1 ...7 8 9 11 12 13 ...30 Doch nach diesem kurzen Exkurs in die Welt der Erziehung wieder zurück zum Thema des Buches. Sie werden hier und da selbst immer mehr merken, unbewusst schwingen diese Erziehungsvarianten mit. – In welcher Art, das werden Sie noch sehen.
Und in der Lebensmitte senkte sich eine dunkle Wolke herab
Wenn ich es genau betrachte, war es nicht nur „eine dunkle Wolke“, die sich herabsenkte, für mich fühlte es sich so an, als hätte sich der ganze Himmel gegen mich verschworen. Immer mehr, immer unnachgiebiger, immer kompromissloser wurde ich in ein tiefes „Schwarz“ gehüllt. Schwere Wolken, beängstigende Wolken, Unwetterwolken, Gewitterwolken … – sie alle umgaben mich. Hüllten mich immer mehr ein. Nach und nach bemächtigten sie sich meiner Sinne und raubten mir die Luft zum Atmen. Schließlich und endlich nahmen sie mir die Sicht auf das, was ich noch „Leben“ nennen konnte, und wie so oft schon hatte ich wiederholt diesen „Traum“. Nun, eigentlich ist es kein Traum, sondern ein äußerst beängstigendes „Erleben“. – Bin jedes Mal völlig verstört und verschreckt daraus aufgewacht. Schweißgebadet und am ganzen Körper zitternd. Wenn ich „fiel“, war da immer dieses Gefühl einer grenzenlosen Ohnmacht. Jetzt war es wieder da, nur mit einer gravierenden Ausnahme: Es war kein Traum-Erleben. Es war Realität. – Brutale Realität. – Bittere Realität. Und ich habe es irgendwie selbst zu meiner Realität gemacht. – Eine Realität, in die ich mich im Verlauf der letzten Jahre immer mehr verloren hatte. Nur bemerkt hatte ich dies leider nicht.
Wann das Ganze begann? – Ich kann es nicht genau sagen. – Hätte es mir auffallen müssen? Und warum zeigt sich mir dies alles so gnadenlos? – Was war passiert? – Was habe ich falsch gemacht? – Was ist falsch mit mir, sodass ich immer wieder in dieses „schwarze Loch“ fallen musste? – Hätte ich zu gegebener Zeit dieses Schicksal abwenden können?
Fragen über Fragen kamen mir in den Sinn. Doch all dies half nichts. Das, was passieren sollte, konnte nicht gestoppt werden. Ich war dem Ganzen einfach ausgeliefert. Und all die Dinge, sie ergaben sich. – Immer mehr. Immer tiefer. Immer unaufhaltsamer. Immer radikaler. – Ich hatte keine Kraft mehr um gegenzusteuern. Ich konnte den Verlauf weder stoppen, noch kontrollieren. Ich konnte nichts mehr beeinflussen. Ich konnte mich nur noch fallenlassen. Mich hingeben und dem ergeben, was da mit mir passieren sollte.
Mein ganzes System schrie, brüllte. Brüllte unaufhörlich. Brüllte ohne Unterlass. Brüllte Tag und Nacht. – Mein ganzer Körper rebellierte. Zeigte eine Vielzahl von Symptomen. Doch nicht nur er meldete sich. – Die Stressrezeptoren in meinem Gehirn waren auf Dauerbetrieb geschaltet. – Und was das Schlimmste für mich war: Sie ließen sich mit nichts mehr beruhigen. – Was mir blieb, war nur noch der freie Fall und dieses Nicht-Wissen, wo und wann ich aufschlagen werde. Als ich wieder zu mir kam, stand die Diagnose fest:
Burnout – Depression – Posttraumatische Belastungsstörung (= PTBS).
Mehr oder weniger bewusste Weg-Gefährten
Vielleicht ist die Summe der Teile wichtig, um die Diagnose und den Zusammenbruch besser zu verstehen. Vielleicht ist es aber auch nur mein Hang zum Perfektionismus und zur Vollständigkeit, der mich auflisten lässt, was die „Lernthemen“ der letzten Jahre für mich waren. Egal.
Im Januar 2016 starb mein Zwillingsbruder nach einer schweren Herz-OP. – Als Familie hatten wir natürlich gehofft, dass er diese schwere Operation überstehen möge. Doch aufgrund diverser Vorerkrankungen war sein Körper bereits so geschwächt, dass er entschied, bereits im Alter von 54 Jahren von uns zu gehen. Und obwohl ich mich in den Wochen zuvor durchaus mit der Möglichkeit seines Sterbens vertraut gemacht hatte, fiel es mir unwahrscheinlich schwer, ihn letztlich gehen zu lassen. Da war dieser tiefe, dieser unendlich tiefe Schmerz. – Doch neben all der Trauer und dem Schmerz war noch so viel mehr. Mir war, als wäre mit seinem Tod auch ein ganz wesentlicher Teil von mir selbst mit ihm gestorben. Da war urplötzlich auch so viel von meinem Leben weg. – Jetzt gab es nur noch die Erinnerung an ihn und einen unaussprechlich tiefen Seelenschmerz. Jetzt gab es kein Gespräch mehr, keinen Austausch mehr an Worten, an Gedanken. Es gab keines seiner Konzerte mehr. Es gab seine Musik nicht mehr. – Wie konnte Gott ihn einfach gehen lassen? – Wie konnte er ihn so früh schon wieder zu sich holen? – Hatte mein Bruder sein Lebenswerk hier auf Erden tatsächlich schon zu einem Ende geführt? – Sollte er nicht noch etwas länger sein Leben hier auf Erden genießen können? – Wieder einmal Fragen über Fragen.
Doch der Tod hat seine eigene Zeit. Hat seine eigenen Gesetze. Er nimmt nicht Rücksicht auf unsere menschlichen Bedürfnisse und Belange. Heißt es nicht, wenn die Seele ihre Lebensaufgabe erfüllt und gelebt hat, dann will sie wieder heim zu unserem himmlischen Vater? Dass dies für meinen Bruder so gelten sollte, das hatte ich zu akzeptieren. Auch wenn meine Trauer und der Schmerz um den Verlust sehr groß waren. Ich selbst hatte – nach all den Vorkommnissen der letzten Jahre und nach dieser erneuten Auseinandersetzung mit dem Thema „Tod“ – noch genau genommen für drei Monate die Kraft, meinen eigenen Aufgaben zu entsprechen, ihnen nachzukommen. Doch dann war auch für mich eine Art von „Ende“ gekommen. Um Schmerz und Trauer nicht allzu sehr an mich heranzulassen, entschied ich mich für den mir altbekannten und vertrauten Weg, mich auch weiterhin hinter meiner Arbeit zu verstecken. Dass ich mir selbst damit mehr geschadet als genützt habe, das sollte ich alles erst viel später erfahren. Zu dieser Zeit war es einfach meine Überlebensstrategie, mich hinter möglichst viel an Arbeit und Übernahme diverser Pflichten zu verkriechen. Nach dem Motto: Arbeit befreit. Arbeit heilt die Wunden. Arbeit macht frei. – Ein Glaubenssatz, wie ich ihn wohl unbewusst im Elternhaus gelernt hatte. Zumindest habe ich es für mich so in Erinnerung, dass meine Eltern viele ihrer Sorgen und Probleme mit der Strategie „Arbeit“ irgendwie „weg-gearbeitet“ haben.
Ob diese Art des Umgangs mit Problemen, Trauer und Schmerz gut war oder nicht, das entzog sich sowohl als Kind als auch als erwachsene Frau meinem Wissen. Ich hatte nur die kindliche Lernerfahrung gemacht, dass „Arbeit (anscheinend!) befreit“. Erst durch meine Therapie und das Lesen zahlreicher psychologischer Fachbücher erkannte ich, dass diese Einstellung bestenfalls als Ersatzhandlung zu bezeichnen ist. Sozusagen als eine Art Überlebensstrategie, die uns letztlich als ein Ablenkungsmanöver dient. Genau genommen ist es ein Abwehrmechanismus, um sich mit all den traurigen und belastenden Gefühlen bzw. mit der Thematik „Tod“ (in meinem Fall!) an sich nicht auseinandersetzen zu müssen. Wir spalten dann mehr oder weniger bewusst das uns Unangenehme ab, packen es ein und stellen es weg. Doch all der Schmerz und all die betäubenden Gefühle bleiben so lange bestehen und kehren – ausgelöst durch andere vergleichbare Situationen – so lange immer wieder zurück, bis wir es gelernt haben, den Schmerz, die Trauer, all die Gefühle von Verzweiflung, Angst, Wut etc. anzunehmen. Sie wahrzunehmen, sie zuzulassen, sie genau genommen zu „durch-leben“. So lange, bis wir diese Lebenserfahrung bewusst angenommen und integriert haben. Doch es war nicht nur diese Konfrontation mit dem Tod als einem „Weg-Gefährten“ von uns Menschen, der mein Leben so nachhaltig und so sehr auf den Kopf stellte. Der Tod meines Bruders war für mich letztlich so etwas wie das letzte Mosaiksteinchen, dessen es noch bedurfte, um in der Mitte meines Lebens meine bisherige Existenz einer radikalen „Prüfung und Neuausrichtung“ zu unterziehen. Ob ich wollte oder nicht, es hieß: Schau dir dein Leben einmal an. Schau es dir genau an. Achte dabei auf all die Vorzeichen, unter die du dein Leben und deine Beziehungen bisher gestellt hast. Werde dir dessen bewusst, was gut daran ist. Doch werde dir vor allem auch all der Anteile bewusst, die der Veränderung bedürfen, wenn du wirklich gesund und wahrhaftig glücklich werden willst. Vielleicht sollten Sie Folgendes über mich wissen, um mich und meine Geschichte letztendlich besser zu verstehen:
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