Jörg
Juretzka
Nomade
Ein Roadmovie
Rotbuch Verlag
eISBN 978-3-86789-845-4
1. Auflage
© 2021 by BEBUG mbH / Rotbuch Verlag, Berlin
Umschlaggestaltung: Buchgut, Berlin
Umschlagabbildung: Anterovium/AdobeStock
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Rotbuch Verlag
Axel-Springer-Str. 52
10969 Berlin
Tel. 01805/30 99 99
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FÜR CORA UND VERENA
Spezieller Dank an Sleaford Mods feat. Billy Nomates für ›Mork n Mindy‹
Sämtliche Figuren dieses Romans sind frei erfunden.
Tiefe Nacht unter der Kuppel eines sternklaren, wenn auch mondlosen Himmels. Der Diesel nagelte gelassen vor sich hin, der Aufbau quietschte und knarzte, wann immer eines der Räder in eine Vertiefung sackte oder sich eine weitere hüfthohe Düne hochwälzte. Die Monotonie des Geschaukels und des erzwungenen Schneckentempos drohte mir allmählich den Saft abzudrehen, da erfasste mein Fernlicht das Wrack. Ich ließ den Truck darauf zurollen, stoppte und nahm den Gang raus. Das Auto, ein SUV mit Starrachsen, lag auf dem Dach, ausgebrannt und umgeben von wild verstreuten Ausrüstungsteilen. Es war nicht das Fahrzeug, das ich suchte, aber es sah so aus, als ob es noch nicht lange daläge. Und das nicht etwa entlang einer Piste, sondern mitten im wegelosen Niemandsland. Da stellt sich dann schon die Frage, was wohl mit den Insassen ist. Deshalb fuhr ich erst mal nicht weiter, sondern knipste den Suchscheinwerfer an, ließ den Lichtschein langsam hin und her über die platte Einöde streifen. Ein Paar schmaler, gelber Augen leuchtete kurz auf und verschwand blitzartig wieder. Ansonsten nichts als helle Dünen auf dunklem Geröll, wie Schaumkronen auf nächtlicher See, ununterbrochen bis hin zu der fernen Linie, wo die matte Schwärze des Landes auf die mit Gefunkel durchsetzte Schwärze des Himmels stieß. Müde presste ich den Zugschalter ins Armaturenbrett und der Motor verstummte. Dann klickte ich der Reihe nach alle Scheinwerfer aus und Dunkelheit senkte sich über die Szenerie. Mit kurzem Zischen blies die Bremse etwas Druck ab, als ich den Fuß vom Pedal nahm. Stille folgte. Knisternde Stille und fast völlige Finsternis, all der Sterne zum Trotz.
Bella hob den Kopf und sah mich fragend an.
»Feierabend«, entschied ich.
Sie erhob sich von ihrem Lager im Beifahrerfußraum, streckte sich einmal durch, schüttelte schlackernd den Kopf und trottete dann durch die schmale Passage nach hinten, in die Wohnkabine. Ich stieß die Fahrertür auf, schwang mich aus dem Sitz und kletterte die Sprossen runter. Der Wind hatte für den Moment etwas nachgelassen, und doch war es zu kalt für T-Shirt und Shorts. Am Heck löste ich die Verriegelung und ließ die Alutreppe runter, stieg rauf, öffnete die Tür. Bella kam heraus und zögerte kurz, bevor sie sich mit der ihr eigenen Skepsis hinabtastete. Die Lochblechstufen sind und bleiben ihr nicht geheuer. Ich hätte sie auch aus der Beifahrertür rauslassen können, doch der Truck ist zu hoch und Bella zu groß und zu schwer für solche Akrobatik. Von einem Haken an der Tür schnappte ich mir meine Windjacke und mein Stirnlicht und streifte beides über.
Bella war schon vorgelaufen, um das Wrack zu inspizieren. Es schien tatsächlich höchstens ein, zwei Tage alt, das Blech noch nackt und glänzend, wo es den Lack weggebrannt hatte, ohne auch nur einen Hauch von Flugrost. Ein Viertürer, das Dach komplett zu einer Seite weggeknickt, kein Blick ins Innere möglich. Den ringsum verteilten Krempel hatte der Wind schon halb unter Flugsand begraben. Alles war angekokelt, zerrupft, zertrampelt, aber, zumindest auf den ersten Blick, ziviler Natur – Kleidung, Campingausrüstung, Vorräte in Dosen, Kanistern, Tüten und Kartons. Keine Waffen, keine Munition, nichts in Tarnfarben. Gut so. Hätte es sich um ein Militärfahrzeug gehandelt, wäre ich augenblicklich weitergefahren. Man möchte nicht von einem übellaunigen, schwerbewaffneten S&R-Kommando überrascht werden, wie man in den Resten von etwas herumprockelt, das vielleicht ein Unfall, unter Umständen aber auch ein Anschlag gewesen sein konnte.
Bella schnüffelte eifrig, aber ohne einen Laut an der Karosserie herum. Solang sie still ist, hat sie noch nichts gefunden. Nichts oder niemanden, je nachdem. Nach einer Weile hob sie den Kopf, stand einen Moment steif da, und setzte sich dann in Bewegung, als ob sie von ihrer Nase gezogen würde. Ich seufzte unwillkürlich und ging ihr hinterher. Keine Minute später hörte ich ihr kurzes, heiseres Heulen.
Sie lagen in einer flachen Mulde. Die eine Leiche war komplett verbrannt, ein schauderhaftes, mit schwarzen Fetzen behangenes Gerippe, die andere nur zur Hälfte, von den Füßen hoch bis zur Hüfte. Der Wind, vermutete ich. Der verbliebene Torso – wahrscheinlich der eines Mannes, schwer zu sagen, die gelbäugigen Tiere der Nachbarschaft hatten ihn schon ausgiebig benagt, ein Anblick, der für immer bei mir zu bleiben versprach – war noch frisch genug, um zu stinken, etwas, das in der Wüste wegen der rapiden Austrocknung nur ein paar Tage anhält. Beide hatten je ein Loch in der Stirn und keine Hinterköpfe mehr. Hingerichtet, aus nächster Nähe.
Ich knipste das Stirnlicht aus, tätschelte Bella den Kopf und raunte ein paar Worte, halb lobend, halb tröstend. Drehte mich um, ging zurück und erklomm die Leiter, rauf auf den Dachgepäckträger, verschaffte mir einen Rundumblick. Kein Licht, kein Funkenflug, kein Anzeichen menschlicher Anwesenheit, soweit mein Auge reichte. Nach einem langen, tiefen Atemzug kraxelte ich wieder runter.
Zwei Zivilisten, ermordet. Direkt neben dem Tatort die Nacht zu verbringen erscheint ein bisschen eine bizarre Idee, doch die Täter würden nicht zurückkehren – wozu? – und Tote sind und bleiben die ruhigsten Nachbarn.
»Sollen wir?«, fragte ich, und wir machten uns auf unsere übliche, spätabendliche Runde, Bella wie immer dicht an meiner Seite. Sie ist es auch, die den Kurs bestimmt. Weil sie meinen Sinnen nicht so recht traut. Man mag es nicht für möglich halten, sich in einer Ebene zu verlaufen, doch es wird dunkel in der Wüste, viel dunkler, als man sich das als Städter vorstellen kann, und die Gleichförmigkeit mancher Landschaften bewirkt, dass da nichts ist, woran man sich orientieren könnte. Mit anderen Worten: Du gehst nachts ohne Lampe kacken und wenn du den Rückweg nur um ein paar Grad verpeilst, kann es sein, dass du anschließend dein Fahrzeug nicht wiederfindest.
Bella drängte mich sanft immer mal wieder ein bisschen nach links, zwischen der nächsten und dann der übernächsten Düne hindurch, so dass unsere Runde tatsächlich zu einer Kreisbahn wurde, die da endete, wo sie begonnen hatte. Zurück im Truck schloss ich die Tür hinter uns, streifte Jacke und Schuhe ab und zwängte mich in meine Koje. Bella rollte sich direkt neben meinem Kopfende auf einem Läufer zusammen, grunzte zufrieden und schlief ein, während mir noch eine Weile skelettierte und angefressene Leichen auf der Netzhaut herumtanzten.
Zum x-ten Mal fragte ich mich, was ich hier eigentlich tat, und warum. Leute suchen, Tote finden. Ganz ähnlich wie damals, in der Anfangsphase meiner Zeit als Privatdetektiv. Vom ersten Auftrag an war mir das Aufspüren Vermisster einerseits leichtgefallen, wie eine sich spontan manifestierende Begabung, und gleichzeitig seltsam abwegig erschienen, geradezu verstörend. Natürlich hoffst du, die jeweilige Person lebend, gesund und munter anzutreffen, die Gründe für ihr Verschwinden eigentlich trivial und bald vergessen. Umarmungen, Schulterklopfen, Tränchen, Happy End für alle. Doch in der sogenannten Zivilisation verschwinden Leute äußerst selten aus trivialen Gründen. Und um ahnen zu können, wohin sie sind, hilft es, zu wissen, woher sie kommen. Sobald du diesen Deckel lüftest, kriegst du – egal in welchem Umfeld – immer wieder Verhältnisse zu Gesicht, die geprägt sind von Erbärmlichkeit, Gier und Gewalt. Immer wieder Alk und Drogen, immer wieder niedere Beweggründe, immer wieder Missbrauch. Du kniest dich trotzdem rein, und wenn du den oder die Gesuchten endlich vor dir hast, dann sind sie so gut wie nie gesund und munter und schon gar nicht immer lebend. Irgendwann bin ich ausgestiegen, hab mir andere Jobs gesucht, andere Probleme aufgehalst und andere Beklemmungen zugelegt. Und jetzt rutschte ich da wieder rein, als ob ich wider besseres Wissen nicht genug davon bekäme.
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