Betrachten wir zuerst die Nerven. Sie sind Faserbündel, die Impulse oder Signale für sensorische oder motorische Zwecke vom und zum Gehirn bzw. diversen Körperteilen übertragen. Die Zellen, die diese Impulse erzeugen, heißen Neuronen. Jedes von ihnen besteht aus einem Zellkörper, Zellkern, Dendriten und einem Axon ( Abb. 2.2). Üblicherweise empfangen die Oberflächen der Dendriten die Signale und leiten sie an den Zellkern weiter. Die längeren Fortsätze der Neuronen nennt man Axone. Sie senden die Signale, die vom Zellkörper ausgehen, und sind von einer schützenden Hülle (Markscheide) umgeben. Am Ende jedes Axons befinden sich Endknöpfchen (Axonterminale), die Botschaften an andere Neuronen senden können. Die Endknöpfchen setzen Neurotransmitter (Botenstoffe) frei, die die Synapse – den Zwischenraum zwischen dem Dendriten und dem Axon eines anderen Neurons – überspringen. So gelangt die Botschaft über die Dendriten in die Nervenzelle hinein und wird an den Zellkörper und weiter zum Axon übertragen. Lücken in der Markscheide des Axons (Ranviersche Schnürringe) lassen den Impuls auf weitere Dendriten überspringen, die mit dem Muskel verbunden sind. Wenn das passiert, kontrahiert der Muskel. Dieser Prozess läuft mit einer Geschwindigkeit von rund 650 km/h ab! Es gibt drei Arten von Nervenzellen: motorische Neuronen, sensorische Neuronen und Interneuronen:
ABBILDUNG 2.1Das Nervensystem besteht aus zentralem und peripherem Nervensystem.
1. Motorneuronen sitzen in „herausführenden“ (efferenten) Nerven, die Impulse vom Gehirn an die Muskeln und bestimmte Drüsen senden. Die Endknöpfchen des Axons eines Motorneurons bilden die sogenannte neuromuskuläre Endplatte, eine Synapse, die den Kontraktionsimpuls an die Muskelfasern überträgt.
2. Sensorische Neuronen stimulieren Haut, Muskeln und Gelenke. Sie spüren Berührung oder Druck und senden Schmerzsignale ans Gehirn. Überdies können sie Licht, Geruch und Geschmack sowie Temperaturveränderungen wahrnehmen. Diese Neuronen sitzen in „hinführenden“ (afferenten) Nerven, die Signale zum Gehirn senden.
3. Interneuronen stellen eine Verbindung zwischen motorischen und sensorischen Neuronen dar und sorgen für deren Zusammenarbeit. Sie kommen nur in Gehirn und Rückenmark vor und gehören nicht zum peripheren Nervensystem. Die Interneuronen übermitteln von den sensorischen Neuronen kommende Signale an die Motorneuronen.
ABBILDUNG 2.2Funktionsweise eines Motorneurons
Ein Beispiel: Wenn Sie in neuen Schuhen proben und sich eine Blase bildet, dann senden „herausführende“ Nerven um diese Blase herum ein Signal an das Gehirn, das eine Schmerzempfindung auslöst. Im Gegenzug sendet das Gehirn über „hinführende“ Nerven Signale an die Fußmuskeln, um die Fußarbeit zu ändern oder anzupassen, um Schmerz zu vermeiden oder zu mindern.
Eine Nervenverletzung oder -störung kann bekanntlich Taubheitsgefühle oder Lähmungen auslösen. In einem solchen Fall verkümmern die Muskeln, die sonst Signale von den verletzten Nerven bekämen, und verlieren ihren Tonus.
DIE FUNKTIONSWEISE DES GEHIRNS
Regelmäßiges aerobes Trainieren kann die Gehirn-Fitness sowie Gedächtnis und Denkvermögen fördern. Werden Tanzschritte mit Musik kombiniert, stimuliert die Musik das Belohnungszentrum im Gehirn, während die Bewegung das motorische Zentrum des Gehirns anspricht, das für die Koordination von Bewegungen zuständig ist. Immer mehr Studien zeigen, dass Tanzen einerseits aufgrund seiner sozialen Komponente aber andererseits auch durch die mentale Anstrengung das Demenzrisiko mindert. So fanden Vergheseund seine Kollegen (2003) heraus, dass Aktivitäten wie Tanzen und das Spielen eines Instruments das Risiko für Demenz oder Alzheimer senken.
Auch bei Patienten, die an der motorischen Störung Parkinson erkrankt sind, wird immer öfter Tanztherapie eingesetzt, weil diese Gleichgewichtssinn und Lebensqualität der Parkinsonerkrankten verbessert ( Earhart 2009). Die Brooklyn Parkinson Group zum Beispiel bietet aus diesem Grund Tanzkurse mit einem Choreografen, Tänzer und Regisseur an. Die Kurse stimulieren das Gehirn der Teilnehmer und helfen ihnen, ihren Gleichgewichtssinn zu verbessern und ihre Bewegungen besser zu koordinieren.
Als Tänzer wissen Sie bereits, welche Vorteile das Tanzen hat und welches Gefühl es Ihnen vermittelt – und Sie wissen auch, dass erst Übung den Meister macht. Je mehr Sie proben, desto wohler fühlt sich Ihr Körper bei einer Bewegung, wenn Sie sie weiter perfektionieren. Dynamische Bewegung – also Bewegungen, an denen mehrere Gelenke beteiligt sind – verbessert die Gedächtniszentren des Gehirns – und genau das geschieht ja beim Tanzen. Im Gegensatz dazu führt ein Mangel an gesunder, qualitativ hochwertiger Bewegung zum Verkümmern neuronaler Verknüpfungen.
Um genauer zu erfahren, wie sich Tanz, Bewegung und Training auf das Gehirn auswirken, sehen wir uns zunächst die grundsätzlichen Hirnfunktionen an. Wie sendet das Gehirn Botschaften an Beine und Füße, damit diese ein einfaches Tendu oder eine anspruchsvolle Pirouette ausführen?
Wie lernt man neue Schrittkombinationen oder eine Choreografie? Das Gehirn kontrolliert die Bewegungen, es ist sozusagen der Choreograf der Tanzschritte. Selbst für eine einfache Bewegung wie ein Tendu hat das Gehirn eine komplexe Aufgabe zu erledigen: Es muss entscheiden, welche Muskeln für die Ausführung des Tendu angeworfen werden müssen und wie viel Kraft aufgewendet werden muss. Diese komplexe Aufgabe nennt man Motorik. Motorik aber bedeutet, kurz gesagt, wie mithilfe der Nerven Bewegungen entstehen.
Gehirn und Rückenmark bilden das zentrale Nervensystem. Das Gehirn wird durch die Schädelknochen geschützt und enthält rund 90 Milliarden Nervenzellen. Unterschiedliche Regionen des Gehirns sind für Bewegung, Sehen, Emotionen und andere Funktionen zuständig.
Zu den Hauptbestandteilen des Gehirns (Abb 2.3) gehören Großhirn, Kleinhirn und der Hirnstamm. Dabei bildet das Großhirn den größten Teil des Gehirns. Seine Oberfläche ist die Großhirnrinde. Das Großhirn teilt sich in vier Hirnlappen auf: Frontallappen (Stirnlappen), Parietallappen (Scheitellappen), Temporallappen (Schläfenlappen) und Okzipitallappen (Hinterhauptlappen).
Der Frontallappen ist für Motorik, Problemlösen, Impulskontrolle und Urteilsvermögen zuständig. Der Parietallappen verarbeitet Schmerzen, der Okzipitallappen visuelle Informationen – und der Temporallappen verarbeitet akustische Informationen und organisiert das Gedächtnis.
Ein weiterer Teil des Großhirns, die frontale Hirnrinde (Präfrontaler Cortex), sitzt direkt an der Vorderseite des Gehirns und regelt Denken, Entscheidungen und Persönlichkeitsausdruck. Der Bereich des Großhirns, der Bewegungen veranlasst, ist die primär-motorische Rinde. Dieser Streifen im Zentrum des Großhirns ist mit sämtlichen Körperteilen verknüpft. Alle bewussten Bewegungen werden von der primär-motorischen Rinde kontrolliert.
ABBILDUNG 2.3Das menschliche Gehirn
Ein weiterer Teil des Großhirns ist das limbische System, das Emotionen verwaltet. Auch Teile von Thalamus und Hypothalamus gehören zu diesem System. Thalamus und Hirnstamm arbeiten mit den Basal- oder Stammganglien tief unten im vorderen Teil des Gehirns zusammen, um bewusste Bewegungen, zum Beispiel beim Tanzen, zu steuern. Genauer gesagt sendet die frontale Rinde Botschaften an die Stammganglien, die die Botschaften an die jeweils zuständigen motorischen Systeme weiterleiten, sodass runde Bewegungsabläufe entstehen.
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