Eher lustlos und ziemlich hastig suchte ich den ganzen Kram zusammen, der rings um die Karosse verstreut lag. Sämtliche Behälter waren geöffnet, Schlafsäcke, ja selbst die Sitzpolster aufgeschlitzt, alles war zerrupft und durchwühlt worden, bis hin zum Luftfilterkasten. Die Täter hatten gründlich gesucht, das Fahrzeug regelrecht ausgeweidet, schließlich aufs Dach gerollt – um zu schauen, ob irgendetwas unter dem Wagen versteckt war – und letzten Endes zusammen mit den Leichen angesteckt. Um Spuren zu beseitigen oder wozu auch immer.
Ich ließ nur die Lebensmittel liegen, stopfte alles andere in den Motorraum, gab einen Schluck Diesel drüber, steckte es an. Ja, ja, ich weiß, das Klima. Doch in der Wüste verrottet nichts, man muss es verbrennen oder es vermüllt die Landschaft für immer. Der Wind blies die Flammen hoch, und im letzten, im allerletzten Moment griff ich noch mal hinein und zog den Luftfilter wieder heraus. Meine Finger hatten beim Reinstopfen etwas entdeckt, das mein Hirn erst ein bisschen später mitbekam: eine Klebenaht, rings um den Innenrand. Jemand hatte den Luftfilter aufgesägt, auseinandergenommen und nachher wieder zusammengeklebt. Ich riss die obere Hälfte ab. In einem sauber und kreisrund in das Filtermaterial geschnittenen Loch steckte ein Senfglas. Ich pulte es raus, besah mir den Filter noch mal gründlich, warf ihn zurück in die Flammen. Dann hielt ich das Glas hoch ins Licht. Es war voll harter, runder, fingerdicker, rotbrauner Stäbe. Opium, vermutlich iranisch oder afghanisch, wenn nicht jemenitisch oder sonst woher. Kaum ein bewaffneter Konflikt weltweit, der nicht auch mit Drogen finanziert wird. Doch das interessierte mich in diesem Augenblick nicht, schließlich hatte ich das Zeug nicht bezahlt. Ich schraubte den Deckel ab, holte einen Stab raus, schnupperte, leckte daran – bitterer als eine Kündigung, bitterer als eine Scheidung, bitterer als ein Haftantritt, also richtig, ernsthaft bitter – und fühlte eine Wärme, die an Zärtlichkeit grenzte. Ich würde schlafen, diese Nacht. Tief und fest.
Ich ließ die Toten, wo sie lagen, zog nur mein GPS-Gerät zurate und notierte ihre Position. Vielleicht wollte sie ja jemand holen kommen. Vielleicht wollte ja tatsächlich eine Behörde einen Blick drauf werfen. Dann schickte ich Mombassa eine SMS mit den Fakten, den Daten und der Fahrzeug-ID. Die Haarprobe würde ich versenden, sobald ich zurück in Tamanrasset war, die Fotos nur auf behördliche Anforderung. Sie waren im Grunde nicht zumutbar.
Bella und ich liefen noch eine kleine Runde, vertraten uns ein wenig die Füße, bevor wir einstiegen und unseren Weg fortsetzten, dem Züricher Ehepaar hinterher. Sie wollten ins Adrar des Ifoghas, einen Gebirgszug im Südwesten Algeriens, um nach Felszeichnungen zu suchen. Es gab exakte Koordinaten, einen klar definierten Punkt, von wo sich die beiden ein letztes Mal gemeldet hatten, und den steuerte ich jetzt an, so direkt es das Gelände zuließ. Noch zwei Tage, schätzte ich, vielleicht auch drei. Bella kraxelte auf den Beifahrersitz, legte ihr Kinn auf die Tür und ließ sich den Fahrtwind um die Nase streichen. Ich konzentrierte mich aufs Fahren, hing dabei meinen Gedanken nach.
Das Opium war ein seltsamer Fund. Zu viel, um, sagen wir, nur ein paar Urlaubsnächte zu verdösen, zu wenig, um als professioneller Handel Sinn zu ergeben. Ich vermutete, sie hatten das Zeugs irgendwo im Norden erstanden, um es in der Partyszene von Dakar zu verkaufen und so die Reisekosten wieder reinzuholen. Und zwanzig Jahre in einem afrikanischen Knast zu riskieren. Es ist erstaunlich, auf was für Ideen die Leute kommen, um ein bisschen Geld zu sparen. Aber es erklärte auch ihren Versuch, die Grenze nach Mali irgendwo im Nirgendwo zu kreuzen. Arme Idioten.
Wann immer ein Vorderrad eine Düne erklomm, wollte es da wieder runter, wann immer es in eine Mulde sank, wollte es tiefer hinein. Das Resultat war ein Schlingerkurs, der pausenlose Lenkkorrekturen erforderte, die mit der Zeit auf die Arme gingen, und von da in die Schultern. Das Fahren abseits der Straßen schlaucht. Selbst mit einem Lkw mit extra großen Rädern musst du obendrein ständig auf der Hut sein, dir nicht an einem halb im Sand verborgenen Felsbrocken einen Reifen zu zerschneiden oder eine Spurstange zu verbiegen. Von den Risiken, die gesamte Fuhre aufs Dach zu legen, mal ganz zu schweigen. Die Schweizer waren in einem Expeditionsmobil unterwegs, auf Unimog-Basis, viel besser und viel teurer geht’s nicht. Doch auch ein Unimog ist auf vier aufgeblasenen Gummibälgen unterwegs und hat – vor allem mit Wohnaufbau – einen hohen Schwerpunkt. Ein Fahrfehler genügt, die Kiste kippt um und steht von allein nicht wieder auf. Okay, rufst du eben Hilfe. Doch Satellitenkommunikation und GPS haben Wüstenreisen nur scheinbar sicherer gemacht. Mit deinem SatPhone musst du im Fall der Fälle auch tatsächlich jemanden erreichen, und der muss wiederum in der Lage sein, entweder selbst loszufahren und dich zu retten oder aber jemanden aufzutreiben, der Zeit und Lust dazu hat. Und das sind nur die logistischen Unwägbarkeiten. Mechanische, elektrische, elektronische kommen hinzu. Ladegeräte können kaputtgehen, ohne dass du es merkst. Das Telefon als solches braucht nur ein bisschen viel Mittagssonne abzukriegen und seine Innereien schmelzen dahin wie die Weinbrandbohnen im Mund von Tante Mia, ausgerechnet kurz bevor du, sagen wir mal, diesen Böschungswinkel unterschätzt. Oder dir, festgefahren, die Kupplung verschmurgelst. Obendrein sind die Dinger mittlerweile selbstverständlich alle klein und handlich. Passen in jede Hemd- oder Hosentasche. Fallen raus, völlig geräuschlos im tiefen Sand der wunderschönen Düne, die du gerade erklimmst, und tauchen erst fünfzig Jahre später wieder auf. So wie du, wenn du Pech hast.
Mit dem Sonnenstand kletterten die Temperaturen, auch die des Kühlwassers. Als die Anzeige endgültig in den roten Bereich zu wandern drohte, tauchte am Horizont ein Baum auf, mit flacher, breiter Krone. Ein Baum, ein einzelner Baum, seit Jahrzehnten, Jahrhunderten einsam und allein inmitten all dieser Wüstenei. Man möchte ihn in den Arm nehmen. Ich hielt darauf zu, steuerte den Truck in den Schatten, stoppte, stellte den Motor ab. Bella erhob sich, drehte sich auf ihrem Sitz und sah mich fragend an.
»Mittagspause«, sagte ich.
Je nachdem, wie klar der Himmel ist, wie heiß es wird, legen wir um diese Zeit meistens eine Rast ein, halten Siesta im Schatten des Trucks und fahren später weiter, bei Bedarf bis in die Nacht.
Ich klappte die Leiter am Heck runter, ging rein und kochte mir einen Becher Tee, den ich mit nach draußen nahm, wo ich mich im Schatten der Baumkrone und im Windschatten des Stammes auf den Boden hockte.
Der Nordost-Passat ist ein muskulöser, sportlicher Typ, dem, einmal in Fahrt, nicht so bald die Puste ausgeht. Und er ist ein sturköpfiges, übellauniges Arschloch. An manchen Tagen, manchen Orten, pulsiert er geradezu vor grimmiger Energie. Und er ist sandhaltig, biestig stechend sandhaltig, immer und überall, es kann einen den letzten Nerv kosten.
Bella streunte ein Weilchen herum, schnüffelte hier, schnüffelte da, bis der Wind auch ihr zu viel wurde, und gesellte sich dann zu mir.
Eines der Motive, meine – und Bellas – Talente hier in der Wüste zur Anwendung zu bringen, war wohl die Aussicht auf unkompliziertere Ursachen, wenn Leute verloren gingen. Verunfallt, verirrt, stecken geblieben, Sprit alle, ein Schaden am Auto. Natürliche, durch die karge Landschaft geprägte Notlagen, keine sozialen Gründe, und bitte keine familiären. Und damit einhergehend rechnete ich mir größere Chancen auf ein Happy End aus. Bisher, ich sag’s nicht gern, ohne den gewünschten Erfolg. Positiv betrachtet, hatte mich mein Entschluss aber zumindest davor bewahrt, mir am Rhein-Herne-Kanal, auf unseren täglichen Spaziergängen – vor allem aber auf dieser Bank, dieser Parkbank in der Nähe dieses Kiosks – umgeben von Bierpullen den Arsch abzulangweilen.
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