Wir fuhren bis in die Nacht hinein. Der Felsgrund neigte sich irgendwann wieder abwärts und wir legten noch ein paar gute, flotte Kilometer auf ebenem, festem Sand zurück, bis Bella unruhig wurde und ich den Truck auslaufen ließ.
Wir tippelten eine Runde unter den Sternen, dann füllte ich Bella den Napf und kochte Spaghetti. Goss das Wasser ab, teilte die Nudeln – eine Hälfte für Bellas Frühstück –, kippte die andere Hälfte in die Pfanne, mischte Olivenöl, Knoblauch, gehackte Chilischote und eine Handvoll kleingeschnippelter Trockenfrüchte darunter. Der Wind wehte mäßig, also baute ich Klapptisch und -stuhl draußen auf, nahm die Pfanne und ein Stück Fladenbrot mit hinaus und schaufelte mir mein Abendbrot rein. Ein schmaler Fingernagel-Mond zeigte sich am Horizont. Der Auspuff und andere heiß gewordene Teile des Trucks kühlten unter letzten, knackenden Geräuschen ab, danach herrschte Stille. Ich ging rein, wischte die Pfanne aus, verstaute sie in ihrer Lade, brühte mir einen Tee auf, kramte den kleinen Campinggas-Bunsenbrenner aus dem Schrank unter der Werkbank, riss einen Streifen Alufolie ab und schnappte mir ein Feuerzeug, einen gläsernen Strohhalm, ein kleines Küchenmesser und das Senfglas, packte alles draußen auf den Tisch. Windjacke, Jogginghose an, fläzte ich mich in meinen Campingstuhl, säbelte etwas bröckeliges Opium in die längsgefaltete Alufolie, brachte den Brenner zum Fauchen, hielt die Folie über die Flamme und saugte mir mit dem Trinkhalm den entstehenden Dampf in die Lunge. Bisschen heiß im Hals, bisschen bitter auf der Zunge, aber schon ein paar Minütchen später … aah. Jetzt der Tee. Perfekt.
Die Milchstraße beherrschte den Himmel, das Erstaunlichste immer wieder, dass so viel Masse, so viel unbändige Energie in solcher Geräuschlosigkeit vonstattengehen kann. Satelliten rasten kreuz und quer von Horizont zu Horizont und so dicht über meinen Kopf, dass ich meinte, sie mit der Hand einfangen zu können. Ja, genau. Haha. Mit der Hand. ›Like a voodoo chile‹. Ich dampfte noch ein bisschen was. Tee war alle. Wenn schon.
Bella leckte mir die Hand, schreckte mich auf. Zeit für den Abendspaziergang. Also denn. Vollkommen ebener Untergrund, vollkommener Frieden darüber. Absolutes Wohlbefinden.
Zurück am Truck holte ich mir zwei Decken raus, legte eine auf den Boden, streckte mich darauf aus und wickelte mir die andere um den Balg. Lag da, meinen Hund an meiner Seite, den Blick in die Unendlichkeit gerichtet, nur zu bereit, im warmen Schlick des Schlafs zu versinken. Alle Reiseführer warnen davor, doch mit genug Opiat im Blut verliert dieses ganze krabbelnde, schleichende, haarige oder hornige, beißende oder stechende, giftige Getier sehr, sehr, sehr, sehr viel von seinem Schrecken. Alle Reiseführer warnen ja auch davor, das Wasser zu trinken, und …
Die Sonne feuerte ihre ersten Strahlen hoch in den Himmel und quer über die Ebene, genau in mein Gesicht, voll auf die Zwölf. Ich kniepte ein Auge auf und nur eine Sekunde später füllte eine feuchte Hundezunge mein rechtes Ohr, gefolgt von freudigem Gehechel. Ich richtete mich auf, ausgeschlafen wie schon lange nicht mehr. Das Opium summte noch ein wenig in meinen Adern, doch nicht genug, um mich zu hindern, den neuen Tag mit einigem Elan anzugehen. Bella rannte vor, ich mit dem Spaten auf der Schulter hinterher, weit raus in die Ebene, wo ich mir völlig außer Atem ein Loch in den Boden stach, mich drüberhockte und … haarscharf daran vorbeischrappte, glubschäugig zu werden. Opium stopft, ich sag's euch.
Ein hastiges Frühstück, Sachen zusammengepackt, und schon saßen wir auf unseren Sitzen, ich glühte den Diesel vor, startete, wartete, dass der Druck im System die Bremsen freigab, und wir waren unterwegs. Fenster offen, Nase oder Ellbogen raus, gerader, fester Grund, die Sonne in den Spiegeln, rechte Hand in Bellas Fell, zwölfter Gang bei Halbgas und Rückenwind, müheloses, einfaches Rollenlassen. Kein Mensch, und nichts von Menschenhand Gemachtes weit und breit, allein unterwegs auf einem fernen, wilden Planeten.
Schon gegen Mittag kamen die ersten Gipfel des Adrar-des-Ifoghas-Gebirges in Sicht. Wir legten eine Pause ein, ich checkte mein SatPhone – keine neue Nachricht – und stellte die Navi-Funktion meines GPS-Geräts ein. Mit ein bisschen Glück würden wir den letzten bekannten Aufenthaltsort der Züricher noch heute Abend erreichen.
Keine neue Nachricht bedeutete auch keine Lösegeldforderung, oder noch keine. Sollte eine eingehen, würde ich sofort kehrtmachen und das Weite suchen. Wenn mich die letzten Jahre eines gelehrt haben, dann, mich nicht in die Geschäftspraktiken von Terrormilizen oder der Organisierten Kriminalität einzumischen. Staaten – ich meine: Staaten – haben ihre Schwierigkeiten damit, und die können sie behalten, was mich angeht. Nein, danke. War da, hab’s gesehen, hab’s getan, und hab mehr mit nach Hause gebracht als nur das bedruckte T-Shirt.
Bella und ich dösten ein bisschen, doch schon nach kurzer Zeit wurde ich zappelig, wollte weiter. Vielleicht, nur vielleicht, aber, verdammt, warum nicht?, vielleicht warteten die Züricher ja wirklich auf Hilfe, hatten sich entschlossen, den Schutz und die Vorräte ihres wie auch immer liegengebliebenen Fahrzeugs nicht zu verlassen und würden sich wie verrückt freuen, mich zu sehen. Ja. Ein kurzer, wärmender Gedanke, der nur allzu bald schon wieder der nüchternen Kühle erfahrungsgestützter Skepsis weichen musste.
Egal, wir fuhren.
Das Tageslicht schwand wie von energischer Hand abgedimmt und ich musste sämtliche Scheinwerfer einschalten, um den beständig unebener werdenden Boden auszuleuchten. Das Lenkrad war jetzt in ständiger Bewegung, der Schaltknüppel erst recht. Der Truck hat ein Sechs-über-Sechs-Klauengetriebe, bei dem jeder Gangwechsel durch den Leerlauf muss, mit Doppelkuppeln rauf, Doppelkuppeln plus Zwischengas runter. Braucht eine gewisse Eingewöhnung, doch anschließend wird man mit der Zufriedenheit belohnt, die die Handhabung einer anspruchsvollen, dafür aber wohlgeölt und höchst präzise arbeitenden Mechanik mit sich bringt.
Das Gelände wurde ruppiger, das Vorwärtskommen langsamer und schwieriger, doch ich hatte meinen Spaß. Das GPS gab jetzt kleine, piepende Geräusche von sich, in immer kürzer werdender Taktung, und mein Herz klopfte, weil wir uns unserem Ziel näherten und keiner sagen konnte, was uns da erwartete.
Nun ja. Ich fuhr bis zum Dauerton, stoppte und knipste das GPS aus. Was uns erwartet hatte, war – Überraschung – ein Stück Wüste, mit teils felsigem, vom Wind geschmirgeltem, teils sandigem Grund, und das, soweit das Licht der Scheinwerfer reichte. Ich schaltete sie aus, dann den Motor. Das Herzklopfen der Erwartung gab sich recht bald. Wir waren da, am Ziel, doch viel los war hier nicht. Na, mal sehen, was der Morgen brachte. Es ist immer ein kleines Ereignis, ein mildes Gefühl von Abenteuer, wenn du beim Aufwachen nur vage Vorstellungen davon hast, wo, in welcher Landschaft von welcher Farbe und Kontur du am Vorabend gelandet bist.
Bella verließ mich, trieb sich allein herum, das Luder, wie sie es schon mal gerne tut, ich kochte inzwischen Reis für uns beide. Rührte gekörnte Brühe mit hinein, und einen ordentlichen Schuss Olivenöl. Probierte. Schmeckte irgendwie … bäh. Mir war eh nicht so sehr nach essen. Wir waren da, angekommen am Ausgangspunkt unserer Suche, und das rieb mich auf. Okay, ich aß ein paar Löffel, fürs Gewissen, dann noch ein paar für die Konstitution, ließ den Rest bei geöffnetem Deckel auskühlen.
Holte den Klapptisch raus, den Stuhl, den Bunsenbrenner und was es sonst noch so braucht, um einen Tag am Steuer harmonisch ausklingen zu lassen und erzwungene Untätigkeit erträglich zu gestalten. Morgen war ein neuer Tag, und bis dahin …
Bella kam aus dem Dunkel angetrottet, rieb ihren Kopf an meinem Bein und gab dieses tiefe Grummeln von sich, das sich wie auf die Stimmbänder übertragenes Magenknurren anhört.
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