Beispiel:§ 32 IfSG des Bundes ermächtigt die Landesregierungen zum Erlass von Verordnungen zur Bekämpfung übertragbarer Krankheiten. § 48a BImSchG berechtigt die Bundesregierung mit Zustimmung des Bundesrates zum Erlass von Rechtsverordnungen über Emissions- und Immissionswerte.
Verordnungsgeber sind aber nicht allein Regierungen und Ministerien, vielfach wird die Zuständigkeit auch auf nachgeordnete Behörden übertragen.
Beispiele:Polizeiverordnungen durch Gemeinden nach §§ 17, 18 PolG; Rechtsverordnungen durch höhere Naturschutzbehörden (Regierungspräsidien) gem. §§ 23 III, 36 II NatSchG und untere Naturschutzbehörden (Landratsämter und Stadtkreise) nach § 23 IV, V NatSchG. Siehe aber auch die Übertragungsmöglichkeit der Ermächtigung zum Erlass von Infektionsschutz-Verordnungen auf „andere Stellen“ wie etwa Fachministerien durch Rechtsverordnung nach § 32 S. 2 IfSG.
72 f) Die Satzungen .„Satzungen sind Rechtsvorschriften, die von einer dem Staat eingeordneten juristischen Person des öffentlichen Rechts im Rahmen der ihr gesetzlich verliehenen Autonomie mit Wirksamkeit für die ihr angehörenden und unterworfenen Personen erlassen werden“ (BVerfGE 33, 125). Satzungen haben mit den Rechtsverordnungen gemeinsam, meist Gesetze im materiellen Sinne zu sein (vgl. Rn. 69). Sie unterscheiden sich jedoch von den Rechtsverordnungen ganz wesentlich durch das erlassende Organ. Während die Rechtsverordnung von einer „Stelle der bürokratisch-hierarchisch organisierten staatlichen Exekutive“ erlassen wird, wird durch das Satzungsrecht „ein bestimmter Kreis von Bürgern ermächtigt, durch demokratisch gebildete Organe ihre eigenen Angelegenheiten zu regeln“ (BVerfGE 33, 125). Bei Satzungen wird deshalb der Gewaltenteilungsgrundsatz nicht durchbrochen. Sie werden von Gremien, beispielsweise Gemeindevertretungen, beschlossen. Auch wenn es sich bei solchen Gremien nicht um echte Parlamente handelt, so sind sie doch „als demokratisch gewähltes Beschlussorgan“ insoweit dem Bereich der Legislative zuzuordnen.Es wird also durch Gesetze, die zum Erlass von Satzungen ermächtigen, die Rechtsetzungsbefugnis innerhalb der Legislative nur auf andere demokratische Gremien („Dezentralisation“) und nicht auf die Exekutive verlagert“ (BVerfGE 32, 346).
Wichtigste Beispielesind die Satzungen kommunaler Selbstverwaltungsträger wie Gemeinden und Landkreise: Abgabensatzungen, Benutzungssatzungen für öffentliche Einrichtungen, Bebauungspläne (§ 10 BauGB). – Daneben finden sich Satzungen (teilweise mit anderen Bezeichnungen) in allen Selbstverwaltungsbereichen wie Studien- und Prüfungsordnungen im Hochschulbereich oder Satzungen der berufsständischen Kammern.
73Wegen der – im Unterschied zu den Rechtsverordnungen– anders gearteten Qualität der Satzungen (Rn. 72) bedarf es für die Verleihung des Satzungsrechts nicht der strengen Anforderungen des Art. 80 I GG, auch nicht analog. Die gesetzliche Verleihung der Autonomie räumt dem jeweiligen Selbstverwaltungsträger die Befugnis ein, im Rahmen dieser Verleihung seine eigenen Angelegenheiten durch Satzung zu regeln. Soll jedoch in Freiheit oder Eigentum der Bürger eingegriffen werden, bedarf auch der Selbstverwaltungsträger einer speziellen Ermächtigung des parlamentarischen Gesetzgebers (BVerfGE 33, 125).
Beispiel:Für eine Satzung über den Anschluss und Benutzungszwang für kommunale Einrichtungen wie etwa Wasserversorgung ist eine ausdrückliche gesetzliche Regelung erforderlich, wie sie in § 11 GemO erfolgt ist.
III.Ungeschriebenes Recht: Gewohnheitsrecht
74Angesichts einer zunehmenden Regelungsdichte durch geschriebene Rechtsquellen kommt dem Gewohnheitsrecht heute nur noch untergeordnete Bedeutung zu. Im Übrigen verhindern die strengen Anforderungen, die an das Entstehen von Gewohnheitsrecht zu stellen sind, eine allzu große Ausdehnung. Gewohnheitsrecht entsteht nur, wenn
eine längere tatsächliche Übung feststellbar ist,
sich bei den Beteiligten die Überzeugung gebildet hat, dass diese Übung rechtlich geboten ist,
es in Form eines hinreichend bestimmten Rechtssatzes formulierbar ist.
Obwohl es im konkreten Fall schwierig ist, zuverlässig das Vorliegen der beiden ersten Voraussetzungen festzustellen, wird in Rechtsprechung und Literatur immer wieder das Vorliegen von Gewohnheitsrecht angenommen. Gewohnheitsrecht kann sich auf allen Rangstufen der geschriebenen Rechtsquellen bilden und teilt damit dessen Geltungsvorrang. Es wird durch eine Rechtsnorm des geschriebenen Rechtes zum selben Gegenstand außer Kraft gesetzt.
Gewohnheitsrecht wurde z. B. in folgenden Fällenbejaht: Aufopferungsanspruch im Range von Verfassungsgewohnheitsrecht; Pflicht der Rechtsanwälte, vor Gericht Amtstracht zu tragen, auf der Stufe des formellen Gesetzes; Verdrängung einer Festsetzung im Bebauungsplan durch Gewohnheitsrecht auf der Stufe der gemeindlichen Satzung (aber verneint für das gewohnheitsrechtliche Entstehen von Bebauungsplänen).
IV.Richterrecht und Allgemeine Rechtsgrundsätze
75Eine Rechtsordnung, die im oben beschriebenen Sinne aus geschriebenen Rechtsquellen und der ungeschriebenen Rechtsquelle des Gewohnheitsrechtes besteht, gibt jedoch nicht auf alle Rechtsfragen, die sich Verwaltung und konsequenterweise auch den diese überprüfenden Gerichten stellen, eine Antwort. Wo dieses Rechtssystem Lücken aufweist, haben insbesondere die Gerichte die Aufgabe, ergänzend und rechtsfortbildend zu wirken: Gerichte müssen auf Antrag entscheiden, eine Rechtsverweigerung mit der Begründung, weder ein Gesetz noch Gewohnheitsrecht regle den Sachverhalt, kommt nicht in Betracht.
76Inwieweit die Rechtsprechung als eigenständige Rechtsquelle angesehen werden kann, ist in der Lit. heftig umstritten. Allerdings kann dies gesetzlich ausdrücklichangeordnet sein.
So haben gem. § 31 II BVerfGG gewisse Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichtes Gesetzeskraft; gem. § 23 VerfGHG gilt dies auch für Entscheidungen des Verfassungsgerichtshofs Baden-Württemberg. In amtlichen Gesetzesbegründungen ist teilweise zu lesen, dass einzelne Streitfragen vom Gesetzgeber bewusst nicht entschieden wurden, um sie der späteren Klärung durch die Gerichte und die Wissenschaft zu überlassen.
Daneben machen weitere Gesetze des Prozessrechtes die „Rechtsfortbildung“ ausdrücklich zur Aufgabe der Gerichte (z. B. §§ 11 IV VwGO).
77Im Übrigen erzeugen einzelne Gerichtsentscheidungenzwar zunächst nur Bindungswirkung zwischen den Prozessparteien(eine rechtsetzende und deshalb grundsätzlich allgemein verbindliche Wirkung des Präjudizes besteht in unserer Rechtsordnung nicht). Die einzelnen Entscheidungen enthalten jedoch oft über den entschiedenen Einzelfall hinausgehende Rechtsgrundsätze, die für künftige Streitfälle Entscheidungsmaßstäbe setzen. Dies gilt nicht nur da, wo durch Fehlen von Gesetzes- oder Gewohnheitsrecht die Notwendigkeit der Lückenschließung besteht, sondern vor allem auch da, wo sich der Gesetzgeber bei der Ausgestaltung von Normen unbestimmter Rechtsbegriffe und insbesondere Generalklauseln bedient (und wegen der notwendigen abstrakt-generellen Regelung wohl auch bedienen muss).
Beispiel:Die polizeiliche Generalklausel (§§ 1 I, 3 PolG) ist durch Auslegung unbestimmter Rechtsbegriffe wie der „öffentlichen Sicherheit“ in jahrzehntelanger Rechtsprechung in einer Weise konkretisiert worden, dass ihre Anwendung heute keine nennenswerten Schwierigkeiten bereitet.
Mit diesen Grundsätzen müssen sich Verwaltung und Gerichte in ihrer Entscheidungspraxis auseinandersetzen. Sie erzeugen eine Argumentationslast, die nicht im Sinne einer unkritischen Autoritätsgläubigkeit, sondern zur Bewahrung einer gewissen Kontinuität der Rechtsordnung zu beachten ist. Auf der Grundlage der oben genannten Rechtsquellen kann somit gesetzeskonkretisierendes und gesetzesergänzendes, niemals aber den Gesetzgeber korrigierendes Richterrecht entstehen. Mit dieser Einschränkung kann Richterrecht als eigenständige Rechtsquelle aufgefasst werden.
Читать дальше