Gott, Mensch und Welt wie jene, sondern er selbst ist das in ihre Mitte gekommene und sie lehrende Wort Gottes. Er ist der Mensch, auf den der Geist herabkam wie eine Taube (vgl. 1,10), und der die Nähe der Gottesherrschaft kündet (vgl. 1,15). Er spricht. Er agiert. Da geht es sofort zur Sache, wie uns im folgenden Abschnitt demonstriert wird.
In ihrer Synagoge war da gerade ein Mensch mit einem unreinen Geist, und er schrie auf . – Unreiner Geist war die damals geläufige Bezeichnung für finstere oder böse Kräfte, die den Menschen durchdringen und beherrschen, ihn an Leib und Seele krank machen, ihn geradezu zerstören oder für zerstörerische Werke in Besitz nehmen konnten. Man sagte dann nicht, dass ein solcher von allen guten Geistern verlassen, sondern dass er von bösen Geistern besessen sei. Aber das musste sich äußerlich gar nicht zeigen. Ein unreiner Geist kann in einem Menschen auch einfach nur schlummern. So einer also war da in ihrer Gemeindeversammlung, unauffällig und friedlich. Plötzlich aber schrie der Mensch mit dem unreinen Geist auf. In Sorge oder in Not, manchmal in Freude, in auswegloser Bedrängnis schreit einer auf.
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