»Danke, Herr Oßwald«, sagte Pfeffer. »Das muss natürlich ein Schock für Sie sein.«
»Ja und nein. Dass er sich irgendwann totsäuft, war uns allen klar. Und die Gefahr, dass er dabei auch noch in den Farbtopf fällt … also, ehrlich gesagt, wundert es mich, dass das nicht schon viel früher passiert ist.«
»Wie meinen Sie das?«
Sebastian Oßwald zögerte und sah auf die Leiche, deren Konturen sich unter der Plane abzeichneten. Dann forderte er Pfeffer auf, ihm zu folgen, und ging durch eine Verbindungstür in den Nebenraum, in dem zwei monströse Waschmaschinen und große Schränke voller Färbemittel standen. Von hier führte eine weitere Tür in den Spritzraum. Auch hier Regale voller Farben und Pigmente. Dazu Spritzpistolen und eine gewaltige Absauganlage. »Kann ich hier schon was anfassen?«, fragte Sebastian Oßwald und bückte sich neben der farbbekleckerten Werkbank, die ganz am Ende des Raums stand.
Pfeffer nickte, die Spurensucher hatten diesen Teil des Raums bereits gecheckt.
Der Gewandmeister öffnete eine der Schubladen unten an der Werkbank und zog sie ganz heraus. Er kniete sich auf den Boden, beugte sich vor und langte mit dem Arm hinein. Fast der ganze Arm verschwand in der Tiefe der Aussparung. Als er ihn wieder herauszog, hielt er eine große Flasche Jägermeister in der Hand. »Da ist noch eine drin«, sagt er. »Sepp hat gedacht, dass niemand sein Geheimversteck kennt. Jeder kannte es. Die verkürzte Schublade hat er sich mal von einem Spezl in der Tischlerei anfertigen lassen.« Er langte noch einmal hinein und zog die zweite Flasche Kräuterschnaps hervor.
»Ich glaube, Sie fassen jetzt doch nichts mehr hier an«, sagte Max Pfeffer trocken. »Die Spurensicherung sollte da noch mal ran.«
»Es ist doch ein Unfall gewesen, oder? Warum machen Sie eigentlich einen solchen Aufwand?« Die beiden Männer verließen den Spritzraum, passierten den Waschmaschinenraum und blieben im Färberaum vor den raumhohen Regalen voller Farben stehen.
»Weil die Art, wie Ihr Kollege ums Leben gekommen ist, durchaus auch die Möglichkeit einer Fremdeinwirkung zulässt. Natürlich sieht es nach einem Unfall aus, aber er könnte in den Farbbottich gestoßen worden sein.«
»Stimmt. Wäre nicht unwahrscheinlich.«
»Wie darf ich das verstehen?«
»Ach, vergessen Sie’s. Ich und mein loses Mundwerk.« Sebastian Oßwald machte eine wegwerfende Handbewegung und kratzte sich dann an der Nase. »Tut mir leid. Ich klinge für Sie total herzlos, aber ich weiß nicht, wie ich mit der Situation umgehen soll. Er war mein Kollege seit zwei Jahren, und ich hatte kein besonders gutes Verhältnis zu ihm. Niemand hatte ein gutes Verhältnis zu ihm. Ich kann Ihnen gerne beizeiten mehr darüber erzählen.«
»Ich bitte darum.«
»Es ist nur so … bei mir ist noch nie jemand gestorben, den ich gut kannte oder dem ich irgendwie nahestand. Und sei es nur als Kollege. Es ist der erste Tote in meinem Umkreis. Und alles, was ich kann, ist sarkastische Bemerkungen fallen lassen.«
»Das ist nichts Ungewöhnliches«, sagte Pfeffer. »Jeder reagiert anders. Sagen Sie, diese Praktikantin, die den Toten gefunden hat, seit wann ist die bei Ihnen?«
»Die ist gar nicht bei uns. Die ist von der Oper. Wir teilen uns hier die Räume mit der Staatsoper. Ist ja gleich nebenan.« Er deutete auf das Regal an der linken Wand. »Das sind alles Opern-Farben.« Er zeigte auf das Regal rechts. »Die dort drüben sind unsere. Darf ich nun gehen, oder brauchen Sie mich noch?«
»Ich hätte schon noch einige Frage über Ihren Kollegen an Sie.«
»Muss das hier sein?«
»Nein.« Pfeffer sah den jungen Mann an. Der blickte mit seinen grünen Augen tief in Pfeffers rehbraune. Den entscheidenden Tick zu lange, wie er schnell merkte. Sebastian Oßwald senkte verlegen den Blick.
Pfeffer schmunzelte und fuhr fort: »Nein, natürlich muss das nicht hier sein. So schnell geht das sowieso nicht. Es kann auch gut sein, dass gar keine Frage offenbleiben. Wenn zum Beispiel die Obduktion ergibt, dass keinerlei Fremdeinwirkung vorliegt.«
»Ah so.« Sebastian Oßwald grüßte lässig. »Sie wissen im Zweifelsfall ja, wo Sie mich finden können.«
»Warten Sie bitte«, sagte Pfeffer. »Zeigen Sie den Kollegen von der Spurensicherung noch den Arbeitsplatz Ihres Kollegen? Danke.«
»Sahneschnitte«, sagte Annabella Scholz, als sie zu ihrem Chef trat und dem Gewandmeister hinterhersah.
»Das kannste laut sagen«, raunte Max Pfeffer. Er fand, dass er sich gut im Griff hatte, dafür dass er bekifft war.
»Wer war das?«
»Der Gewandmeister.«
»Und was ist ein Gewandmeister?«
»Keine Ahnung!«
»Aha.« Die Kommissarin sah ihren Chef schief an. »Aber das wirst du bestimmt bald herausfinden.«
»Erraten. Und du findest jetzt heraus, ob die Lüftung auch lief, als die Praktikantin den Toten fand.«
09
»Die Praktikantin ist sich absolut sicher, dass die Lüftung lief, als sie den Toten fand«, referierte Annabella Scholz am nächsten Morgen ihre Recherchen. »So wie immer, wenn gefärbt wird. Das Zeug dort ist so giftig, dass es nur mit laufender Entlüftung verwendet werden darf. Die ganze Kammer wurde erst vor Kurzem renoviert, und die Anlage ist quasi neu. Die Frau ist übrigens erst seit einer Woche bei der Staatsoper.«
»Dann kann er also nicht von den Dämpfen ohnmächtig geworden sein. Gibt es schon Neuigkeiten aus der Pathologie?«
»Deine Freundin Gerda lässt ausrichten, dass du sie für die ersten Infos gleich mal anrufen sollst.« Die Kommissarin legte ihren Notizblock zur Seite. »Ach, und es wäre nicht schlecht, wenn du dich mit dem Oberstaatsanwalt zusammensetzt oder auch auseinandersetzt. Klingt völlig konträr, oder? Wenn man mal darüber nachdenkt, bedeutet aber letztlich beides dasselbe. Zusammensetzen – auseinandersetzen. Nein, bedeutet natürlich absolut nicht dasselbe … aber …«
»Du solltest beizeiten noch Germanistik studieren, Bella.«
»In einem anderen Leben, Chef. Die Staatsanwaltschaft will jedenfalls partout keine Gelder für eine Radiocarbonanalyse lockermachen.«
»Radiocarbonanalyse?«, fragte Pfeffer irritiert.
Annabella Scholz schlenderte zur neuen, chromblitzenden Espressomaschine, nicht irgendeine, sondern der Rolls-Royce unter den Espressomaschinen. Max Pfeffer hatte das Gerät auf eigene Kosten für teures Geld angeschafft, weil er die langweilig-bittere Plörre nicht mehr herunterwürgen konnte, die zuvor aus der asthmatisch röchelnden alten Kaffeemaschine getröpfelt war. Bella fühlte sich jedes Mal wie ein italienischer Barista, wenn sie die Dampfdüse in das Milchkännchen tauchte und Schaum produzierte. Fettarme H-Milch, so hatte sie gelernt, war die beste Schaumgrundlage, denn das Fett von Vollmilch verhinderte die Anreicherung mit Luftblasen. Bella war die Einzige, der Pfeffer erlaubte, mit der Maschine zu hantieren.
»Du wolltest doch eine Radiocarbonanalyse des Skeletts von Zacherlkirchen, oder? Der Staatsanwalt sieht dazu keine Notwendigkeit, denn laut deiner Freundin Gerda Pettenkofer und diesem Doktor Keppler handelt es sich um einen historischen Fund. Also soll da kein Geld verschwendet werden.«
Pfeffer seufzte. »Mach mir bitte auch einen Espresso macchiato. Danke.« Dann griff er zum Telefon. Bevor er eine Nummer wählte, legte er wieder auf und fragte: »Wie war das noch mal mit Angehörigen des Toten? Die Kollegen haben niemand ausfindig machen können?«
»Nein«, antwortete Bella. »Falls du den Toten vom Theater meinst. Der Mann lebte alleine in einer Zweizimmerwohnung im Schlachthofviertel, Schmellerstraße. Er hat keine Kinder – zumindest keine, von denen wir wissen –, keine Frau oder sonstige Lebensgefährten, nicht einmal geschieden. Auch keine Geschwister. Seine Eltern sind verstorben, die Mutter erst vor zwei Jahren, wenn ich mich recht erinnere. Steht in dem Bericht, der auf meinem Schreibtisch liegt. Sieht vorerst so aus, als würde niemand um Joseph Bloch trauern. Ach, und wundere dich nicht – es gibt auch kein Mobiltelefon von ihm. Er hatte keins, hat dieser Gewandmeister auch bestätigt.«
Читать дальше