Es dauerte seine Zeit, bis ich wieder zu Gott fand. Anfangs habe ich ihm seitenweise Briefe geschrieben und ihm alles erzählt, wie es um mich steht. Erst nach und nach fing ich dann an, mit ihm zu sprechen, so wie man sich mit dem besten Freund unterhält. Irgendwann bemerkte ich dann immer mehr, dass er mir auf alle meine Fragen eine Antwort gab und mich nie alleine ließ. Er war sogar rund um die Uhr für mich da. Gott erklärte mir, dass es zwar schön ist, wenn ich ihn in der Kirche aufsuche um zu beten, zu meditieren oder mit anderen Gläubigen Gottesdienste zu feiern, dass er sich aber genau so sehr darüber freut, wenn ich ihn an anderen Orten besuche. Auf meinem Weg zurück zu Gott lernte ich immer mehr, dass er einfach überall ist. In jedem Menschen, denn er wohnt in unseren Herzen. Dort hat er sich einen Platz reserviert, um mit uns – wenn wir dies wollen – gemeinsam durch unser Leben zu gehen. Außerdem wohnt er in jedem Tier, in jeder Pflanze. In der belebten wie der unbelebten Natur. Gott verkörpert die Schöpfung und ist somit alles. Somit ist er für mich fühlbar und lebendig in allem, was da ist.
Heute bin ich mir der Präsenz meines Gottes so bewusst wie noch nie und kann aus ganzem Herzen sagen: „Gott wohnt in mir. Ich bin sein Kind.“ Heute beginne und beende ich den Tag im Gespräch mit Gott. Und dass das so ist, ist wunderschön und tut unwahrscheinlich gut. Ich kann jeden Tag mit Gott meine Gedanken klären. Teile mit ihm Freud und Leid. Gehe ich abends aus irgendeinem Anlass heraus mit Traurigkeit, Schmerz, Sorgen oder Ängsten zu Bett, die ich vorher Gott anvertraut habe, dann spüre ich morgens bereits beim Aufwachen, dass sich Gott dieser Probleme angenommen hat, dass er bereits wieder um eine Lösung weiß. Er liebt mich so sehr, dass er sich in allem stets nur das Beste für mich wünscht. Und er lässt mich im Kleinen wie im Großen jeden Tag aufs Neue so viele seiner Wunder erleben. Ich musste nur selbst erst lernen, diese Wunder zu sehen. Ich musste erst von zuhause weg und mich als Frau der Aufgabe widmen, mit Gott auch mal zu streiten, zu zürnen, mit ihm zu ringen, mir ein anderes, mein eigenes Gottesbild zu erschaffen. Und dieses neue Bild erlaubt mir heute zum Glück ein ganz anderes Denken, Fühlen, Sehen und Erleben von und mit Gott.
Heute weiß ich, dass Erwachsenwerden auch bedeutet, dass sich das Gottesbild unserer Kindheit wandeln darf, ja mitunter sogar wandeln muss. Und dabei ist es wichtig, dass wir uns erlauben, dass wir selbst wissen, was Gott für uns ist und wie wir ihm im Leben begegnen. Und Gott hat mir erklärt: Es ist wichtig, dass wir aus einem ganz anderen Blickwinkel heraus auf all die Ereignisse und Begebenheiten in unserem Leben schauen. Denn dann stellen wir fest, dass all die Dinge, die in unserem Leben geschehen, nicht irgendwelche „Richter-Sprüche“ eines strafenden Gott-Vaters sind. Sondern dass alles, was wir in unserem Leben an diversen Herausforderungen, ja sogar an Krankheiten, sogenannten Schicksalsschlägen und Krisen erleben, einzig und allein ausschließlich Lernaufgaben sind. Lernaufgaben, die uns als Menschen ereilen, weil wir Seelen sind, die immer wieder in menschliches Leben inkarnieren, um diese Erfahrungen überhaupt machen zu können, da wir sie nur in einem menschlichen Körper machen können. Deswegen sind wir hier. Und ja, manchmal sind diese Erlebnisse wunderbar. Dies nennen wir dann die „guten und schönen Zeiten“ in unserem Leben.
Doch es gibt auch Ereignisse und Krisen, wo wir das Gefühl haben, als könnten wir im Hinblick auf diese Herausforderungen nicht bestehen. Das nennen wir dann die „schlechten Zeiten“, über die wir alle nicht gerne reden. Und trotzdem sind für uns auch diese Zeiten bestimmt. Für den einen früher, für den anderen später. Für so manchen scheinen sie eine „Dauergabe“ zu sein. Je nachdem wie viel wir uns zu lernen für dieses Leben vorgenommen haben. Ganz gemäß der Regie unseres Lebensplans. Gemäß dem Lebensentwurf, den wir vor unserer Inkarnation mit Gott-Vater so besprochen haben. Nur haben wir durch den Prozess unserer Geburt und durch den Eintritt in dieses Leben die Erinnerung an die mit Gott getroffenen Vereinbarungen vergessen. „Vergessen“ hier gemeint als ein natürlicher Schutz-Reflex, weil wir uns sonst im Gewahr-Sein all dessen, was wir uns als Lebensaufgabe ausgesucht haben, unter Umständen mehr in der Angst als in der Hingabe an unser Leben befinden würden.
„Die Seele nährt sich von dem, worüber sie sich freut.“
Augustinus
Ein schleichender Prozess
In den letzten dreizehn Jahren sollte ich so viel Wandel und Neuerung in meinem Leben erfahren, dass ich aus heutiger Sicht nur sagen kann: Gut, dass wir nicht wissen, was morgen unsere Realität oder Lernaufgabe ist. Wir würden uns viel zu viele und manchmal auch viel zu unnötige Sorgen machen. So gesehen gut, dass uns die Dinge vielmehr überraschen, auch wenn sie uns – wie in meinem Fall – mitunter aus der Bahn werfen. Kaum war eine Herausforderung vorbei, war die nächste auch schon da. Dabei hatte ich die aus den Jahren davor noch gar nicht ausreichend reflektiert, verarbeitet oder gar verinnerlicht. Alles nahm noch mehr an Tempo, an Geschwindigkeit, an Fahrt auf. Ich glaubte zwar nach wie vor, noch selbst am Steuer meines Autos, sprich meines „Lebens“ zu sitzen, doch anscheinend hatte bei mir das Unbewusste mehr die Regie, die Führung übernommen. Und so kam immer mehr eines zum anderen. Im Laufe der letzten Jahre gab ich jeder meiner „Roten Ampeln“ eine Jahreszahl und einen Namen, damit Sie sich in etwa vorstellen können, was das Thema, die Lernaufgabe dahinter war. 2007 beruflicher Standortwechsel und damit zusammenhängend jede Menge neuer Herausforderungen: neues Aufgabengebiet, neue Kollegen, neue Klassen … 2008 bedurfte ich einer Operation. Die Operation selbst verlief gut, doch ich brauchte relativ lange, bis ich insgesamt wieder zu Kräften kam, was wohl mitunter auch daran lag, dass mein Immunsystem seit meiner Hodgkin-Erkrankung, die ich zehn Jahre zuvor hatte, doch noch mehr in Mitleidenschaft gezogen war als ich mir das hatte eingestehen wollen.
2010 wurde das Ganze für mich beruflich gesehen zum Glück zwar wieder etwas leichter, doch dafür ergab sich auf der privaten Bühne meines Lebens eine ganz andere herausfordernde Situation. Und die hatte letztlich sehr fatale Auswirkungen, vor allem für mich als Frau. Worin diese Herausforderung bestand? Mit 49 Jahren verlor ich meine ganzen Haare. – Diagnose: Alopecia totalis. Innerhalb von nur drei Monaten verlor ich büschelweise meine Haare. Anfangs noch an Stellen, die über das Deckhaar noch einigermaßen geschützt waren. Doch schon bald musste ich mich der traurigen Realität stellen und bedurfte letztlich einer Perücke, denn den Mut zu einem Kahlkopf hatte ich nicht. Dieser Tatsache ins Auge zu sehen, war für mich mehr als schockierend. Es war, als breche eine Welt auseinander. Und das tat sie auch. Diese Alopezie beraubte mich eines Teils meiner weiblichen Attribute. Ich verlor nicht nur die Haare, sondern auch die Augenbrauen und die Wimpern. Meinem Selbstbild nach war ich gänzlich entstellt. Ich erlebte die Alopezie wie eine Amputation. Mit dem Verlust meiner Haare war für mich ein wesentlicher Teil meines Frau-Seins, meiner Ausstrahlung dahin. Mein Schönheitsideal bekam einen gewaltigen Riss. Doch das Schlimmste daran war für mich diese Ohnmacht, wie dieser Krankheit zu begegnen ist. – Diese tiefe Ohnmacht.
So begann für mich neben der Schule in den darauffolgenden Jahren eine zusätzliche und vor allem auch emotional sehr anstrengende Odyssee von Arzt zu Arzt, von Heilpraktiker zu Heilpraktiker, um zum einen mögliche Ursachen für diese Alopezie ausfindig zu machen und zum anderen Wege zu finden, diese Diagnose eventuell wieder rückgängig zu machen. Doch das, was mir die Ärzte sagen konnten, war in den meisten Fällen immer nur das Gleiche. In aller Regel war die Antwort zunächst ein Achselzucken bzw. ein Kopfschütteln, dann der Verweis auf die Wechseljahre. Die Ärzte gaben sich alle Mühe meine Schilddrüse auf die richtige Medikamentengabe einzustellen, bzw. meinen Hormon-Status wieder besser in den Griff zu bekommen. Doch die Hoffnung darauf, dass diese Symptomatik vielleicht nur vorübergehender Natur war, schwand mit der Zeit immer mehr. Keiner konnte mir letztlich sagen, worin dieser Haarausfall ursächlich begründet war. Vermutungen gab es viele, doch sie haben mich im Ergebnis nicht weiter- und dem Wunsch auf Heilung leider nicht nähergebracht. Was ich immer wieder gesagt bekam, war letztlich, dass dieser extreme Haarverlust wohl eine Spätfolge der Bestrahlung meines Hodgkin war, und dass ich lernen müsste mit dieser gesundheitlichen Situation zu leben. – Was für ein Schock diese Diagnose für mich als Frau war, das konnte leider niemand nachvollziehen. Für mich selbst war sie so niederschmetternd, dass ich damals bereits einen Großteil meiner Lebensfreude verlor und mich stattdessen tiefe Trauer und ein Gefühl von grenzenloser Ohnmacht ereilte. Wie sehr sich mir dieser psychische Schmerz in den folgenden Jahren noch zeigen sollte, das konnte ich damals noch gar nicht vollständig erahnen. Körperlich so „gezeichnet“ suchte ich noch mehr Ablenkung in meiner Arbeit. Suchte dort etwas wie Trost und Halt. Doch im Grunde genommen versteckte ich mich nur hinter all den beruflichen Aufgaben und war froh, dass es sie gab. Denn je mehr an Arbeit es gab, umso weniger musste ich über mich nachdenken. Welch schwacher Trost. – Kein guter Trost. – Im Grunde genommen war es nur Flucht. Eine Flucht, die mich letztlich zwar mein berufliches Lebensziel erreichen ließ. Doch was war der Preis dafür? – Ein viel zu hoher Preis, den ich dafür zu zahlen hatte.
Читать дальше