DIE VERBINDUNG VON KÖRPER UND VERSTAND
Die mentale Verfassung eines Tänzers hat enormen Einfluss auf seine körperliche Leistungsfähigkeit und seine Technik. Die grundlegenden Muskelbewegungen mit dem Verstand zu erfassen ist dabei für den Tänzer eine wichtige Voraussetzung dafür. So kann er sich auch vor seinem inneren Auge vorstellen, wie sich eine Bewegung schneller oder klarer ausführen lässt. Das wiederum ist ein wichtiger Schritt für die konkrete Umsetzung in der Praxis. Wie oft üben Sie das Développé? Wie oft spüren Sie dabei eine Art Sperre im Oberschenkel, die Sie daran hindert, Ihr Bein noch höher anzuheben? Nutzen Sie Ihre Vorstellungskraft, um diese Barriere zu überwinden! Wie könnte es sich anfühlen, wenn Sie Ihre Muskeln optimal beherrschen und Ihr Bein völlig angstfrei heben?
Um das Training für Tänzer effektiver zu gestalten, ist es durchaus sinnvoll, mit unterschiedlichen mentalen Techniken wie Visualisierung und Simulation zu arbeiten. Diese Techniken rufen Bilder von Positionen und Bewegungsabläufen im Kopf hervor, ohne dass eine Bewegung tatsächlich ausgeführt wird. Durch kontinuierliches Körpertraining kann ein Tänzer damit physiologische Veränderungen erzielen und seine Leistung nach und nach steigern.
In diesem Buch konzentrieren wir uns auf die grundlegenden Visualisierungstechniken. Dabei geht es darum, ausschließlich einfache und positive Bilder zu visualisieren und sich während der Übung ganz auf seine Mitte zu konzentrieren, um unerwünschte Spannungen im Körper abzubauen. Stellen Sie sich vor, was Ihr Körper tun soll – und lassen Sie keinerlei negative Gedanken zu.
Von dem Bewegungspädagogen Eric Franklin, dem Meister der Visualisierung, stammt das wunderbare Bild vom Einpflanzen eines positiven Gedankens, um ihn dann wachsen zu lassen . Nehmen Sie sich täglich etwas Zeit, um an einem ruhigen Ort mit geschlossenen Augen Ihren inneren Bildern nachzuspüren.
Stellen Sie sich die Tänzerin oder den Tänzer vor, der Sie sein möchten und wie Sie sich mit Leichtigkeit und Können bewegen. Konzentrieren Sie sich auf die Klarheit Ihrer Linien und kontrollieren Sie jede Ihrer Kombinationen. Sie sehen es genau vor Ihrem geistigen Auge, Sie hören die Musik – und Sie fühlen, wie Ihr Körper die Sequenzen präzise ausführt. Sie müssen die Bewegungen nur noch real umsetzen. Konzentrieren Sie sich auf Ihre Technik und trainieren Sie die Verbindung zwischen dem Vorgestellten und Ihrer Muskulatur: Um Ihr Ziel zu erreichen, müssen Sie Körper und Verstand gezielt einsetzen.
Bleiben wir bei der mentalen Einstellung des Tänzers: Sie beeinflusst das Ergebnis seiner Arbeit wesentlich. Leitet ein Tänzer zum Beispiel eine Pirouette bereits mit Spannung im Oberkörper ein, weil er fürchtet, das Gleichgewicht zu verlieren, wie soll er dann die Drehung perfekt ausführen können? Stellen Sie sich für diesen konkreten Fall viele gelungene Pirouetten um ein stabiles und ruhiges Zentrum vor! Trainieren Sie mental für Ihre perfekte Pirouette und genießen Sie in Ihrer Vorstellung die Drehung – ohne jede Angst vor einem Misserfolg! Atmen Sie dabei ruhig und gleichmäßig und lassen Sie sich in der Bewegung von Ihrem Atemrhythmus leiten.
Die Wissenschaft beschäftigt sich schon seit Längerem mit dem Zusammenhang von Stress und Verletzungsgefahr. Beim Streben nach Perfektion gehen Sportler wie Tänzer oft über ihre Grenzen. Wie im Leistungssport generell, so sind auch beim Tanz Konkurrenzdruck und Versagensangst weit verbreitet. Sie können einen Tänzer in seiner Entwicklung hemmen und das Verletzungsrisiko stark erhöhen. Dies gilt ebenso für mangelnde Aufmerksamkeit, die manchmal aus fehlender Motivation resultiert. All diese Stressfaktoren führen letztlich zu einer zögerlichen, glanzlosen Ausführung der Bewegungen, mangelnder Balance und unerwünschter Muskelanspannung.
Die besten Tänzer stehen mit sich selbst im positiven Dialog, um sich immer wieder zu motivieren. Dadurch lassen sich Spannungen im Körper abbauen und Bewegungen mit größerer Leichtigkeit ausführen. Denken Sie stets daran, eine gesunde Verbindung zwischen Körper und Verstand zu schaffen. Akzeptieren Sie sich selbst – so einfach ist das. Seien Sie stark und sprechen Sie sich immer wieder Mut zu: Sie schaffen es! Vielleicht plagen Sie Kritik und Zweifel: Wenn Sie den Tanz lieben und Ihre Technik verbessern wollen, dann müssen Sie lernen, negative Gedanken auszuschalten und selbstbewusst an sich zu glauben.
Sämtliche Übungen und Abbildungen in den einzelnen Kapiteln dieses Buchs stehen in direkter Verbindung zueinander. Während der jeweiligen Übungen sollte sich der Tänzer so lange vorstellen, dass sein Nacken entspannt und seine Körpermitte stabil ist, bis er dies verinnerlicht und in seine Tanztechnik integriert hat. Die Bilder für die Visualisierung sollten stets positiv und einfach sein: Bei den Beinübungen in Kapitel 7gilt zum Beispiel die ganze Aufmerksamkeit der besseren Flexibilität im Hüftgelenk und nicht einer Verspannung. Nachdem Sie die Visualisierung in den Übungen angewandt haben, schicken Sie diese positiven mentalen Bilder vor dem Training, Proben und Vorstellungen durch Ihren Körper. Sie werden spüren, wie Sie sich technisch weiterentwickeln und dass Sie mit weit weniger unerwünschter Spannung im Körper arbeiten.
Setzen Sie diese positiven Bilder ein, wo immer es geht, denn auch der Geist muss ständig trainiert werden. Lassen Sie keinesfalls zu, dass sich destruktive Gedanken einschleichen und Ihre Technik sabotieren. Jede Übung in diesem Kapitel in diesem Buch enthält einen Abschnitt „Beim Tanzen“, in dem erläutert wird, wie der Tänzer die neu erworbenen Fähigkeiten konkret anwenden kann.
DIE LEISTUNG VON HERZ UND LUNGE
Auch wenn sich dieses Buch auf tanzspezifische Übungen konzentriert, darf beim Tanz die Fitness von Herz und Lunge, sprich die kardiorespiratorische Komponente, nicht außer Acht gelassen werden. Die Forschung kommt immer mehr zu dem Schluss, dass Tänzer und andere Athleten, die nicht den Ausdauersportlern zugerechnet werden, über eine vergleichbare kardiorespiratorische Leistungsfähigkeit verfügen sollten wie diese. Proben und Vorstellungen sind meist von relativ kurzer Dauer und die Art des gewöhnlichen Tanztrainings könnte man eher als anaerob bezeichnen.
Um die kardiorespiratorische Leistungsfähigkeit zu erhöhen, bedarf es jedoch eines aeroben Trainings, aufgrund dessen es zur besseren Durchblutung und Sauerstoffversorgung der Zellen kommt. Durch aerobes Training nimmt die Herzgröße zu, sodass mehr Blut durch den Körper gepumpt werden kann. Kardiorespiratorische Fitness verbessert den Sauerstofftransport und erhöht die Ausdauer. Tänzer profitieren von einer guten Herz- und Lungenleistung, denn es kommt langsamer zu körperlicher und geistiger Ermüdung – und das Verletzungsrisiko sinkt.
Je größer also Ihre aerobe Fitness, desto länger können Sie proben, bevor Sie müde werden. Das tägliche Tanztraining reicht dafür aber nicht aus. Am effektivsten lässt sich die aerobe Kapazität steigern, wenn die Herzschlagfrequenz drei- bis viermal pro Woche für mindestens 20 Minuten um 70 bis 90 Prozent erhöht wird, zum Beispiel durch Training auf einem Crosstrainer, einem Laufband oder Trimmrad oder beim Schwimmen. Lehrende können auch Teile des Tanztrainings so anlegen, dass mehr aerobe Leistung erreicht wird, indem sie Übungen verlängern oder häufiger ohne Pause wiederholen. Auch längere Sprungkombinationen im Raum sind eine Möglichkeit. Zur Minderung des Verletzungsrisikos und zur Förderung der allgemeinen Gesundheit müssen sich Tanzlehrer auch um die kardiorespiratorische Fitness ihrer Schüler kümmern.
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