Eine weitere Rücklagenbildungsmöglichkeit i. S. d. steuerlichen Gemeinnützigkeitsrechts bietet § 62 Abs. 1 Nr. 4 AO.
Hiernach darf ein steuerbegünstigter Krankenhausträger Mittel zum Erwerb von Gesellschaftsrechten zur Erhaltung der prozentualen Beteiligung an Kapitalgesellschaften ansammeln. Diese Rücklagenbildungsmöglichkeit spielt für Krankenhäuser bzw. -träger eine eher geringe Rolle. Sollte im Einzelfall eine solche Rücklage gebildet werden, wird hierdurch aber nach dem insoweit eindeutigen Wortlaut der Vorschrift die Höchstgrenze für die Zuführung zu der freien Rücklage gemindert. 482
Bei der Rücklage nach § 62 Abs. 1 Nr. 4 AO handelt es sich um eine zweckgebundene Rücklage, also nicht um eine freie Rücklage wie bei § 62 Abs. 1 Nr. 3 AO.
§ 62 Abs. 1 Nr. 4 AO ist im Übrigen nicht anwendbar bei einem erstmaligen Erwerb eines Anteils an einer Kapitalgesellschaft 483 , ebenso wenig beim Erwerb von Anteilen zur Erhöhung der prozentualen Beteiligung an einer Kapitalgesellschaft. 484
Für die Erhöhung der Beteiligungsquote käme aber eine evtl. vorhandene freie Rücklage im Sinne von § 62 Abs. 1 Nr. 3 AO in Betracht. 485
Die Verwendung von Mitteln zum Erwerb bzw. zur Erhaltung der Beteiligungsquote an einer Personengesellschaft ist nicht durch § 62 Abs. 1 Nr. 4 AO gedeckt. Derartige Mittelverwendungen sind prinzipiell unzulässig und werden nicht durch § 62 Abs. 1 Nr. 4 AO »geheilt«. 486
Umstritten ist im Schrifttum, ob § 62 Abs. 1 Nr. 4 AO anwendbar ist, wenn eine steuerbegünstigte Körperschaft die Kapitalerhöhung aufgrund der Bedeutung ihrer Beteiligung de facto erzwingen kann. Ist sie z. B. zu mehr als der Hälfte am Kapital der Kapitalgesellschaft beteiligt, könnte sie bei ihrer Beteiligungsgesellschaft eine Kapitalerhöhung veranlassen, um eigene Mittel, die sie nicht zeitnah verwenden kann oder will, auf diese Weise »zu parken«. 487 Möglicherweise reicht hierfür sogar schon eine Beteiligung von 25 % aus. 488
Eine derartige Zielsetzung für eine Kapitalerhöhung dürfte den Regelungen des § 55 AO zum Gebot der Selbstlosigkeit widersprechen. Für die Kapitalerhöhung bei der Kapitalgesellschaft müssen deshalb in jedem Falle nachprüfbare wirtschaftliche Gründe vorliegen, die bei der Kapitalgesellschaft eine Kapitalerhöhung durch die Gesellschafter letztlich unumgänglich machen. Je höher die Beteiligungsquote der gemeinnützigen Körperschaft ist, umso sorgfältiger wird man prüfen müssen, ob die Kapitalerhöhung bei der Beteiligungsgesellschaft wirtschaftlich sinnvoll ist. 489
§ 62 Abs. 1 Nr. 1 AO eröffnet die Möglichkeit der Bildung sog. » zweckgebundener Rücklagen« (sog. »Projektrücklagen «). 490 Bei der Bildung einer solchen Rücklage kommt es – anders als bei der freien Rücklage – nicht auf die Herkunft der Mittel an. Der Rücklage dürfen also alle Arten von Mitteln zugeführt werden, z. B. auch Spenden. 491
Gemeint sind bei § 62 Abs. 1 Nr. 1 AO – wie bei § 62 Abs. 1 Nr. 3 AO – nicht die Rücklagen im handelsrechtlichen und bilanzsteuerlichen Sinne. Vielmehr wird auch durch diese (steuerliche) »Rücklagenbildung« die (gemeinnützigkeitsrechtliche) Möglichkeit der Ansammlung von Mitteln eröffnet. Der hier verwendete Rücklagenbegriff ist rein steuerlicher Natur; er steht prinzipiell in keiner Beziehung zu etwaigen Rücklagen, die gemäß §§ 266 Abs. 3, 272 HGB in der Handelsbilanz zu bilden sind oder gebildet werden dürfen.
Eine solche (gemeinnützigkeitsrechtliche) Rücklagenbildung braucht in der Satzung bzw. im Gesellschaftsvertrag nicht vorgesehen zu sein, sie darf allerdings durch die Satzung auch nicht ausdrücklich ausgeschlossen werden.
Die Rücklagen nach § 62 Abs. 1 Nr. 1 AO sind zweckgebunden. Dies unterscheidet sie maßgeblich von den freien Rücklagen nach § 62 Abs. 1 Nr. 3 AO. Voraussetzung für die Bildung einer Rücklage nach § 62 Abs. 1 Nr. 1 AO ist in jedem Fall, dass ohne die Rücklage die steuerbegünstigten satzungsmäßigen Zwecke nachhaltig nicht erfüllt werden können. Das Bestreben, ganz allgemein die Leistungsfähigkeit der steuerbegünstigten Körperschaft zu erhalten, reicht für eine steuerlich unschädliche Rücklagenbildung nach § 62 Abs. 1 Nr. 1 AO nicht aus. 492
Im Rahmen einer zweckgebundenen Rücklage nach § 61 Abs. 1 Nr. 1 AO müssen die Mittel der steuerbegünstigten Körperschaft für bestimmte, die steuerbegünstigten Satzungszwecke verwirklichende Vorhaben angesammelt werden, für deren Durchführung bereits konkrete Zeitvorstellungen bestehen. 493 Nach Auffassung der OFD Frankfurt 494 sollte ein Zeitraum von sechs Jahren grundsätzlich nicht überschritten werden. Diese zeitliche Restriktion ist abzulehnen; sie führt tendenziell zu einer Abkehr von der Beurteilung des konkreten Einzelfalles.
Besteht noch keine konkrete Zeitvorstellung, ist eine Rücklagenbildung zulässig, wenn die Durchführung des Vorhabens glaubhaft und bei den finanziellen Verhältnissen der steuerbegünstigten Körperschaft in einem angemessenen Zeitraum möglich ist. 495 Was als » angemessen« in diesem Sinne angesehen werden kann, ist nicht eindeutig geregelt bzw. geklärt. Im Schrifttum werden Zeiträume von zwischen drei bis fünf Jahren einerseits oder bis zu zehn Jahren andererseits genannt. 496 Darüber hinausgehende Zeiträume dürften bei der Finanzverwaltung regelmäßig nicht durchsetzbar sein.
Soweit die Körperschaft mehrere Vorhaben gleichzeitig beabsichtigt, sind nebeneinander mehrere Rücklagen nach § 62 Abs. 1 Nr. 1 AO zulässig. 497 Eine Rücklagenbildung nach § 62 Abs. 1 Nr. 1 AO ist ausgeschlossen, wenn bei einer Körperschaft die Überlegungen zur Mittelverwendung schlicht noch nicht abgeschlossen sind, die Rücklagenbildung also rein vorsorglich geschehen soll. 498 Die fehlende Entschlusskraft der zuständigen Organe kann kein Grund für eine Rücklagenbildung sein. 499
Die » Erforderlichkeit« der Rücklagendotierung ist nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofes 500 hinsichtlich des Grundes, der Höhe und des zeitlichen Umfanges nach objektiven Kriterien im konkreten Fall zu prüfen. 501
Eine zweckgebundene Rücklage kann möglicherweise nur mit dem abgezinsten Betrag dotiert werden. 502 Der Anwendungserlass zur Abgabenordnung schreibt dies aber nicht ausdrücklich vor; im steuerlichen Schrifttum werden überzeugende Gründe gegen eine Abzinsung formuliert. 503 Sollte eine Abzinsung notwendig sein (oder freiwillig vorgenommen werden), müsste der abgezinste Betrag konsequenterweise jährlich entsprechend der Entwicklung des Kapitalmarktzinses angepasst werden. Aus Vereinfachungsgründen kann dann allerdings wohl auf den in § 12 Abs. 3 Bewertungsgesetz genannten Zinssatz von (jährlich) 5,5 % abgestellt werden. 504 Die Finanzverwaltung fordert in der Praxis vielfach eine solche Abzinsung aber nicht. 505
Nach herrschender Auffassung sind insbesondere folgende Rücklagen als nach § 62 Abs. 1 Nr. 1 AO zulässig anzusehen:
• Rücklage zur Erfüllung des steuerbegünstigten satzungsmäßigen Zweckes, z. B. zur Errichtung oder Erweiterung oder Instandsetzung von für die gemeinnützigen Zwecke genutzten Immobilien, soweit der hierfür zu tragende Aufwand nicht aus dem Ertrag eines Jahres finanziert werden kann (sog. » Projektrücklage«),
• Rücklage zur Bezahlung von Steuern außerhalb eines steuerpflichtigen wirtschaftlichen Geschäftsbetriebs, solange Unklarheit darüber besteht, ob die Körperschaft insoweit in Anspruch genommen wird. 506
Von besonderer Bedeutung im Rahmen der zweckgebundenen Rücklagen nach § 62 Abs. 1 Nr. 1 AO ist die sog. Betriebsmittelrücklage. Sie wird von der Finanzverwaltung ausdrücklich anerkannt. 507
Mit der Betriebsmittelrücklage können Mittel für periodisch wiederkehrende Ausgaben, z. B. Löhne, Gehälter, Mieten, in Höhe des Mittelbedarfs für eine angemessene Zeitperiode zurückgehalten werden.
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