»Na«, sagte ich, »wolln wir mal sehen, was der Maestro so hingezaubert bekommt.« Ich mischte Trockenfutter mit dem Reis und stellte ihr den Napf vor die Nase. Mit wohligem Grunzen machte sie sich drüber her. Sie ist ein großes Mädchen mit gehörigem Appetit, und sie mag alles, was ich ihr vorsetze. Lerne kochen, sage ich immer, wenn du sie an dich binden willst. Aussehen, Einkommen, Sex, Status – alles völlig überschätzt. Lerne kochen, lerne zu kochen, was sie mögen, und sie fressen dir aus der, tja, Hand.
Ich sackte wieder auf meinen Klappstuhl, qualmte ein bisschen was weg. Doch die große, die richtige Ruhe wollte sich nicht recht einstellen. Morgen früh, im ersten Licht, würden wir uns auf die Suche machen, und noch hatte ich keinen Plan, keine Vorstellung, wo anfangen und wohin von da aus.
Ich räumte den Tisch leer, ging rein und holte meine Kartentasche raus. Erst als ich die topographische Karte Südalgeriens auf der Tischplatte ausbreitete und sie liegenblieb, ohne dass ich beide Unterarme und mindestens einen Oberschenkel aufbieten musste, um sie am Davonflattern zu hindern, wurde mir mit einem dankbaren Seufzer klar, dass der seit Wochen unablässig blasende Wind plötzlich eingeschlafen war.
In der Schublade des Schreibtisches neben der Werkbank fand ich ein Lineal, einen Bleistift, einen Spitzer. Ich habe den Truck samt Einrichtung übernommen und brauchte bisher eigentlich immer nur Vorräte aufzustocken – Wasser, Diesel, Gas, Lebensmittel. Alles andere, von Schreib- und Küchenutensilien über Werkzeug bis hin zu bestimmten Ersatzteilen, ist zu meiner anhaltenden Verblüffung irgendwie vorhanden. Die defekte Spritpumpe zu reparieren hat damals auch deshalb drei Tage in Anspruch genommen, weil ich zweieinhalb Tage lang versuchte, die fehlerhafte Dichtung selber zu schnitzen, bis ich am dritten Tag in einer Schublade der Werkbank eine ganze Tüte voll Dichtringe gefunden habe, von denen gleich mehrere exakt passten.
Mithilfe des Lineals übertrug ich im Schein meines Stirnlichts die GPS-Daten auf die Karte, markierte unseren Standort mit einem präzisen Kreuz. Stand dann eine Weile da und sah es mir zufrieden an, bevor ich mir einen Ruck gab.
Die südlichen Ausläufer des Adrar des Ifoghas liegen wie die Finger einer gespreizten Hand auf der Ebene, die Finger dabei felsig, die Zwischenräume sandig. Wir befanden uns an einer Stelle ähnlich der Spitze eines rechten Zeigefingers, mit einer großen, halbrunden Ausbuchtung zur östlichen Seite und einem schmaleren, sich beständig verengenden Tal auf der westlichen. Beides zusammen war viel zu weitläufig, um es an einem Tag erkunden zu wollen, deshalb würde ich mich für eine Seite entscheiden müssen. Und selbst dann musste ich meine Suche räumlich eingrenzen.
Ich knipste mein Stirnlicht aus, fachte den Brenner an, inhalierte Dampf und ordnete meine Gedanken.
Legte man die Durchschnittsgeschwindigkeit, mit der wir uns herbewegt hatten, zugrunde, befand sich Timiaouine etwa anderthalb bis zwei Tagesreisen entfernt. Das bedeutete, die von dort gestartete viertägige Suchaktion war aller Wahrscheinlichkeit nach so vonstattengegangen: Der Suchtrupp war hier rausgefahren, hatte sich ein paar Stunden lang umgesehen und dann wieder auf den Heimweg gemacht. Die unmittelbare Umgebung sollte damit abgegrast sein.
Die Schweizer wollten Felszeichnungen suchen. Diese Bilder stammen aus der Eiszeit, als in der Sahara ein mediterranes Klima geherrscht hatte, mit entsprechender Vegetation und, wenn auch dünner, Besiedlung. Die riesige Zeitspanne seitdem konnten nur Zeichnungen an besonders geschützten Orten überstehen, unter überhängenden Felswänden etwa, oder in Höhlen, auf alle Fälle aber: im Gebirge.
Die Schweizer würden kraxeln müssen, wollten dabei aber ganz bestimmt ihr Mobilheim möglichst nahe zur Hand haben. Über den felsigen Zeigefinger zu fahren dürfte unmöglich sein, selbst mit einem Unimog. Blieben die sandigen Täler. Von hier aus in die Berge, möglichst kommod und so nah wie nur eben machbar ran.
Ich knipste das Stirnlicht an, ging rein, suchte und fand einen Zirkel, knöpfte mir die Karte noch mal vor und zeichnete einen Halbkreis um unseren Standort, der grob der halben Entfernung zu Timiaouine und somit ungefähr einer möglichen Tagesreise entsprach. Einen Halbkreis in Richtung der Berge. Irgendwo zwischen hier und da musste etwas passiert sein.
Ich machte die Lampe wieder aus, setzte mich, griff noch mal zu Brenner und Stanniol. Inhalierte, exhalierte, lehnte mich im Stuhl zurück. Möglichst kommod …
Der Gebirgsausläufer, an dessen Spitze wir campierten, erstreckte sich in Nord-Süd-Richtung, lag also quer zum Passatwind, der drüber hinwegrollt und an der Leeseite den Sand zu einem Chaos von Dünen verwirbelt. Auf der Luvseite bläst er dagegen nur gleichmäßig den Hang hinauf … Wollte ich möglichst kommod so nah es nur ging an die Berge heran, ich würde es durch das weite, halbrunde Becken auf der Vorderseite des Felsausläufers versuchen und nicht durch das sich immer weiter verjüngende Tal auf seiner Rückseite. Und je länger ich darüber nachdachte, je gründlicher ich das Für und Wider abwog, desto sicherer wurde ich mir, dass die Schweizer ganz ähnlich entschieden hatten. Also. Alles klar, alles ganz einfach. Die Fahrtrichtung für morgen früh stand fest. Wunderbar. Es geht doch nichts über einen Zustand entspannter Inspiration.
Die Sonne krallte sich mit gleißender Hitze in meine Lider und ich stöhnte auf, erwachte zu einem grausam verrenkten Hals in dem nicht wirklich zum Übernachten konstruierten Campingklappstuhl.
Noch nicht ganz wach schmiss ich schon alle am Vorabend gezogenen Schlüsse und darauf fundierenden Pläne über den Haufen. Drogen waren immer schon beschissene Ratgeber.
Möglichst kommod, mein Arsch. Die Schweizer mochten nur Hobby-Archäologen sein, aber sie hatten ihre Erfahrungen und ich schätzte, sie wussten, dass das, was sie suchten, sich in einem schroffen, engen Tal wesentlich eher finden lassen würde als in einem exponierten, halbrunden Becken.
Begleitet von Bella joggte ich mir die Steifheit aus den Extremitäten und möglichst auch das Opiat aus den Blutbahnen. Wir hoppelten in Richtung des westlich gelegenen Tals, wo ich mir schon mal einen ersten Blick im frühen Morgenlicht verschaffte, und ja, es war das vermutete Chaos aus kreuz und quer geblasenen Dünen, hellgelb und weich im Kontrast zu den kantigen dunkelbraunen Felsen des Ausläufers und der fernen Berge. Ich hielt an, Puls bis hoch in die Ohren, Atemzüge wie Messerstiche ins Zwerchfell, und besah mir die vor uns liegende Strecke mit einer nicht unfreundlichen und doch grimmigen Entschlossenheit. Hier zu fahren würde nicht einfach werden, doch wer will es schon einfach? Mann, ich konnte es kaum erwarten, in die nächste Oase einzufallen und den Leuten da von meinen neuesten Abenteuern zu erzählen.
Wir gingen zurück, aßen was, tranken was, ich ließ etwas Druck aus den Reifen für eine breitere Auflage, dann schwangen wir uns in die Fahrerkabine.
Bella wurde es bald zu schaukelig, sie glitt vom Beifahrersitz und rollte sich im Fußraum zusammen, mit Hintern und Schultern gegen die Wände links und rechts abgestützt. Ich aktivierte das kurz übersetzte Vorgelege des Getriebes, schaltete die Differentialsperren dazu und hielt das Lenkrad mit leichter Hand, ließ den Truck sich seinen Weg durch die Sandberge wühlen. Auf jedem Kamm orientierte ich mich neu und wurde mir immer sicherer, dass die Dünen zur Mitte des Tals hin abflachten, deshalb schwenkte ich in diese Richtung ein. Es gibt bei fast jeder Suche einen Moment, wo du dich einklinkst, wo deine Fühler Kontakt melden, wo du spürst, du liegst richtig, du kommst nah und näher. Mein Puls pumpte Adrenalin in meine Adern, schwemmte alles andere raus. Meine Augen waren weit, sahen alles, meine Sinne wach, sämtliche Antennen ausgefahren.
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