Balk saß auf einem Grenzhügel und sah zu. Es war nicht das, daß es sein Land war, auf dem sie nun ernteten. Aber es war ihm schöner als die großen Schläge bei ihm, auf denen die Maschinen gingen. Es war dem Anfang der Erde noch näher. Wie zu Kains und Abels Zeiten. Und er liebte diese verlorenen Dörfer und die Menschen. Das Dorf war ihm der Anfang aller Geschichte und auch der Staaten. Korn und Zins kamen aus den Dörfern und das Blut der Söhne, mit denen der Staat seine Furchen düngte. So wie dieses lagen Tausende im Reich und über die ganze Erde hin, nicht alle so arm und dumpf, aber alle gehorsam und zu ihrem Opfer bereit. Es waren wohl die Könige, die die Geschichte schrieben, aber hier war der Saft, in den sie ihre Federn tauchten. Und nicht immer hatten sie mit Dank gelohnt. Der kleine Mann trug keine Krone, aber es war schön, ihm zuzusehen, wie er die Garben nahm und auf den Wagen legte. Abends würde er sich betrinken und Händel anfangen, aber seine Händel waren besser als die der Großen. Er las keine Bücher und er hatte keine Papageien, aber er stand näher bei den Erzvätern als seine Herren. Er hatte noch keine Fenster zwischen sich und die Sonne gesetzt.
Kinder kamen zu ihm und brachten ihm Kornblumen, und er nickte ihnen zu, in Gedanken verloren, und blieb sitzen, bis die Felder leer waren. Der Herbst würde kommen, und er war ein alter Mann, der sein Blut verstreut hatte in alle Welt. ›Lust‹, hatte Michael gesagt, aber er wußte nichts von dem bitteren Tropfen im Becher mit Wein. Nur wer viele Frauen erkannt hatte, wußte davon und daß die letzte so fern war wie die erste.
Er ging am Krug vorbei, bestellte das Erntebier vor Jeromins Haus und saß dann noch im Schulgarten bei den Bienen. Ob er meine, daß aus dem Schalksknecht etwas werden könne, fragte er. Vielleicht, erwiderte der Lehrer, aber sie rührten besser noch nicht daran. Ob er etwas dawider habe, daß er die Erziehung des Kindes übernehme, wenn es soweit sei? Ja, da hatte Stilling vieles dawider, alles sogar, und es würde wohl nicht recht sein von Herrn von Balk, wenn er ihm seine Lebensfrucht aus der Hand nähme.
Nein, das wollte er natürlich nicht, und er sah von der Seite in das alte Gesicht. So stände es also, und es verwundere ihn immer wieder, daß noch Gutes auf der Welt getan würde, allein um des Guten willen.
»Vielleicht ist es nicht deshalb, Herr von Balk«, sagte der Lehrer. »Sondern es ist um des Lichtes willen, und vom Lichte weiß man nie, ob es zum Guten oder zum Bösen gereichen wird. Aber dieses Haus, sehen Sie: es ist mir immer, als hätten schon Geschlechter das Dach abheben wollen, damit einer von ihnen aufsteige in das blaue Licht. Der Großvater, und der Vater, und die Frau, und unter den Kindern auch nicht Jons allein. Soviel Mühe wie in einem schweren Traum, Jahrzehnt auf Jahrzehnt, und nun scheint einem die Kraft gegeben. Niemand weiß, ob es ihm zum Segen sein wird, aber das Licht fragt nicht nach Segen. Es will scheinen und nichts weiter.
Früher, als ich jung war, galt es fast als Frevel. Daß ein Armer die Hand ausstreckte, nach solchen Gütern. Ihr Vater noch würde ihn in Ketten gelegt haben, wenn es nach ihm gegangen wäre. Aber nun ist es anders, oder es scheint wenigstens so. Mein Vater war ein Waldarbeiter, und am Anfang gingen sie um mich herum, als ob ich Harz an den Kleidern hätte.«
»Harz ist besser als Schmutz«, sagte Balk.
»Nun ja, wir wollen sehen. Noch weiß ich nichts, wo es hinaus will mit ihm, aber ich möchte ihm die Türe öffnen. Einmal möchte ich das noch tun in meinem Leben.«
Sie hatten einen Holztisch vor dem Jerominschen Hause über dem See aufgestellt, und Balk war der Hausherr. Es gab Kaffee, Kuchen und einen süßen Schnaps und nachher Bier. Gogun spielte auf der Ziehharmonika, und sie sangen. Es war wie in jedem Jahr, nur daß es diesmal eine Unterbrechung gab. Der Krugwirt Czwallinna schlug den Zapfen in das erste Faß und setzte sich dann an den Tisch. Er hatte schiefe Augen in einem gelblichen Gesicht, und sein Schnurrbart hing ihm lang und traurig über die Mundwinkel herab. Er sah aus wie einer der Tatern, die vor Zeiten mit Mord und Brand über das Dorf gekommen waren. Er war ein harter Gläubiger, und sie waren bald dahintergekommen, daß er nicht nach Geld, sondern nach Land trachtete. Bei ihm war Gotthold Jeromin seit seiner Einsegnung in der Lehre, und es schien, als lerne er dort noch andere Dinge als Zucker abwiegen und Peitschenstiele verkaufen. Die beiden Söhne des Krugwirtes, mit denselben schiefen Augen, nahmen sich seiner bei Tage und bei Nacht an.
Die Unterbrechung bestand darin, daß Balk dem langen Tataren winkte, kaum daß er sich gesetzt und seine Zigarre angezündet hatte. Ob er sein Buch da habe mit den Schulden, die die Kätner bei ihm hätten. Gogun ließ die Harmonika sinken, und es war so still wie in der Kirche.
Er brauche kein Buch dazu, sagte Czwallinna langsam. Er habe von seinem Vater einen guten Kopf geerbt.
Gottes Segen über seinen Vater, meinte Balk spöttisch, und er wünsche nun, die Zahlen zu hören. Michael Gogun zum Beispiel. Er zog sein eigenes Notizbuch hervor und setzte den Bleistift an. Wenn sein Kopf doch nicht so gut sei, werde Gogun ihm helfen.
»Achtundsiebzig Mark und vierunddreißig Pfennige«, sagte Czwallinna böse.
Balk schrieb, er schrieb die Seite voll, rechnete die Summe zusammen und stellte die Quittung aus. Dann nahm er das Geld aus der Brusttasche. »Unterschreiben Sie!« sagte er.
Der Krugwirt starrte unentschlossen auf die Geldscheine. Er brauche das wohl nicht, meinte er endlich.
Nein, das brauche er gewiß nicht, erwiderte Balk. Die Leute könnten sich auch in die Scheine teilen und ihm jeden Anteil selbst in die Hand zahlen. Es dauere nur länger, und ihm sei so, als hätten sie alle wenig Freude daran, sein Gesicht hier länger zu sehen, als es nötig sei.
»Wahrhaftigen Gott!« riefen die Frauen.
Czwallinna unterschrieb und nahm das Geld. Er möchte nämlich lieber, sagte Balk höflich, daß diese Leute seine Schuldner wären. Es bliebe in der Familie. Und nun nehme er an, daß Czwallinna nebst den Seinigen im Laden gebraucht werde.
»Steh' ich in finst'rer Mitternacht«, spielte Gogun langgezogen und teilnehmend auf seiner Harmonika.
»Nun, Jons Ehrenreich, du Majestätsbeleidiger«, sagte Balk, »war das ein richtiger Schalksknecht?«
»Ein Schalksknecht und ein Häscher«, erwiderte Jons ernst.
Dann eröffnete Balk mit Frau Marthe den Tanz. Er sah, daß ihre Augen nicht anders durch ihn hindurchsahen als sonst. Aber als sie dann neben Gogun und seiner Harmonika stehenblieben, sagte sie: »Vor wem tun Sie das? Vor sich, vor den Leuten oder vor mir?«
Eine Weile schwieg er, und seine Augenbrauen zogen sich zusammen. Aber dann antwortete er ruhig wie sonst: »Vor keinem von diesen, nicht einmal vor Ihnen. Sondern vor der Erde, die nicht tatarisch werden soll.«
»Aber von-Balksch soll sie werden.«
»Eine Närrin bist du«, sagte er böse und preßte die Hand um ihren Arm. »Weshalb ist er nicht mein Sohn, dein Ehrenreich?«
»Wenn er Ihr Sohn wäre«, erwiderte sie hart, »würde er nicht Ehrenreich heißen.«
Dann begann Balk zu trinken und mit den Mädchen zu tanzen. Der halbe Mond stand am Himmel, und es war dunkel genug für seine wilden Scherze. Erst als Jakob aus dem Wald kam, das Gesicht noch dunkel vom Rauch des Meilers, saß er still bei ihm und fragte ihn nach der Zukunft seines Jüngsten.
»Wer sieben Kinder hat, Herr«, sagte Jakob, »verlernt den Hochmut. Wenn eines hoch steigt, sinkt das andere tief. Aber man soll auch keinem Vogel die Flügel beschneiden außer den Hühnern.«
»Und den Habichten«, sagte Balk.
Er blieb noch sitzen, bis Goguns Frau den Stein in ihr Taschentuch band. Das Bier ging zur Neige, und sie lärmten schon. Im Schatten des Hauses sah er Michael stehen, den Erstgeborenen, und finster auf die Tanzenden blicken. »Was für Kinder du hast, Jakob ...«, sagte er.
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