Über den Autor:
Dr. Karl-Heinz Brodbeck war bis 2014 Professor für Volkswirtschaftslehre, Statistik und Kreativitätstechniken an der Hochschule für Angewandte Wissenschaften Würzburg-Schweinfurt (FH) und an der Hochschule für Politik an der Universität München. Er ist Dharma-Praktizierender seit 35 Jahren; Vorsitzender des Kuratoriums der Fairness-Stiftung, Frankfurt a.M., Mitglied des wissenschaftlichen Beirats im Tibethaus, Frankfurt a.M., Kooperationspartner der Finance & Ethics Academy, Diex (Kärnten); Autor von 22 Büchern und zahlreichen Aufsätzen in internationalen Fachzeitschriften und Sammelbänden. In der edition steinrich erschien 2011 Buddhistische Wirtschaftsethik: Eine Einführung.
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KARL-HEINZ BRODBECK
SÄKULARE ETHIK
aus westlicher und buddhistischer Perspektive
edition steinrich
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Textgrundlage dieses eBooks ist die gedruckte Version des gleichnamigen Titels.
Alle Rechte vorbehalten
Originalausgabe
Copyright eBook: © 2015 edition steinrich, Berlin
Copyright der deutschen Ausgabe: © 2015 edition steinrich, Berlin
Umschlagentwurf und Umschlaggestaltung: Ingeburg Zoschke, Berlin
Gestaltung und Satz: Traudel Reiß
Druck: Westermann Druck Zwickau
Printed in Germany
eBook ISBN 978-3-942085-51-9
Inhalt
Einleitung
1 Einige Begriffserklärungen
2 Systeme abendländischer Moralbegründung
2.1 Einleitung
2.2 Aristotelische Tugendethik
2.3 Theologische Moralbegründungen
2.4 Kant’sche Ethik
2.5 Utilitarismus
2.6 Existentialistische Ethik
2.7 Biologische und neurologische Begründungen der Moral?
3 Aspekte der Ethik des Buddhismus
3.1 Die Ethik im ursprünglichen Buddhismus
3.2 Die Rede an die Kālāmer als säkulares Modell
3.3 Säkulare Ethik aus dem Geist der buddhistischen Philosophie
3.3.1 Überblick
3.3.2 Die Relativität aller Phänomene
3.3.3 Mitgefühl als ethische Wahrheit
3.3.4 Widersprüche in der traditionellen Karmalehre
3.3.5 Karma als säkulare Lehre
3.3.6 Ethik und Weltveränderung
3.4 Perspektiven über die säkulare Ethik hinaus
3.4.1 Einleitung
3.4.2 Ethik und Willensfreiheit
3.4.3 Wiedergeburt von Mustern
3.4.4 Zur Natur des Bewusstseins
3.4.5 Leerheit: Jenseits von Subjekt und Objekt
3.4.6 Tod, Wiedergeburt und absolute Gerechtigkeit
Literatur
Endnoten
Seine Heiligkeit der Dalai Lama hat mehrfach eine säkulare Ethik angeregt. {1}Nun gibt es im Abendland neben einer spezifisch religiösen Moral durchaus zahlreiche Ethikentwürfe, die sich an der Philosophie und nicht unmittelbar am Christentum orientieren. Im Buddhismus andererseits findet sich neben spirituellen Aussagen ein breiter Gedankenstrom, der rationale Argumente ins Zentrum rückt. Die rein ethischen Aussagen allerdings bleiben fast immer mit einer spezifisch religiösen Bedeutung verbunden – etwa in der Lehre von Karma, Wiedergeburt und Erleuchtung. Hier zeigen sich große Differenzen zur abendländischen Moralphilosophie einerseits, zum Christentum andererseits. Man kann aber – diese Überzeugung liegt dem nachfolgenden Text zugrunde – religiöse, philosophische und wissenschaftliche Perspektiven dennoch miteinander in ein Gespräch bringen. Das gelingt, falls man sich vor allem auf die vorgebrachten Argumente konzentriert, also darauf, wie jeweils moralische Aussagen begründet werden. Ich stimme Damien Keown zu, der den wohl bislang einflussreichsten westlichen Versuch einer buddhistischen Ethik vorgelegt hat, wenn er sagt:
»Ich glaube nicht, dass die Prinzipien der buddhistischen Ethik absolut einzigartig sind oder sui generis, noch akzeptiere ich, dass sie exklusiv in ihrer eigenen Terminologie verstanden werden können.«{2}
Die Idee einer säkularen Ethik, wie sie der Dalai Lama versteht, fordert auch eine Begründung, die sich nicht von religiösen Fundamenten abhängig macht. Er formuliert Vorschläge zur Entwicklung eines »neuen Ethiksystems«, das von der gemeinsamen Voraussetzung ausgeht, die das menschliche Leben überhaupt kennzeichnet. In diesem Horizont, so der Dalai Lama, gilt es, »eine Basis für unsere inneren Werte zu schaffen, die keiner Religion widerspricht, aber auch, und das ist von entscheidender Bedeutung, von keiner Religion abhängig ist.«{3} Für die westliche Tradition bestand die Schwierigkeit in der Moralphilosophie in jüngerer Zeit stets darin, nicht in eines der Extreme zu verfallen, die in der Moderne nahe liegen. Die Kritik der christlichen oder anderer theistischer Traditionen hat mit Friedrich Nietzsche schließlich jegliche Moral als Illusion und Projektion eher niederer Triebe zu entlarven versucht. Die theistischen Traditionen (Brahmanismus, Judentum, Christentum, Islam) sind durch das Festhalten ihrer jeweiligen Offenbarung charakterisiert. Sie reduzieren die Moral auf religiöse Gebote, die jeweils ihrer heiligen Schrift (Veda, Thora, Bibel, Koran) absolute Geltung zusprechen. Dieser Fundamentalismus findet sich in allen Traditionen, und er hat auch säkulare Nachfolger gefunden – z.B. im Historischen Materialismus oder in der neuen atheistischen Bewegung.
Es gibt aber in allen Morallehren neben direkten Vorschriften für das Handeln (= normative Ethik) auch Versuche, die jeweiligen Aussagen zu begründen. Diese Versuche bleiben oft rudimentär. Eine systematische Moralbegründung hat sich nur im säkularen Raum entwickelt, in der Philosophie Griechenlands, später in der Aufklärung, die sich von der religiösen Überlieferung emanzipierte. Als Motto für eine säkulare Ethik und ihre Begründung kann der Satz des Aristoteles aus seiner Nikomachischen Ethik gelten:
»Sittliche Einsicht hat der, welcher die Fähigkeit zu richtiger Überlegung besitzt.«{4}
Man kann mit etwas Wohlwollen auch in den theistischen Traditionen, wenn auch eher selten, die Aufforderung zur kritischen Prüfung der Glaubenswahrheiten finden. Avicenna übersetzt den letzten Satz von Sure 59.2 des Koran in diesem Sinn:
»Überlegt, o ihr, die ihr Einsicht habt.«{5}
Und Paulus sagt im Thessalonicherbrief, 5,21:
»Prüfet aber alles, und das Gute behaltet.«
Beide Aussagen lassen sich als Aufforderung zur rationalen Grundlegung der Ethik interpretieren. Eindeutig äußert sich hier der Buddha in seiner Rede an die Kālāmer, die ich im dritten Teil noch genauer darstellen werde – hier sei nur der letzte Satz zitiert:
»Wenn ihr aber, Kālāmer, selber erkennt: ›Diese Dinge sind unheilsam, sind verwerflich, werden von Verständigen getadelt, und, wenn ausgeführt und unternommen, führen sie zu Unheil und Leiden‹, dann o Kālāmer, möget ihr sie aufgeben.« (AN 3.66){6}
In der Kālāmer-Rede kann man nicht nur für den Buddhismus, sondern auch im allgemein philosophischen Kontext das Muster für eine rationale Moralbegründung erkennen, deren eindeutige Fragestellung erst im 18. Jahrhundert in der Aufklärungsphilosophie wieder erreicht wurde. Diese Rede des Buddha liefert mir auch die Hintergrundfolie der nachfolgenden Argumentation für eine säkulare Ethik. Sie belegt, dass es tatsächlich die buddhistische Tradition ist, die das große Potenzial zu solch einer Ethik bietet und damit ein Gesprächsangebot an andere religiöse Systeme darstellt, die der Vernunft eine zentrale Rolle einräumen. Die beiden kleinen Hinweise aus dem Koran und dem Thessalonicherbrief können hier als Zeichen für eine interreligiöse Verständigung in der Sprache der Philosophie dienen.
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