Rose Marie Gasser Rist
TRUDE
Band I der Bernstein Saga
1908 - 1998
Roman
Rose Marie Gasser Rist
TRUDE
Band I der Bernstein Saga
1908 - 1998
Roman
Bibliografische Information der Deutschen Bibliothek
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1. Auflage 2017
Originalausgabe
Copyright © 2017 Sheema Medien Verlag,
Inh.: Cornelia Linder, Hirnsbergerstr. 52, D - 83093 Antwort
Tel.: +49 (0)8053 – 7992952, Fax: +49 (0)8053 – 7992953
http://www.sheema-verlag.de
Copyright © 2017 Rose Marie Gasser Rist
Ebook ISBN 978-3-931560-92-8
EPDF ISBN 978-3-931560-93-5
ISBN Buch-Ausgabe 978-3-931560-54-6
Coverabbildung:© 2017 Gutsch Verlag (mit freundlicher Genehmigung)
Buchrückseite:© JulietPhotography – Fotolia.com
Foto der Autorin:© 2017 Giulia Nina Gasser
Lektorat:Monika Stolina-Wolf
Umschlaggestaltung: Sheema Medien Verlag, Schmucker-digital,
Gesamtkonzeption:Sheema Medien Verlag, Cornelia Linder
E-Book-Herstellung und Auslieferung:Brockhaus Commission, Kornwestheim – www.brocom.de
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Für Matthias – my Valentine
Und unsere Musik
„All the stones in my way
Will be covered with flowers and green“
(Zeilen aus dem Lied Morning Star von Matthias Rist)
INHALT
TARTU 1908 – 1929
1908 Karge Kindheit
1922 Frauenfreundschaft
1925 Die Liebe
1929 Eine zweite Chance
LENINGRAD 1929 – 1938
1929 Das tägliche Brot
1930 Die Kinder
1938 Vorzeichen
DARWIN 1938 – 1974
1938 Rote Erde
1939 Die Rückkehr des Glücks
1940 Am Billabong
1941 Der Pazifikkrieg
1942 Der Abschied
1945 Zurück in die Stadt
1946 Der Bernstein
1954 Familienzuwachs
1957 Das erste Mal danach
1958 Ein halbes Jahrhundert
1961 Ein Mädchen
1966 New York
1970 Auf Touren
1974 Tracy you Bitch
BRISBANE 1980 – 1998
1980 Kuranda
1986 Roter Flaum
1988 Bibeln und moderne Maschinen
1993 Kookaburra Sits in The Old Gum Tree
1998 Zwischen den Welten
Herzensdank
Vita
TARTU
1908 – 1929
1908 Karge Kindheit
Das Neugeborene zitterte zwischen den Schenkeln seiner Mutter, seine Nabelschnur pulsierte noch. Seine Haut schimmerte bläulich-rosa unter der Käseschmiere und machte die Verletzlichkeit des jungen Lebens im Kontrast zu dem grellen Rot, auf dem es lag, deutlich. Die Laken, in denen Mutter und Kind gebettet waren, waren von Blut durchtränkt. Als der Säugling seinen ersten Atemzug nahm, hauchte die entkräftete Mutter ihren letzten aus. Trudes Patenonkel war der Tod. Von der ersten Lebensminute an machte er deutlich, dass er nicht von der Seite des Mädchens weichen würde.
Mutter Marthe konnte das ersehnte Mädchen nicht in die Arme nehmen, es nicht mit nährender Wärme in der Welt willkommen heißen. Es war nicht Trudes Schuld, dass die Mutter unter der Geburt verblutete. Vielmehr war es die Erschöpfung, vielleicht sogar eine Erlösung nach einer Dekade Dauerschwangerschaft, die die ergebene Gattin dahinraffte. Seit der Vermählung hatte sie in regelmäßigen Abständen sechs Söhne zur Welt gebracht. Eine Tante, eine Patin, eine ältere Schwester hätte vielleicht Trudes Ankommen sanfter betten können. Eine Frau auf dem Hof hätte vielleicht die folgenden Jahre mit etwas Fürsorge milder gestalten können. Doch es war, wie es war: Das schutzlose Trudekind betrat eine männliche, herbe Wirklichkeit.
Marthes Tod versteinerte Vater Heinrich. Sieben Kinder verloren ihre Mutter und mit einem Schlag auch die Zuwendung ihres Vaters. Mit dem Verlust der Lebensgefährtin und Arbeitskraft schwand Heinrichs Lebensfreude. Sein Gram überlagerte alles. Für die Trauer seiner Söhne, die ihre Mutter ebenso schmerzlich vermissten, und das Vakuum, in das seine Tochter hineingeboren wurde, war er blind. Er flüchtete vor dem Trauerbrand im Herzen und wurde ein missionarischer Kirchgänger.
Trude wuchs in einem Männerhaushalt auf. An Essen und Kleidung mangelte es nie. Vater Heinrich war ein tüchtiger Mann. Er konnte mit dem Käsereibetrieb für die Familie aufkommen und manchmal beschäftigte er Wandergesellen. Den Haushalt organisierte er militärisch diszipliniert und leitete die Kinder zu Reinlichkeit und Disziplin an. Je älter das Mädchen wurde, desto mehr musste es mithelfen. Und als heranwachsende junge Frau fand sie sich für die Männer kochend, putzend und Wäsche versorgend wieder, während die Brüder mehr und mehr einem Erwerb nachgingen.
Es war in Fels gemeißelt, dass Trude als Frau nie einen eigenen Beruf erlernen, geschweige denn einem Studium nachgehen würde. Es war vorausbestimmt, dass ihr Vater Trude, sobald sie alt genug wäre, einem Burschen aus der Täufergemeinde zur Gattin überlassen würde. Sie würde dessen Kinder großziehen, ihm den Haushalt führen und bis ans Lebensende von seiner Gunst und Existenz abhängig sein. Dafür reichten Grundschule und Kirchgang am Sonntag vollends aus.
In der Kirchenbank fand Trude Abwechslung zum grauen Dasein. Wenn die Gemeinde sang und sie mitten im mehrstimmigen Klangbad saß, schloss sie die Augen und war für wenige Augenblicke glücklich. Im Schmelztiegel des Gesangs gab es keine Moral, keine Schuld, keine Last – nur Wohlklang und Verbundenheit. Unterricht und Kirchgang schenkten ihr Bildung und Seelennahrung, wenn auch nicht befriedigende Antworten auf ihre Fragen. Trude taumelte durch ihre Kindheit wie eine Außerirdische. Zu Tisch wurde geschwiegen, aus der Bibel zitiert oder über die Arbeit der jungen Männer gesprochen. Das Wohl des Mädchens stand nie im Mittelpunkt des Interesses. Sie war als kleines Kind ein geduldeter Schatten und als Heranwachsende eine willkommene Dienstmagd.
Sie nahm ihr Schicksal an, verrichtete die aufgetragenen Aufgaben, ohne aufzubegehren, doch in ihrem Kopf stritten widerspenstige Gedanken. Die Schuld an Mutters Tod hatte sie nie angezweifelt. Doch warum konnte sie den Gott, den der Pfarrer lobpreiste, nicht spüren? Innen und Außen standen in ständigem Widerstreit. Sie tat, was von ihr erwartet wurde, während etwas, wofür sie keinen Namen hatte, rebellierte. Trude spürte in ihrem Herzen ein aufblitzendes Feuer, eine Sehnsucht, die, sobald sie versehentlich nach außen entschlüpfte, an der Eiseskälte erstarb. Es mangelte ihr an lieben Worten und Zuwendung, auch wenn sie das nicht ausdrücken konnte. Sie spürte Vaters seelische Not sehr wohl und wollte ihn nicht durch Aufbegehren in Zorn versetzen. Trude war der Männergesellschaft und der baptistischen Gemeinde auf Gedeih und Verderb ausgeliefert. Sie hatte keine Macht, irgendetwas zu ändern.
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