Ich kann gerade kein Mitleid mit dieser Frau empfinden, ich bin ganz im Überlebensmodus und nur auf mich konzentriert. Ich nähere mich dem Waschbecken und beginne unter den scharfen Blicken Um Baakrs mit der rituellen Waschung. Ich wasche Kopf, Arme, Mund, Ohren und Füße dreimal, um beten zu dürfen .
Der Zustand der Toilette steht in krassem Widerspruch zur Idee der Reinigung. Becken und Fußboden sind sehr schmutzig. Ich mache so weit alles richtig, Um Baakr legt keinen Widerspruch ein. Zurück im Zimmer, stelle ich mich gleich auf den Gebetsteppich. »Zähl mir die fünf Säulen des Islam auf«, fordert Um Baakr zu überzeugen .
»Das Glaubensbekenntnis: Es gibt keinen Gott außer Allah und Muhammed ist sein Prophet, das Beten: die fünf Gebete am Tag, das Fasten, Al Zakat: soziale Pflichtabgaben, und die Pilgerfahrt nach Mekka«, antworte ich mit leiser Stimme. Wie alle Prediger des IS glaubt Um Baakr, dass Alawiten keine Moslems sind. Sie halten uns für Abtrünnige, für Alkoholtrinker, sie denken, dass wir Frauen ohne Kopftuch auf die Straße gehen dürfen und uns mit dem Islam nicht auskennen. Aber diese Vorurteile sind gerade von Vorteil, denn sie helfen mir, Um Baakrs zu überzeugen .
»In Ordnung, und was für eine Gebetszeit ist jetzt?«, fragt sie streng .
»Nachmittag, oder?«, antworte ich .
»Dann beginne jetzt«, nickt sie .
»Ist der Gebetsteppich in Richtung Mekka gelegt?«, frage ich sie .
»Bete jetzt«, herrscht mich Um Baakr an .
Ich spreche die Vorbereitungssätze, die ähnlich den Rufen des Muezzins vom Minarett sind, und bete nach sunnitischer Art. Als ich die letzten Worte im Knien ausspreche, breche ich in lautes Weinen aus. »Warum macht ihr das mit mir? Ich will nur zu meinem Mann nach Erbil! Lasst mich weiterreisen. Die Frau im Bus ist sicher dement«, stoße ich unter Schluchzen hervor .
»So einfach wirst du nicht wieder gehen dürfen, hör auf zu weinen, ich habe jetzt keine Zeit für dich«, mit diesen Worten ergreift Um Baakr meinen Rucksack und öffnet genervt die Türe .
»Warte kurz, lass mich bitte meine Medikamente nehmen. Kann ich noch ein Glas Wasser haben?«, bitte ich. Um Baakr schaut mich ein paar Sekunden regungslos an, dann nickt sie langsam und verlässt das Zimmer. Ich versuche, das Geschehene zu verarbeiten. Das kann doch nicht real sein? Das muss ein böser Traum sein. Ich denke verzweifelt nach, wie ich meinen Vater und Tarek über diese Ereignisse informieren könnte. Das war die dümmste Idee der Welt, durch das IS-Gebiet zu fahren … Möge Gott Salim Goldhands Hände brechen für diesen Plan! Nach einigen Minuten öffnet sich die Tür, ein Wächter und Marua begleiten Um Baakr, die mir eine kleine Wasserflasche und den Beutel mit den Medikamenten zuwirft .
»Warum sind alle Medikamente neu? Musst du nichts regelmäßig einnehmen?«, fragt sie misstrauisch .
»Doch, aber ich habe meine Handtasche mit den angebrochenen Schachteln im Bus liegen gelassen, als mich die Männer herausholten«, sage ich und bin wieder verwundert, wie schnell ich meine Lügen erfinde .
»Nimm deine Medikamente ein, du wirst jetzt ins Frauengefängnis gebracht. Du wirst dort in einigen Tagen von einem Arzt untersucht werden. Wenn du lügst, dann werde ich dich das Lügen bereuen lassen«, droht Um Baakr unmissverständlich. Als ich zwei willkürlich ausgesuchte Tabletten hinuntergeschluckt habe, packt mich der Wächter am Arm und zieht mich hinaus auf den Flur .
Beim Haupteingang wartet ein Auto auf uns. Bevor wir das Gebäude verlassen, legt Marua mir Handschellen an und stülpt einen dicht gewebten Stoffsack über meinen Kopf. Dann steigt sie mit mir in das Fahrzeug. Die Fahrt dauert ungefähr fünfzehn Minuten. Die zwei Männer, die uns begleiten, müssen beim Eingang zum Frauengefängnis, das von Kämpfern bewacht, aber von Kämpferinnen verwaltet wird, zurückbleiben. Marua übergibt mich an zwei Frauen, die mir den Sack vom Kopf ziehen. Sie nehmen mir das Kopftuch, meinen Gürtel und meine Schuhbänder weg und ohne weiter mit mir zu sprechen, führen sie mich in eine Einzelzelle im Erdgeschoss, die winzig klein ist und auf deren Boden nur zwei Decken liegen. »Du bekommst erst morgen zu essen«, sagt eine der Wächterinnen und wirft krachend die Metalltüre zu. In der Zimmerdecke ist eine schmale Öffnung, durch die als einzige Helligkeit das Licht einer Neonröhre dringt .
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