Nachdem sich unsere Entdeckungen herumgesprochen hatten, kamen andere und entdeckten mindestens 10 Inseln, zwischen den grossen und den kleinen, auf denen sie nichts anderes fanden als Tauben und eine unbestimmbare Zahl von seltenen und fremden Vögeln und Fische aller Arten. Aber lassen wir das.
Ich verliess also diese Insel und verfolgte meinen Weg weiter und sah zwei neue Inseln. Als wir an der Küste von einer [der Inseln] entlang segelten, die uns gut mit Wald bestanden zu sein schien, entdeckten wir die Mündung eines Flusses, der dort entsprang. Da wir annahmen, dass das Wasser gut sein würde, ankerten wir, um unsere Vorräte zu ergänzen. Einige meiner Leute, die an Land gegangen waren, liefen am Strand entlang zur Mündung des Flusses. Dort fanden sie kleine Mengen von sehr weissem, reinem Salz. Sie brachten grosse Mengen und Wasser auf das Schiff zurück. Letzteres schien uns sehr gut zu sein und wir tranken soviel davon wie wir wollten. Außerdem sollte ich erwähnen, dass wir hier in der kleinen, seichten Bucht eine grosse Zahl von viereckigen Schlangen, d. h. Meeresschildkröten fanden, deren Schildpatten grösser als Schilde waren. Die Matrosen packten davon einige und schlachteten sie und erklärten, dass sie von diesen Tieren bereits im Golf von Arguim gegessen hätten, wo man sie auch finden könne. Ich kostete auch davon, weil ich neugierig war, unbekannte Speisen zu probieren. Ihr Fleisch schien mir nicht schlechter als dasjenige von Kälbern zu sein, so geschmackvoll schien es mir zu sein. Wir ergänzten damit unseren Lebensmittelvorrat. Wir pökelten viele von ihnen ein, denn sie bedeuteten eine gute Versorgung für die weitere Reise … Wir fischten auch an der Mündung des Flusses und im Fluss und fingen eine unglaublich grosse Menge Fische, die wir zum grössten Teil nicht kannten. Sie waren gut und gross.
Das Bett des Flusses war so gross, dass ein Schiff von 150 Tonnen und von einer Breite eines guten Armbrustschusses ohne Schwierigkeiten einfahren konnte. Wir blieben zwei Tage, um uns auszuruhen und erlabten uns an den Tauben, mit denen wir eine Schlächterei machten. Man nehme zur Kenntnis, dass wir die erste Insel, auf der wir landeten, Boa Vista nannten, weil es die erste war, die wir sahen. Die andere, die uns die grösste zu sein schien, nannten wir Santiago, weil wir sie am Tage des Heiligen Philipp und Jakob betraten.»13
Die Reisebeschreibungen Cadamostos sind lediglich in einer Abschrift erhalten, auf die sich die gedruckten Ausgaben aus Vicenza 1507 stützen. 1508 erschien eine erste deutsche Ausgabe, 1556 wurde das Buch ins Französische übersetzt. Die Herausgeber verbanden den Bericht von Cadamosto mit Darstellungen der Entdeckungsreisen von Kolumbus, was wesentlich zum publizistischen Erfolg beigetragen haben mag.
Die Urteile der Historiker zum ausführlichen Bericht fallen unterschiedlich aus: Brulez betont seine Qualität und Präzision; Crone unterstreicht ebenfalls die genauen Beschreibungen und die Popularität des Berichtes. Peres gesteht Cadamosto eine «minutiöse Beschreibung» zu und betont auch, dass seine Erzählung von grossem Interesse sei, aber er spricht auch von Fehlern in der Chronologie und von Prahlereien. Derselbe Autor nimmt in der Folge kritisch zu verschiedenen Themen in Cadamostos Bericht Stellung, so zu den verwendeten Längemassen, zu den Zahlen des Sklavenhandels in Arguim und zu den angegebenen Daten. 14
In der Frage, wer nun die Kapverdischen Inseln entdeckt habe, spielte offensichtlich ein Streit zwischen Italienern eine Rolle; zwischen dem Venezianer Cadamosto und dem Genuesen Andrea da Noli. Letztlich lässt Peres die Frage des Erstentdeckers offen und plädiert für eine «doppelte Entdeckung». 15
Cadamosto erzählt ausführlich von seinen Begegnungen mit den Menschen an der westafrikanischen Küste während seiner zwei Reisen und weist sich als guter Beobachter der Naturlandschaften aus. Was die Kapverdischen Inseln betrifft, so waren die Riesenmeeresschildkröten hier früher sehr zahlreich. Der Fischreichtum ist noch heute typisch für die Gewässer des Archipels. Eher erstaunlich ist der Befund von Cadamosto, im Norden von Boa Vista eine Insel gesehen zu haben (möglicherweise die Insel Sal) und im Süden zwei weitere Inseln, nämlich Maio und Santiago. Alle diese Inseln sind heute von Boa Vista aus nur bei sehr guten Wetterbedingungen zu sehen.
Hier stellt sich die Frage nach dem Klimawandel vom 15. Jahrhundert bis heute: Die Küstenwälder der Insel Santiago sind ebenso verschwunden wie grosse Flüsse. Die Insel Boa Vista ist weitgehend wüstenhaft, mit einigen Oasen. Nach den Forschungen zur Geschichte des Klimas im Sahel (dazu werden die Kapverdischen Inseln gezählt) ist es wahrscheinlich, dass in der Zeit der Entdeckung der Kapverdischen Inseln ein wesentlich feuchteres Klima geherrscht hat, als dies heute der Fall ist. 16
Auch Kämmer vermutet, dass zwei Drittel der Kapverdischen Inseln um 1450 bewaldet waren. 17Der Rückgang des Waldes wird auf das Einwirken der Menschen zurückgeführt, namentlich auf die Abholzung für den Schiffsbau und die Überweidung durch Ziegen. Beim von Cadamosto beschriebenen Fluss könnte es sich um den Fluss von Ribeira Grande handeln, der auf späteren ikonografischen Quellen zu erkennen ist. Ein portugiesischer Seefahrer bestätigt in einem Bericht von 1550 die Existenz eines Flusses in Ribeira Grande. 18Heute zeugt bloss noch ein tief eingeschnittener Canyon von früheren grossen Wassermassen.
In der offiziellen portugiesischen Geschichtsschreibung wird die Entdeckung der Kapverdischen Inseln dem Genuesen Antonio da Noli und dem Portugiesen Diogo Gomes zugeschrieben und auf das Jahr 1460 datiert. Aus dem Bericht von Gomes sei zitiert:
«Ich und Antonio da Noli verliessen den Hafen von Zaya und segelten zwei Tage und zwei Nächte in der Richtung nach Portugal. Da sahen wir einige Inseln im Meer, und da meine Karavelle leichter war, erreichte ich als Erster die Insel und sah weissen Sand. Ich fand einen guten Ankerplatz und liess ankern, wie auch Antonio. Ich sagte ihm, dass ich als Erster das Land betreten wolle und so tat ich es auch. Wir sahen hier kein menschliches Zeichen und nannten die Insel Santiago: So wird sie noch heute genannt. Hier fanden wir Fische im Überfluss. Am Ufer sahen wir viele fremde Vögel und zahlreiche Bäche mit Süsswasser. Die Vögel waren so zahm, dass wir viele von ihnen mit Stöcken töteten; auch fanden wir eine grosse Zahl von Gänsen. Auch war hier eine Überfülle an Feigen, die allerdings nicht auf dieselbe Art wie bei uns an den Bäumen in der Nähe der Blätter wachsen, sondern am Stamm, von den Wurzeln bis zum Gipfel. Die Bäume wuchsen in grosser Zahl, auch gab es grosse Mengen an Gras.»19
Diogo Gomes (1420–1501) war Knappe (escudeiro) des portugiesischen Königs. Antonio da Noli (1415–1497) stammte aus Noli in der Region von Genua und diente unter dem Prinzen Heinrich dem Seefahrer in der portugiesischen Seefahrt. Er blieb auf den Kapverdischen Inseln und starb auf der Insel Santiago. Die Chronik von Diogo Gomes entstand um 1475. Sie wurde von Valentim Fernandez (eigentlich Valentin Ferdinand aus Mähren) für Konrad Peutinger ins Deutsche übersetzt und erschien als «Beschreibung der Westküste Afrika’s bis zum Senegal» erst 1860 im Druck. 20Auch Martin Behaim hat den Bericht gekannt. Es ist nicht überraschend, dass der Portugiese Gomes darauf drängte, als Erster an Land zu gehen, um die Inseln als Land der portugiesischen Krone in Anspruch zu nehmen.
Wie gesagt, der von Gomes beschriebene Fischreichtum der Gewässer um Cabo Verde besteht heute noch; viele Inseln zeigen Erosionsspuren und alte, jetzt ausgetrocknete Flussläufe sind zu erkennen. Bei den erwähnten Feigenbäumen könnte es sich um Ficus gnaphalocarpa gehandelt haben. Auch Gomes spricht in seinem Bericht von Bächen mit viel Wasser auf den Inseln. Heute kommt fliessendes Wasser auf den Kapverdischen Inseln in einer guten Regenzeit noch auf den gebirgigen Inseln Santiago und Santo Antão vor. Auf die klimatischen Veränderungen in den letzten Jahrhunderten auf dem Archipel soll später noch eingegangen werden.
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