49Sollte nämlich c. 227 CIC die bürgerliche Freiheit nicht auch für Kleriker und Ordensleute anerkennen, „so wäre zunächst nach einer anderen Rechtsgrundlage zu suchen. Sonst bliebe nur die Feststellung, dass die individuelle bürgerliche Freiheit in der kirchlichen Rechtsordnung auf einen bestimmten Teil der Rechtsunterworfenen beschränkt ist und daher nur eine teilweise Komplementarität zur Religionsfreiheit in der weltlichen Rechtsordnung besteht, die ja allen garantiert wird“ (ebd., 83f.).
50Zwar sprächen Wortlaut und rechtssystematische Einordnung von c. 227 „eindeutig für eine Beschränkung auf die Laien“ (ebd. 84). Dennoch kommt Berkmann zu dem Ergebnis, „dass die bürgerliche Freiheit grundsätzlich allen Christgläubigen zukommt und damit der religiösen Freiheit des weltlichen Bereichs hinsichtlich des personalen Geltungsbereiches tatsächlich komplementär ist“ (ebd., 87).
51Ebd., 92. Vgl. für die Einzelaspekte nachfolgend ebd., 93–105.
52Vgl. H. PREE, Die politische und gewerkschaftliche Betätigung geistlicher Personen im CIC (1983) und im CCEO (1990), in: Folia Canonica 6 (2003) 7–40 und DERS., Kirchliche Sendung und weltliches Mandat. Zur Rechtsstellung geistlicher Personen in der zivilen Sphäre, in: H. de Wall / M. Germann (Hg.), Bürgerliche Freiheit und Christliche Verantwortung. FS Christoph Link, Tübingen 2003, 371–385.
53PREE, Autorität (2010); vgl. bereits o. Anm. 19.
54DERS., Libertad (2005); DERS., Freiheit (2011); vgl. bereits o. Anm. 19.
55DERS., Autorität, 1128. Vgl. DERS., Freiheit, 362.
56DERS., Freiheit, 374. Vor dem Hintergrund der Anerkennung der iusta autonomia rerum terrenarum und der Religionsfreiheit stehe c. 227 auch dafür, dass „der Laie durch sein Wirken in rebus civitatis terrenae zum Protagonisten der Beseelung der zeitlichen Wirklichkeit von innen her mit dem Geist des Evangeliums“ geworden sei (ebd.).
57DERS., Autorität, 1128. Vgl. o. Anm. 33 und DERS., Freiheit, 374, wonach der „mit res civitatis terrenae umschriebene Schutzbereich des Rechts […] die Grenze des kirchlichen Jurisdiktionsanspruches, auch für den Laien als Katholiken“ (H. i. O.), bezeichne. Vgl. bereits DERS., Libertad, 277.
58DERS., Autorität, 1129.
59Vgl. BLANCO, María, Protezione della libertà e dell’identità cristiana dei laici, in: IusEccl 23 (2011) 297–318. Die Autorin hatte sich schon 18 Jahre zuvor unter dem Titel „La libertad de los fieles en lo temporal“, in: Persona y derecho / Fidelium Iura 3 (1993) 13–35, mit c. 227 befasst.
60Vgl. NAVARRO, Luis, Les ressources du droit canonique pour comprendre le rôle du fidèle dans la société civile, in: ACan 54 (2012) 149–165.
61Vgl. BLANCO, Protezione, 308–311 sowie bereits DIES., Libertad, bes. 29–32.
62Vgl. NAVARRO, Ressources, 161.
63Vgl. ebd., 161. Im weltlichen Recht entspreche c. 227 das Recht auf Religionsfreiheit als „droit parallèle“ (ebd., 164). Vgl. BLANCO, Protezione, 315f.
64Vgl. ebd., 313f
65Vgl. AYMANS-MÖRSDORF, KanR I, 72.
66Vgl. cc. 16-22 CIC und cc. 1498-1504 CCEO.
67Zu dem aus philosophischer und theologischer Sicht grundsätzlich bestehenden Problem der Annahme einer feststehenden „eigenen Wortbedeutung“ vgl. TORFS, Propria verborum significatio, 179–192.
68Vgl. SOCHA, in: MKCIC 17, Rn. 8.
69Es gilt die Grundannahme, „daß der Gesetzgeber die Worte so wählt, daß sie seinen Willen in der dem Gegenstand angemessenen Weise zum Ausdruck bringen.“ (MAY/EGLER, Einführung, 195; vgl. SOCHA, in: MKCIC 17 [1990], Rn. 7 sowie entsprechend schon MÖRSDORF, Lb I, 108: „es ist nicht anzunehmen, daß der Gesetzgeber etwas anderes gewollt hat, als in seinen klaren Worten ausgesprochen ist. Cum in verbis nulla ambiguitas est, non debet admitti voluntatis quaestio. Verba clara non admittunt interpretationem neque voluntatis coniecturam.“). Wer diese Voraussetzung grundsätzlich in Frage stelle, so SOCHA, in: MKCIC 17 [1990], Rn. 7 mit CASTILLO LARA, Interpretatione, 284 (vgl. dt.: DERS., Auslegung, 225), beraube die kirchlichen Gesetze „ihrer verpflichtenden Kraft, untergräbt das Vertrauen in die kirchliche Rechtsordnung, macht letztlich jede sinnvolle, rational überprüfbare Kommunikation unmöglich“. Daher gilt: Führt die Analyse „des sprachlichen Erscheinungsbildes zu einem eindeutigen Gesetzesverständnis, […] endet die Aufgabe des Interpreten“ (SOCHA, in: MKCIC 17 [1990], Rn. 7). Vgl. AYMANS-MÖRSDORF, KanR I, 182; BIER, Diözesanbischofsamt, 79f.; JESTAEDT, Auslegung, 103f.; LÜDECKE, Grundnormen, 77. Die im 2. HS von c. 17 genannten Regeln werden daher auch als „Aushilfsregeln“ bezeichnet (so z. B. AYMANS-MÖRSDORF, KanR I, 183 und bis 2012 auch SOCHA, in: MKCIC [1990], 17 Rn. 3). Mit Überarbeitung seines Kommentars zu cc. 1-22 für die 47. Ergänzungslieferung des MKCIC vom Feb. 2012 hat Hubert Socha seine oben zitierte Meinung allerdings geändert. „In den letzten Jahren“ sei „unter den Kommentatoren die aus der Tradition, Reflexion und persönlichen Erfahrung gewonnene Einsicht“ gewachsen, dass „die in 17 gewählte Ausdrucksweise lediglich ein sprachliches Stilmittel“ sei (ebd., Rn. 7b). Mit diesem Argument vertritt Socha nun die Auffassung, bei der Interpretation müssten „stets auch die in 17 Satz 2 genannten Wege beschritten werden“ (DERS., in: MKCIC 17, Rn. 11). Vor ihm ging z. B. schon PUZA, Kirchenrecht, 127 davon aus, c. 17 lege nicht eine Rangfolge der Interpretationsregeln fest. Auch HEIMERL/PREE, Kirchenrecht, 44 wollen eine zwingende Hierarchie der Interpretationsmethoden unbeschadet des subsidiären Charakters der in c. 17, 2. HS genannten nicht gelten lassen. Der Gesetzgeber könne eine andere als die klare Wortbedeutung eines Gesetzes beabsichtigt haben (vgl. ebd.). SCHÜLLER, Barmherzigkeit, 226 sah darin 1993 eine sich durchsetzende Ansicht. Dem ist entgegenzuhalten: Es kommt allein dem Gesetzgeber zu, eine solche Abweichung durch Gesetzesänderung oder authentische Interpretation zu korrigieren. Solange er dies nicht tut, gilt: „Nicht was der Gesetzgeber hätte bestimmen wollen, ist Gegenstand der Interpretation, sondern was er bestimmt hat. Gegen den klaren und eindeutigen Wortlaut eines Gesetzes kann keine noch so gut bewiesene Auffassung des Gesetzgebers durchdringen; denn nicht sie, sondern das Gesetz ist im Gesetzblatt verkündet“ (MAY/EGLER, Einführung, 209). Vgl. BIER, Diözesanbischofsamt, 80 Anm. 7 bzw. DERS., Einführung, 156.
C. 17 normiert den Vorrang der grammatikalisch-logischen Interpretation vor den übrigen subsidiären Auslegungsmethoden. Für deren Anwendung wird eine Präferenzordnung nicht vorgegeben. „Es ist Aufgabe der Ausleger herauszufinden, welche dieser Mittel für die Interpretation einer konkreten Norm am ehesten zielführend sind“ (DERS., Einführung, 155). Zu dem daraus resultierenden Problem der Relevanz unterschiedlicher Auslegungsverfahren und - ergebnisse sowie insbesondere dem Vorschlag B. Th. Drößlers, nur das Ergebnis einer nichtauthentischen Interpretation sei „sachlich zutreffend, das dem einer jeweils und jederzeit möglichen authentischen Interpretation entspricht“ (DRÖßLER, Bemerkungen, 28), vgl. die Diskussion bei LÜDECKE, Grundnormen, 78–81. Demnach „bleibt dem Kanonisten methodisch doch nur die kumulative Anwendung der unterschiedlichen subsidiären Interpretationsmethoden.“ Allerdings könne sein Auslegungsergebnis „jederzeit durch eine authentische Interpretation überholt werden“ (ebd., 81).
70DRÖßLER, Bemerkungen, 15. Vgl. zustimmend SOCHA, in: MKCIC 17, Rn. 3; SCHMITZ, Wertungen, 26; LÜDECKE, Grundnormen, 76f.
71WIJLENS, Bishops, 213 Anm. 6 sowie 221. Vgl. LEDERHILGER, Kirchenrecht, 258f. sowie für die Gegenmeinung z. B. SCHIMA, Meinungsfreiheit, 165 sowie im Folgenden.
72MÜLLER, Kirchenrecht, 378. Tatsächlich wäre ein „rechtspositivistischer“ Ansatz nur zu konstatieren und zu kritisieren, wenn „die Auffassung vertreten würde, jeder beliebige Inhalt könne Recht sein und was legal sei, sei stets auch legitim“ (BIER, Einführung, 162). Das ist in der Kanonistik jedoch nicht der Fall, denn: „Niemand bestreitet ernsthaft, kirchliches Recht müsse durch übergeordnete rechtliche Maßgaben (göttliches Recht, moralische Wahrheit) legitimiert sein. Gerade wegen der Rückbindung an das göttliche Recht kann die kirchliche Rechtsordnung per definitionem rechtspositivistisch nicht erfasst werden“ (ebd., H. i. O.). Einen solchen Positivismus, der „das Naturrecht und das positive göttliche Recht sowie die lebenswichtige Beziehung eines jeden Rechts zur Gemeinschaft und Sendung der Kirche praktisch vergißt“, hat auch PAPST BENEDIKT XVI., Rota-Ansprache v. 21. Jan. 2012, 8 zurückgewiesen. Eine entsprechende „Auffassung würde eine deutliche Verarmung mit sich bringen“: Werde das Kirchenrecht mit dem System kirchlicher Gesetze identifiziert, „dann bestünde die Kenntnis dessen, was in der Kirche rechtlich ist, im wesentlichen darin zu verstehen, was die Rechtstexte bestimmen.“ Dies aber beraube „die Arbeit des Auslegers der lebenswichtigen Verbindung mit der kirchlichen Wirklichkeit“. „In letzter Zeit“, so der frühere Papst, hätten „einige Denkströmungen vor einer übertriebenen Treue gegenüber den Gesetzen der Kirche […] gewarnt“ und „hermeneutische Wege vorgeschlagen, die einen Ansatz zulassen, der den theologischen Grundlagen und den auch pastoralen Anliegen der Kirchengesetzgebung besser entspricht. Dies hat zu einer Kreativität im rechtlichen Bereich geführt, bei der die einzelne Situation zum entscheidenden Faktor bei der Feststellung der wahren Bedeutung der Rechtsvorschrift im konkreten Fall wird. Barmherzigkeit, Gerechtigkeit, ‚oikonomia‘ – sehr geschätzt in der östlichen Tradition – sind einige der Begriffe, auf die man bei dieser Auslegungstätigkeit zurückgreift.“ Hierzu stellte Papst Benedikt XVI. klar: Dieser Ansatz überwinde den kritisierten Positivismus nicht, sondern ersetze ihn lediglich durch einen anderen, „in dem die menschliche Auslegungstätigkeit sich zum Protagonisten aufschwingt bei der Bestimmung dessen, was rechtlich ist.“ Es fehle das Bewusstsein für ein objektives Recht, insofern das Recht „Spielball von Überlegungen“ bleibe, „die den Anspruch erheben, theologisch oder pastoral zu sein, am Ende jedoch der Gefahr der Willkür ausgesetzt sind.“ So aber werde die Rechtshermeneutik ausgehöhlt. Letztlich bestehe „kein Interesse daran, die Gesetzesweisung zu verstehen, da sie jeder Lösung dynamisch angepaßt werden kann, auch wenn diese dem Buchstaben des Gesetzes widerspricht“ (ebd.).
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