Als Uthman, Anführer der Weißen Hammel, von dem nahenden Heer erfuhr, löste er einen Teil seines Lagers auf. Er ließ die Familien, Hab und Gut und vor allem das wertvolle Vieh ins Gebirge bringen. Mit nur tausend Stammeskriegern erwartete er den Feind. Süleyman schickte zweitausend Reiter voraus, die sofort von Uthman angegriffen wurden und trotz der Überzahl unterlegen waren. Süleyman Chelebi schäumte, als ihn die Boten davon berichteten. Er setzte seine ganze Armee in Bewegung. Inzwischen waren die Männer Uthmans, die die Herden in die Berge gebracht hatten, zurückgekehrt. Uthman nutzte die Gunst der Stunde und überfiel umgehend das Heer Süleymans, das sich noch im Marsch befand und daher nicht Aufstellung nehmen konnte. Uthman konzentrierte sich auf die Sipahi und deren Reiterei. Metzelte nieder, was ging. Der über diese Dreistigkeit verblüffte Süleyman überlegte kurz, ob er zum Rückzug blasen sollte, entschied sich dann aber für Angriff. Er richtete sich hoch auf seinem Pferd auf, damit alle ihn sehen konnten. Reckte seine Lanze zum Himmel und stieß den schrillen Kriegsschrei seiner Vorfahren aus. Er gab seinem Pferd die Sporen und stürmte mit Anfeuerungsrufen ins Getümmel.
Während die Reiter kämpften, rückten die Fußtruppen weiter gegen das Lager Uthmans vor. Der Nomadenfürst schickte vierhundert Reiter zurück, um die Lagerwachen zu unterstützen. So kam es, dass Hans das erste Mal als Janitschar tatsächlich in blutiges Kampfgeschehen involviert wurde. Wie schon bei Nikopolis erlebte Hans den Schlachtverlauf in einem einzigen großen Rauschen. Er funktionierte automatisch. Die Nomadenkrieger erwiesen sich als zähe Gegner. Hans brachte nur kurz den Bogen zum Einsatz. Zum Spannen und Zielen schien ihm die Zeit zu knapp. Er verlor bald seine Lanze, das heißt, er ließ sie in einem Nomaden stecken, weil er keine Zeit hatte, sie wieder herauszuziehen, da er zum Schwert greifen musste, um einen weiteren Angreifer zu enthaupten. Mit Schwert und Streitaxt behauptete er sich, gefangen in seinem Tunnel. Um ihn herum fiel Janitschar um Janitschar, von Pfeilen oder Lanzen durchbohrt. Eine Lanze schlug dicht neben ihm in den Boden. Als er herumwirbelte, sah er dem Nomadenkrieger, der sie geworfen hatte, direkt in die Augen. Der Krieger ließ seinen Schwertarm heruntersausen, und Hans wäre nur Sekundenbruchteile später tot gewesen. Doch mitten im Schwung verlor der Krieger die Kontrolle über seinen Arm, denn der segelte im hohen Bogen, das Schwert immer noch festhaltend, davon. Aus dem Stumpf schoss Blut. Ein Stich in den Rücken, und der Angreifer kippte tot um. Dahinter blitzte es blau. Dass da Yorick stand, grinste und »Gern geschehen« sagte, realisierte Hans erst später nach der Schlacht. Dann brach Yorick, von einem Schwerthieb in die Seite getroffen, zusammen.
Hans schnappte sich eines der herrenlos herumirrenden Pferde, hob seinen Freund auf dessen Rücken und saß dann auf. Wie damals in Nikopolis galoppierte er zum Rand des Schlachtfelds und hieb beidhändig mit Schwert und Axt nach allem, was nach Feind aussah. Er legte Yorick an einem Gebüsch ab, wendete das Pferd und stürzte sich ins Gemetzel. Er zog noch zwei verwundete Janitscharen zu sich hoch und brachte auch sie in Sicherheit. Zurück unter den Kämpfenden, trennte er mit dem Schwert einem Nomaden den Arm an der Schulter ab, als dieser einen vor ihm knienden Janitscharen den tödlichen Streich versetzen wollte. Hans zog auch diesen Janitscharen hoch und brachte ihn weg. Dass er eben Don Juan gerettet hatte, realisierte er nicht. Der Kastilier starrte ihn ungläubig an und schrie: »Du verdammtes Arschloch! Ich will dir nicht mein Leben schulden!« Dann brach er ohnmächtig zusammen.
Uthman, für den es inzwischen nicht mehr so aussah, als könnte er die Truppen Süleymans schlagen, zog sich mit seinen Leuten ins Gebirge zurück. Von dort aus schickte er einen Vermittler. Man handelte aus, dass Uthman mit seinem Volk geschont würde, wenn sie umgehend in die Heimat der Weißen Hammel zurückkehren und nie wiederkommen würden. Danach ließ Süleyman sein Lager vor den Toren von Sebast aufschlagen, und die Bürger schickten Abgesandte, die ihm die Stadt übergeben wollten. Süleyman jedoch fand, dass das nur seinem Vater zustehen würde. Erst nachdem Sultan Bayezid Tage später mit seinem Tross eintraf, wurde die Stadt besetzt. Bayezid bestimmte nicht Süleyman, sondern seinen jüngeren Sohn Mehmed als neuen Herrn für Sebast und das ganze Land Eretna mit den Städten Amasya und Kayseri, als Belohnung für Mehmed, der hier siegreich an seiner ersten Schlacht teilgenommen hatte.
Hans fühlte sich einsam in Sebast. Max, der in der Schlacht tapfer gekämpft hatte, war teilnahmslos wie immer. Yorick hatte eine Fleischwunde und lag verletzt im Krankenhaus der Stadt – ja, so etwas gab es, und es war kein Vergleich mit den schmutzigen, elendigen Siechenhäusern in der alten Heimat. Hans hatte einmal einen Onkel ins Siechenhaus vor dem Sendlinger Tor begleitet und war von dem Schmutz und dem Elend der Kranken nachhaltig schockiert gewesen. Hier jedoch war alles sauber, es kümmerten sich türkische und jüdische Ärzte um die Verwundeten, die erstaunlich rasch wieder auf die Beine kamen.
Seine Aynur war unerreichbar fern auf dem Weg nach Bursa. Hans versuchte, nicht dauernd an sie zu denken. Und genau dadurch dachte er erst recht ständig an sie. Ob und wie er sie in Bursa jemals wiedersehen würde, wusste er nicht. Dort würde der Harem von Wesir Memduh sicher deutlich besser bewacht sein. Er fürchtete, dass er ihr nie wieder so nahe kommen würde wie in den Nächten von Konya. Nie wieder. Bei dem Gedanken musste er einmal nachts heulen. Wenn er ehrlich zu sich war, was ab und zu vorkam, dann wusste er genau, dass es bei Konya bleiben würde und er sich alle Zukunftspläne aus dem Kopf schlagen konnte. Sie war die Konkubine eines mächtigen Mannes und er nur ein kleiner Militärsklave, ein Bursche, ein halbes Kind noch, das bald seinen achtzehnten Geburtstag feierte. Wenn sie wenigstens auch hier in Sebast gewesen wäre. Was Hans gehört hatte, gab es im Norden jenseits der hohen Berge ein christliches Kaiserreich namens Trapezunt. Es lag am Schwarzen Meer. Dort gab es, so sagte man, genuesische und venezianische Handelsniederlassungen. Dort gab es also Schiffe, die sie zurück nach Europa bringen konnten. Dorthin könnten sie es vielleicht gemeinsam schaffen, wenn sie Glück hätten. Wenn, wenn, wenn … Wenn sie nur wenigstens hier bei ihm wäre. Er bekam immer öfter Heimweh. Scheiß auf das Ende der Welt.
In seinen freien Stunden streunte Hans durch die Stadt. Manchmal begleitete ihn Max, trottete wie ein braves Hündchen nebenher, manchmal nicht. Mit jedem Streifzug faszinierte Sebast mehr. Nahe der uralten Stadt fanden sich noch verfallene Siedlungsreste der Hethiter aus der Zeit um 1000 vor Christus. Einige Bauten aus der Zeit der Römer und der Byzantiner waren noch gut erhalten, und Hans zeichnete sie in sein Heft. Vor allem aber beeindruckten ihn die Bauten der Seldschuken aus dem 13. Jahrhundert, die Blaue Madrasa mit den hohen, reich verzierten Minaretten und dem Portal, in dessen Giebel sich ein wundervolles Gewebe von Murqarnas und Knotenmustern schmiegte, die Madrasa mit doppeltem Minarett und die noch ältere Große Moschee. Nahe der Stadt entdeckte Hans die Ruine der alten armenischen Kirche des Heiligen Kreuzes, in der der Legende nach der Thron der Arzruni-Könige von Vaspurakan, einem versunkenen armenischen Großreich, aufbewahrt worden war. Er setzte Max auf einen Stein und nutzte die Kirchenruine für ein heimliches Gebet zum heiligen Johannes. Er hätte es nicht heimlich tun müssen, denn in der Stadt lebten immer noch viele griechische und armenische Christen, die ihren Glauben leben durften.
Yorick kam schon nach fünf Tagen quietschfidel zurück in die Soldatenunterkunft. Weil die Stadt nicht genügend Platz bot, hatten mehrere Ortas ihre Zelte außerhalb der Stadtmauern aufgeschlagen. Die Tage vergingen mit Wachdiensten und Waffenübungen. Aus Tagen wurden Wochen. Hans zeigte Yorick die alte Kirchenruine, zu der er häufig kam, weil er hier Ruhe fand.
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