Ansätze, das Übergangsgeschehen zu systematisieren, waren bisher stark durch die Hintergrundannahme bestimmt, der Übergang in den Beruf müsse durch festgeschriebene Strukturen geprägt sein. Der Realisierung eines so geordneten Übergangssystems stehen allerdings die festen Strukturen derjenigen Systeme selbst im Weg, zwischen denen Übergänge herzustellen sind. Hierzu zählen beispielsweise unterschiedliche Zuständigkeiten für verschiedene Aspekte des beruflichen Einstiegs, unterschiedliche Förderlogiken der relevanten Sozialgesetzbücher, eine fast ausschließliche Projektorientierung durch Fördermittelstrukturen ebenso wie die allgemeine Dynamik und regionale Unterschiedlichkeit der Arbeitsmärkte. Klare Abläufe, sogenannte »Förderketten«, lassen sich in der Praxis nur in seltenen Fällen und für begrenzte Zeiträume herstellen.
Der weiterhin zu konstatierende Orientierungsbedarf der Akteure und Akteurinnen des Übergangssystems bezieht sich somit auch auf die Frage, inwiefern ein institutionalisiertes Übergangssystem aus einem Guss überhaupt zielführend wäre. Könnte ein einheitliches Instrumentarium hinreichend flexibel auf Veränderungen des Arbeitsmarktes reagieren? Vielfach wird bereits von Arbeitnehmerseite das Gespenst des Fachkräftemangels beschworen, und in etlichen Regionen Deutschlands hat die demografische Entwicklung in den letzten Jahren dazu geführt, dass nun auch Jugendliche direkt in Ausbildung einmünden, die vor einigen Jahren noch durch eine oder mehrere Maßnahmen des Einstiegssystems in ihrer Ausbildungsreife unterstützt wurden. Daraus ergeben sich neue Herausforderungen an die Übergangsförderung.
Zudem stellt sich die Frage, ob eine frühzeitige und eindeutige Berufsorientierung überhaupt sinnvoll und sozial gerecht ist. Könnte ein vereinheitlichtes Übergangssystem junge Menschen mit der notwendigen berufsbiografischen Gestaltungskompetenz ausstatten, wenn es sich auf Interventionen in einem festgelegten Biografieabschnitt beschränkt? So wird beispielsweise im Vergleich mit Einstiegsverläufen von Abiturienten/Abiturientinnen und Akademikern/Akademikerinnen deutlich, dass längere Orientierungsphasen oder gar Auszeiten keineswegs als Sackgassen oder Warteschleifen zu stigmatisieren sind.
Vor dem Hintergrund dieser Überlegungen erscheint es weitaus hilfreicher, die Unübersichtlichkeit der Unterstützungsangebote im Zusammenhang mit den individuellen beruflichen Einstiegswegen der jungen Menschen, den damit verknüpften Entfaltungswünschen und Entwicklungsbedarfen, der Dynamik des Arbeits- und Ausbildungsmarktes und den Besonderheiten der jeweiligen Region als eine Ausgangslage zu verstehen, die gerade in ihrer Vielfalt Chancen für kommunale Koordinierungsprozesse bietet.
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Neue Ordnungslinien für Transitionsräume
Beatrice Ledergerber
Beginnt die große Welt im Kleinen? Niemeyer und Rüth plädieren im Artikel »Von der Quadratur des Kreises – Berufsvorbereitung im Spannungsfeld unterschiedlicher Förderlogiken« für die Kommunen als Raum der Integration in einen Arbeitsmarkt, der längst in globalen Wirkgefügen steht. Wird hier dem sozialromantischen Rückzug das Wort geredet? Oder bietet der kommunale Rahmen tatsächlich gute Chancen für gelingende Berufsintegrationsprozesse? Können in der lokalen Verengung die Komplexitäten und gesellschaftlichen Verwerfungen so weit bewältigbar vermittelt werden, dass junge Menschen – allen Misserfolgen zum Trotz – dennoch »dranbleiben«? Die theoretischen Ausführungen aus Deutschland fragen nach einer Schweizer Entsprechung aus der Praxis. Die Veränderungen in der Schweiz werden hier auf wenige Orientierungslinien verdichtet und deren Bedeutung als neue Ordnungslinien dargelegt. Die bestehenden »Irritationen« im System sollen zu handlungstauglichen Klarheiten führen. Die Berufsintegration steht in allen Kantonen vor ähnlichen Herausforderungen. Was die Lösungen betrifft, gehen die Kantone in helvetisch föderalistischer Tradition jedoch eigene Wege. Das Kleinräumige ist hierzulande systemimmanent, und diesem Umstand entsprechend werden die folgenden Überlegungen teilweise am Beispiel des Kantons Basel-Landschaft konkretisiert.
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