1 ...7 8 9 11 12 13 ...19 »Alles klar.« Pfeffer tat so, als wüsste er Bescheid. Männlein oder Weiblein. Seine Chancen standen fifty-fifty. »Also ein Bilderbuchmann.«
»Treffer, Pfeffer. Ein Mann. Außerdem nicht sehr groß, vielleicht um die einssechzig bis einsfünfundsechzig. Nach dem Zustand der Schambeinfugen würde ich sagen, dass er zwischen dreißig und vierzig Jahre alt gewesen sein dürfte. Aber da lege ich mich noch nicht fest. Da das Skelett komplett scheint, hat es meiner Meinung nach also wenig bis keinen Sinn, wenn die Kollegen nun noch das Loch weiter ausgraben und weitersuchen. Zumal es so scheint, als wärt ihr ganz umsonst gekommen, Maxl.«
»Wieso?«
»Nun, mir kam gleich ein Verdacht. Darum habe ich den Staatsanwalt gebeten, Doktor Keppler zu informieren. Wir erinnern uns? Er ist vom Landesamt für Denkmalpflege. Normalerweise schicken die bei solchen Funden einfach einen Grabungsleiter oder Grabungstechniker, doch Doktor Keppler ist sogar Archäologe.«
»Wir leiden momentan unter Personalmangel«, mischte sich nun der Archäologe ein, während er eine Pfeife stopfte. »Außerdem lebe ich hier in Zacherlkirchen, da lag es nahe, dass ich vorbeischaue. Frau Doktor Pettenkofer war so freundlich, mich rufen zu lassen, denn allem Anschein nach haben wir es hier mit keinem aktuellen Todesfall zu tun.« Er deutete auf die Grabenführung. »Sehen Sie, der Bagger hat das komplette Skelett ausgehoben. Ein Zufall, sicherlich, der jedoch gut zu meinem Verdacht passt. Wenn es sich um eine normale Bestattung gehandelt hätte, wäre die Leiche ausgestreckt in der Erde gelegen, ein kompletter Aushub wie dieser wäre also ein sehr, sehr großer Zufall. Praktisch unmöglich. Doch die Schaufel hat mit nur wenigen Bewegungen das komplette Skelett ausgehoben. Meiner Ansicht nach handelt es sich hier eindeutig um eine Sekundärbestattung. Die Knochen wurden als kleines Bündel arrangiert und dann in einem flächenmäßig recht kleinen Grab beigesetzt. Es gibt keine Spuren an den Knochen, zumindest soweit wir das bisher beurteilen konnten. Außerdem keine Beigaben, keine Kleidung, kein Schmuck, nichts. Erstaunlicherweise ist das Gebiss fast komplett, nur der obere linke Schneidezahn fehlt, dafür haben fast alle Backenzähne Karieslöcher. Weder Plomben, noch Kronen oder Füllungen. Nichts.« Er steckte sich die Pfeife in den Mund und zündete sie umständlich mit einem silbernen Feuerzeug an.
»Auch keinerlei Gewebeanhaftungen, keine Hautreste, Fleisch oder Ähnliches«, ergänzte die Rechtsmedizinerin. »Alles weg.«
»Der Tote wurde schon einmal woanders begraben, ausgegraben und dann wieder hier beigesetzt?«, fragte Annabella Scholz und notierte etwas auf ihrem Block.
»Höchstwahrscheinlich bis sicher«, antwortete Doktor Keppler. »Nun macht das Fehlen jeglicher Kleidung, jeglicher Beigaben eine Zuordnung und vor allem eine Altersbestimmung wahnsinnig schwer. Außerdem hat der Bagger zwar die Erdschichten freigelegt …« Er deutete in den Graben. »Doch wir wissen bekanntlich nicht, in welcher Schicht die Knochen lagen. Wir können daher auch nicht nachvollziehen, ob jemand erst kürzlich eine Grube ausgehoben hat. Der Bagger hat für meine Arbeit zu großen Schaden angerichtet. Außerdem ist die Fundstelle ausgerechnet ein Gemüsebeet.« Er bückte sich und hob eine verschrumpelte Karotte hoch. »Offenbar gelbe Rüben. Da sind die obersten Schichten vermutlich eh oft umgegraben worden. Dazu noch der Bach da hinten, die Laff. Die hat in den letzten zehn Jahren viermal starkes Hochwasser geführt, da war alles bis fast an die Häuser heran überflutet. Da wurden sicher Erdschichten abgetragen oder angeschwemmt. Sie sehen, gar nicht so einfach. Doktor Pettenkofer und ich sind uns aber auf jeden Fall darin einig, dass nach optischer Begutachtung des Fundes der Tote mehrere Jahrzehnte, wenn nicht gar Jahrhunderte … ähm … ja … eben tot ist!«
»Ein historischer Fund?« Pfeffer sah die Rechtsmedizinerin fragend an. »Dann wären wir hier wirklich überflüssig.« Er erinnerte sich an einen ähnlichen Fall in seiner Karriere. Da hatte man in einem noblen Münchner Vorort mitten im Vorgarten der Doppelhaushälfte eines Lehrerehepaares bei Kanalarbeiten ein Skelett gefunden. Pfeffer war damals als ermittelnder Kommissar hinzugezogen worden. Doch dann fand die Spurensicherung einen goldenen Ring sowie zwei Tonkrüge. Ein herbeigerufener Mitarbeiter des Landesamts für Denkmalpflege hatte die Fundsachen sofort ins erste Jahrhundert nach Christus datieren können, und damit hatte das Lehrerehepaar in seinem Vorgarten einen toten Kelten, kein Mordopfer.
Daher fragte Pfeffer: »Was meinen Sie? Keltisch? Bronzezeit?«
Der Archäologe schüttelte den Kopf. »Ich denke nicht. Es fehlen die Grabbeigaben. Natürlich kann es sein, dass irgendwelche Grabräuber ein keltisches Grab geplündert, alles mitgenommen und die Gebeine dann in einer Grube entsorgt haben. Alles möglich!«
»Dann wäre es aber auch möglich, dass wir es hier doch mit einem Mordopfer zu tun haben und die Behörden sehr wohl ermitteln müssen, oder?« Pfeffer sah den Wissenschaftler durchdringend an. »Wenn ich zusammenfasse, dann könnte es sein, dass ein historischer Fund vorliegt. Könnte reicht mir nicht. Konjunktive sind ein schwaches Argument. Selbst wenn wir es hier mit einem Verbrechen zu tun haben, das mehrere Jahre oder einige Jahrzehnte zurückliegt, müssen wir ermitteln.« Er ging langsam zu dem Skelett auf der schwarzen Folie und betrachtete es. Karamellbonbonfarbene Knochen. Pfeffer kamen sie alt vor, was aber nur an der leicht gelblichen Farbe lag. Was hatte er erwartet? Ein strahlend weißes Gerippe? Gebleicht von der erbarmungslosen Sonne des Llano Estacado wie bei Karl May? Neben den Gebeinen lagen auf einer kleineren gelben Folie ein paar Gegenstände, die die Spurensicherung bisher aus den Erdhaufen herausgefiltert hatte: vier Kronkorken verschiedener Münchner Biere, zwei große Scherben einer Colaflasche, ein paar kleine blau-weiße Porzellanscherben, das Skelett eines Maulwurfs, ein Zehnpfennigstück von 1952, eine verrostete Gabel, einige krumme, verrostete Nägel und das vermoderte Stück eines Balkens.
»Nicht sehr keltisch«, sagte Kommissarin Scholz und sah dann auf, weil sich die beiden Blaumänner der Gruppe näherten.
»Chef«, sagte der kräftigere Blaumann zu Max Pfeffer und grüßte lässig, indem er die Hand kurz anhob. »Können wir jetzt abhauen? Oder braucht ihr uns noch?«
»Wofür ziehen Sie hier den Graben?«, fragte Pfeffer.
»Neue Glasfaserkabel der Telekom«, antwortete der Blaumann. »Und Kanalisation für die Gebäude der Kirche da drüben. Das ist die Strecke, in der sie in den Fünfzigern mal die Kanalisation und Wasserversorgung angelegt haben. Der alte Kanal ist total marode. Habe ich eben Ihrem Frollein Kollegin schon erzählt.« Er sah Annabella Scholz provozierend an, wartete auf eine Reaktion. Doch die Kommissarin erwiderte seinen Blick ruhig und teilnahmslos.
»Quer durch die Gärten?«, fragte Pfeffer. »Nicht vorne an der Straße?«
Der Arbeiter zuckte mit den Schultern. »Ist wohl die kürzere Strecke, oder?«
»Na, wenn der Graben einem alten Graben folgt, können wir das mit den Erdschichten eh vergessen«, warf Doktor Keppler ein.
»Was haben Sie eigentlich sonst noch so gefunden mit Ihrem Bagger?« Pfeffer deutete den Graben entlang.
»Nix. Was soll man schon finden?« Der Blaumann steckte die Hände in die Taschen. »Kronkorken, Scherben und immer wieder Bauschutt, der irgendwann einfach entsorgt wurde. Das übliche. Da drüben, zwei Häuser weiter, waren lauter alte Badezimmerkacheln verbuddelt. Mann, das waren früher Bauernhäuser, da wurde auf dem eigenen Grund entsorgt. Da hat niemand nach gefragt.« Er deutete mit der Fußspitze auf das Skelett. »Wer weiß, vielleicht hat irgendjemand mal einem alten Bauern nicht den Austrag gegönnt …«
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