2010/11 erkrankte mein Vater und verstarb 2012 an den Folgen diverser Erkrankungen, die sich in den letzten zwei Jahren immer mehr bei ihm gezeigt hatten. Diese erste tiefere Begegnung mit dem Tod eines mir lieben Menschen, der mir so etwas wie Sicherheit gegeben hatte, war schon damals nicht leicht für mich zu verkraften und forderte mich heraus. 2012 wurde ich dann zur Schulleiterin ernannt und hatte somit das Ziel meiner beruflichen Träume erreicht. Was dieser neue Schul- und Standortwechsel für mich im Einzelnen bedeutete, ist Ihnen schon bekannt. Und so gut ich es vermochte und konnte, schritt ich auch weiterhin mutig voran. Schließlich wollte ich so etlichen meiner Visionen von einer gesunden und in die Zukunft weisenden Schule aus dieser Position heraus Leben geben und somit meinen Werten, Idealen und Träumen nach und nach Substanz geben.
2013 war ich dann wie vom Donner gerührt, als ich eines Abends im Mai von meinem Mann gesagt bekam, dass er sich von mir trennen werde. Das war nun eindeutig zu viel. Mit so einer Hiobs-Botschaft hatte ich in meinem Leben nicht auch noch gerechnet. – Wir hatten zwar seit geraumer Zeit gemerkt, dass unsere Beziehung eine andere Qualität bekam, doch bevor es zwischen uns überhaupt zu einem klärenden Gespräch kam, war mein Partner bereits eine andere Beziehung eingegangen. 2014 wurde unsere Ehe dann geschieden, trotz insgesamt zwanzig Jahren intensiver Verbundenheit und vieler glücklicher Stunden. Doch das Glück entzieht sich uns, wenn wir vergessen, es regelmäßig zu hegen und zu pflegen. – Und an diesem Vergessen waren wir leider beide beteiligt. Jeder von uns auf seine Art.
2015 lernte ich dann einen anderen Mann kennen. Ich war mal wieder bis weit über beide Ohren verliebt. Und dieser Partner erwiderte diese Liebe. Ich hatte mit solch intensiven Gefühlen nach all dem Trennungsschmerz von meinem Ex-Mann gar nicht mehr gerechnet. Doch da ich beruflich sehr stark eingebunden war, und es mir aufgrund der Trennung so lange Zeit überhaupt nicht gut ging, war ich mehr als dankbar für diese sich neugestaltende Beziehung, denn dieser Mann kam zu einer Zeit in mein Leben, als ich dieses schon fast aufgeben wollte. Ich war folglich nicht nur verliebt, sondern auch dankbar, dass er mich von diesem Vorhaben abhielt. – Sollte es mir tatsächlich wieder möglich sein, dieses verletzte Herz zu öffnen? – Sollte ich vom Leben eine neue Chance bekommen, sodass die alten Wunden der Trennung wieder heilen können? – Wie ein „Backfisch“ war ich verliebt bis über beide Ohren. Und so gab ich mich den Träumen von einer wunderschönen neuen Liebe und Partnerschaft hin. Schade nur, dass diese Beziehung, die für mich so vielversprechend begann, 2016 ein äußerst tragisches Ende dadurch nahm, dass dieser Mann mit all seinem Bemühen nicht wirklich mich meinte, sondern nur an meinem Geld interessiert war. So wurde dieser „Traum von einer neuen Liebe“ für mich zu einem reinsten Horror-Szenario. Wie sich leider herausstellte, hat er mich unter Vorspiegelung falscher Tatsachen um sehr viel Geld betrogen. Was für eine erneute Demütigung. – Was für eine Verletzung. – Was für ein Schock. – War ich denn überhaupt noch bei Sinnen? – Wie konnte das denn überhaupt geschehen? – Warum hat sich mein Verstand in all der Zeit nicht gemeldet? – Warum vertraute ich so sehr einem Gefühl von Verliebt-Sein? Ich könnte mir an dieser Stelle noch viele Fragen stellen, doch letztlich wozu? – Das Drama war bereits geschehen.
Durch diese Geschichte habe ich letztlich ganz das Vertrauen in mich selbst, in meine Gefühle und in all mein Handeln verloren. Mein Geist, mein Verstand, meine Vernunft hatte so was von ausgesetzt. Im Nachhinein scheint mir, war ich damals, was diese Geschichte anging, nicht mehr Frau meiner Sinne. Wer da am Werk war mit Denken, Handeln, Reagieren und Tun, diese Frau kannte ich nicht. Diese Frau war mir so was von fremd. Und was das Schlimmste war: Ich konnte nicht wirklich darüber sprechen, weil ich mich so unwahrscheinlich schämte. Dass mir so etwas passieren sollte, das konnte und wollte ich einfach nicht glauben. In mir sträubte sich alles ob einer solchen Realität. Und doch wurde genau dies meine Realität. Eine weitere sehr traurige Realität. Und für mich das „i-Tüpferl“ an persönlichem Leid kennen Sie bereits: Der Tod meines Zwillingsbruders. – Mir war, als sei mit seinem Tod auch ein großer Teil von mir gestorben. – Einfach mit ihm fort gegangen. Unauffindbar und unerreichbar weggegangen. Können Sie sich vorstellen, dass ich zu diesem Zeitpunkt eigentlich nur noch dachte: Warum er? – Warum nicht ich? – Warum musste ich bleiben? – War das fair?
5
Zusammenbruch und was dann?
Meine dienstlichen Pflichten erfüllte ich nach dem Tod meines Bruders (im Januar 2016) noch bis Mai dieses Jahrs, doch dann brach mein Körper-Geist-Seele-System komplett zusammen. Dann brach genau genommen meine Welt, die sich in all den letzten Jahren ohnedies schon in so vielen Ausnahmezuständen befand, vollkommen in sich zusammen.
Um mich von all der Trauer und dem Schmerz bestmöglich abzulenken, wurde ich immer mehr so etwas wie eine Arbeitsmaschine in Menschengestalt. Doch schade nur, dass sich auch im Feld Schule zu dieser Zeit immer mehr Situationen ergaben, die zum Teil für mich mitunter auch kränkend waren. Ab einem bestimmten Zeitpunkt hörte mein „System“ nur noch Kritik, Kritik, Kritik … – Und gerade dieses negative Erleben „feuerte“ zusätzlich meine negativen Glaubenssätze an. Sätze wie „Du bist einfach nicht gut genug. Du kannst das nicht. Erfolg hast du nicht verdient. Um Erfolg zu haben bist du nicht geboren.“ Meine innere Kritikerin lief auf Hochtouren. Und was das Schlimmste war, diese Kritikerin ließ sich nicht mehr abstellen. Sie schrie bei Tag und bei Nacht. So gut ich konnte, arbeitete ich dagegen an. Was mir jedoch immer seltener gelang. Diese Stimme, dieser negative Klangkörper, dieser Feind in meinem Kopf, er war omnipräsent. Und er raubte mir zusätzlich viel an Elan, an Esprit, an Lebens-Energie. Er war wie ein Virus, der sich in einem viel zu schwachen Immunsystem mit brachialer Gewalt in jede Zelle bohrte und sie begierig auffraß. Und ich konnte dagegen nichts unternehmen. War im Grunde genommen wie gelähmt. Nicht mehr Frau meiner Sinne. Nicht mehr im Besitz meiner Kräfte.
Dieser Virus verselbstständigte sich und zeigte sich zusätzlich zu all den Körpersymptomen, die ohnedies ja schon ein Teil meiner Biografie waren, immer mehr an diversen körperlichen Symptomen, vom Bandscheibenvorfall, über Schwindelanfälle, extremen Schmerzen in der ganzen rechten Körperhälfte, über Tinnitus, über … Manchmal zitterte ich nur noch am ganzen Körper. Oder bekam einfach so ohne besonderen Anlass einen Weinkrampf, der mir dann noch das Letzte an Energie nahm, was noch vorhanden zu sein schien. Das Einzige, was zur Beruhigung noch funktionierte, waren Badewanne und Bett. Doch nach drei Stunden war es dann um den Schlaf auch schon wieder geschehen. Und so „vegetierte“ ich geraume Zeit dahin. Im Grunde genommen so lange, bis mich mein Körper mittels eines Nervenzusammenbruchs aus dem Verkehr zog. Spätestens da war es um mich geschehen. Ab da hatte ich meinen Körper nicht mehr im Griff. „Funktionieren“ war nicht mehr. Zwar unternahm ich bis zuletzt immer wieder verzweifelte Versuche, das, was wir Schicksal nennen, zu beeinflussen und zu korrigieren. Doch all diese Versuche waren zum Scheitern verurteilt. Es war sozusagen ein vergebliches Spiel meinerseits um Macht und Kontrolle.
Wenn ich aus heutiger Sicht auf all dies schaue, dann wird mir klar, dass das nur ein allerletztes Sich-Aufbäumen war. Ein Versuch, das, was sich bereits wie eine Lawine in meinem Leben losgetreten hatte, mit letzter Kraft noch zu stoppen oder wenigstens insoweit aufzuhalten, dass vielleicht doch noch eine Art von Schadensbegrenzung möglich war. Eine erste Hilfe kam für mich in Form einer vierwöchigen Krankschreibung. Der Arzt, der mir diese verordnete, war aber auch so ehrlich, dass er aufgrund all der Vorkommnisse, die ich ihm berichtet hatte, dringend anriet, mich in die Hände eines Therapeuten zu begeben. Was ich dann auch tat. Zugegeben: anfangs hatte ich ein riesengroßes Thema damit, dass ich therapeutische Hilfe in Anspruch nehmen musste. Doch mir war andererseits auch klar, dass es keine Alternative mehr gab, um mit der Vergangenheit und all den Themen allein klar zu kommen. Eine – so glaube ich – typisch westeuropäische und vor allem auch deutsche Grundhaltung, zu denken: „In meiner Familie hat noch keiner einer Therapie bedurft. Was für eine Schwäche. Jetzt brauche ich auch noch einen Therapeuten, der mir hilft, all das Chaos in mir zu sichten.“ Es gibt andere Gesellschaften, andere Nationen, die gehen damit wesentlich freier um. Da hat nahezu jeder, der etwas auf sich hält, einen Therapeuten, um an seinen Lebensthemen zu arbeiten. Kurzum: Ich hatte eine schreckliche Angst, mich auf diesen Weg einzulassen. Doch ich wollte wenigstens verstehen lernen, warum ich mit 55 Jahren, in der Mitte meines Lebens, vor einem derartigen Scherbenhaufen stand und alles zerstört hatte, was ich mir bis dahin aufgebaut hatte. Außerdem war da eine winzig kleine, kaum hörbare Stimme in mir, die mir sagte: „Bitte befreie mich! Bitte erlöse mich! Bitte gehe den Weg, der dir vielleicht als hart erscheinen mag. Sieh dir an, wie alles mit allem zusammenhängt, denn alles im Leben ergibt einen Sinn. Du kannst das jetzt vielleicht noch nicht sehen, doch mit der Zeit wird er sich dir erschließen. Bitte gehe diesen Weg. Befreie dich! Befreie mich! Befreie uns!“
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