Scott fuhr unermüdlich kreuz und quer durchs Land und rührte auf öffentlichen Veranstaltungen die Werbetrommel, oft ohne jeden Erfolg. In Wolverhampton brachte ein solcher Abend vergleichsweise lächerliche 25 Pfund ein. Einige Teilnehmer der Expedition beteiligten sich auch finanziell, sei es in Form von Spenden, sei es dadurch, dass sie auf Teile ihrer Heuer verzichteten. Der Kavallerieoffizier Lawrence »Titus« Oates etwa spendete 1000 Pfund für eine Expedition, die er nicht überleben sollte.
Ein weiteres Problem stellte die Wahl des Schiffes dar, vor allem deshalb, weil mit der Discovery die naheliegendste Lösung nicht zur Verfügung stand. Sie war an die Hudson’s Bay Company in Kanada verchartert worden, und so entschied sich Scott für die Terra Nova , die er recht gut kannte, weil sie der Discovery im Jahr 1904 zu Hilfe gekommen war. Er leistete eine Anzahlung in Höhe von 5000 Pfund (heute 240 000 Pfund) und versprach, die fehlenden 7500 Pfund zu bezahlen, sobald die Summe verfügbar war.
Als altes Walfangschiff war die Terra Nova für das, was nun von ihr erwartet wurde, bestens geeignet, wie die Fahrt zum McMurdo-Sund einige Jahre zuvor nachdrücklich bewiesen hatte. Sie war 1884 auf der Werft von Alexander Stephens gebaut worden, 57 Meter lang und verdrängte knapp 750 Tonnen. Erfahrene Seeleute schätzten sie als »gutmütiges Schiff« ein.
Während sich die Beschaffung des Geldes in die Länge zog, war die Besatzung, die die Reise bestreiten sollte, schnell gefunden. Scott mietete ein Büro in Londons Victoria Street an und wurde mit Bewerbungen geradezu überschüttet. Gut achttausend Freiwillige aus allen Landesteilen und sämtlichen Schichten meldeten sich. Die Discovery -Expedition hatte das Interesse der Menschen für Antarktika geweckt, aber Shackletons heroisches Scheitern hatte Aufsehen erregt. Nun sehnten sich die Menschen danach, dass der Südpol erobert wurde.
Scott wollte erfahrene und vertrauenswürdige Mitstreiter an seiner Seite wissen, darunter einige sorgfältig ausgewählte Männer, die er wie Crean von der Discovery kannte. Dabei kam ihm eine ungewöhnliche Entscheidung der Admiralität entgegen, die ihm erlaubte, die Crew selbst auszusuchen, obwohl die Expedition, anders als bei der Discovery , nicht unter der Federführung der Navy stand.
Crean stand als Teilnehmer fest, noch ehe die Expedition beschlossene Sache war. Offiziell bestätigt wurde seine Teilnahme, als Scott ihm am 23. März 1910 aus dem Büro der Britischen Antarktisexpedition in der Victoria Street einen Brief nach Chatham schickte. Darin hieß es:
Lieber Crean,
ich habe Sie unterdessen für die Expedition angefordert, und ich gehe davon aus, dass die Admiralität zustimmt und Sie in etwa zwei Wochen zu uns stoßen können, um dabei zu helfen, das Schiff auszurüsten. Wenn Sie den Marschbefehl haben, melden Sie sich bitte hier im Büro, dann können wir alles Weitere besprechen. 8
Crean, inzwischen zweiunddreißig Jahre alt, traf am 14. April 1910 auf der Terra Nova ein. Er bekleidete den Rang eines Bootsmanns und erhielt eine Heuer von fünfzehn Shilling pro Woche beziehungsweise drei Pfund im Monat – ziemlich genau ein Drittel mehr als noch auf der Discovery . Das Ziel blieb hingegen das gleiche: die Antarktis, wohin er für die nächsten drei Jahre verschwinden sollte.
Mit Taff Evans und dem Oberheizer Lashly verpflichtete Scott zwei weitere Crewmitglieder der Discovery , die gemeinsam mit Crean bei der bevorstehenden Expedition von den niederen Dienstgraden die Hauptfiguren werden sollten.
Vertraute Gesichter waren auch die Bootsleute Williamson und William Heald. Darüber hinaus rekrutierte Scott seinen Freund, den Arzt Dr. Wilson, als Leiter des wissenschaftlichen Teams. Nach der Fahrt mit der Discovery hatte sich Wilson der Erforschung einer geheimnisvollen Krankheit gewidmet, der zahllose Moorhühner zum Opfer gefallen waren. 1905 war er dabei zufällig auch durch Creans Geburtsort Anascaul auf der Dingle-Halbinsel gekommen.
Das vordringlichste Ziel der Expedition war die Eroberung des Südpols, aber Scott wollte auch eine Vielzahl wissenschaftlicher Experimente durchführen, die der Mission ein hohes Maß an Ansehen und Glaubwürdigkeit bescheren würden. Von Wilson beraten, verpflichtete er Meteorologen, Geologen, Biologen, Physiker, einen Ingenieur und schließlich Herbert Ponting, einen vierzigjährigen Fotografen oder »Bildkünstler«, dem während der Reise einige unvergessliche Foto- und Filmaufnahmen von Antarktika gelangen.
Scotts Stellvertreter war Edward »Teddy« Evans, der 1903 der Discovery an Bord der Morning zu Hilfe geeilt war und die Antarktis von dieser Reise kannte. Auch für Henry Robertson Bowers, einen 1,60 Meter kleinen, gedrungenen, ungeheuer starken Mann, fand sich eine Aufgabe. Seine Hakennase brachte Bowers den Spitznamen »Birdie« ein.
Die Frage der Fortbewegung und des Transportes im Eis würde eine der entscheidenden werden, und so verpflichtete Scott den wortkargen Eton-Absolventen und Kavallerieoffizier Lawrence Oates, der sich der sibirischen Ponys annehmen sollte, die das Gros der Vorräte auf das Schelfeis bringen und damit die Männer in ihren Zuggeschirren entlasten würden. Cecil Meares, ein leicht exzentrischer, weit gereister Mann, kam an Bord, um sich um die Hunde zu kümmern, und Bernard Day, der Shackleton auf der Nimrod begleitet hatte, war für die Motorschlitten verantwortlich. Nach Rücksprache mit Fridtjof Nansen nahm Scott kurz vor der Abfahrt noch den groß gewachsenen, schneidigen, einundzwanzig Jahre jungen Norweger Tryggve Gran an Bord und übertrug ihm die Verantwortung für die Skier.
Vervollständigt wurde die Expedition von zwei Russen, Anton Omelchenko und Dimitri Gerof, die für die Pflege der Ponys verantwortlich waren und am Ziel bei Bedarf Hundeschlitten lenken sollten. Eine sechsköpfige Gruppe unter der Führung von Captain Victor Campbell war dazu auserkoren, die Küste der Edward-VII-Halbinsel zu erkunden.
Als Crean auf die Terra Nova kam, begegneten ihm auf Schritt und Tritt bekannte Gesichter wie die von Evans und Lashly, aber recht bald wurde er auch mit den anderen vertraut, die im Laufe der nächsten Wochen an Bord kamen. Er war zur Stelle, um das erste Aufeinandertreffen der Mannschaft mit dem unglückseligen Oates zu dokumentieren. Der kam im Mai auf die Terra Nova , die zu diesem Zeitpunkt in den South-West India Docks am Ufer der Themse lag. Die Ankunft des Kavallerieoffiziers, der sich im Burenkrieg hervorgetan hatte, war von den Seeleuten mit Spannung erwartet worden. Sie brannten darauf, die »Landratte«, wie es guter Brauch war, mit Hohn und Spott zu empfangen.
Doch als der dreißigjährige Oates endlich an Bord ging, trug er einen zerbeulten Bowler und einen abgewetzten Regenmantel, der bis zum Hals zugeknöpft war – kaum der Aufzug, der von einem biederen Kavallerieoffizier erwartet werden durfte. Die Seeleute staunten nicht schlecht, und einer Verwandten von Oates zufolge soll Crean geäußert haben:
Keiner von uns hätte sagen können, wer oder was da an Bord kam – nicht eine Sekunde lang hatten wir vermutet, einem Offizier gegenüberzustehen. Die sind sonst immer so elegant. Wir dachten eher, einen Bauern vor uns zu haben. Er war nett und freundlich, ganz wie einer von uns. Aber man sollte sich nicht vertun: Er war ein Gentleman, durch und durch ein Gentleman, und das rund um die Uhr. 9
Ein merkwürdiger Zufall wollte es, dass Oates, den alle bald nur »Soldier« nennen sollten, einst an den Pferderennen von Tralee teilgenommen hatte, die nur wenige Kilometer von Creans Elternhaus entfernt auf der Dingle-Halbinsel ausgetragen wurden. Obwohl Crean und Oates aus gänzlich verschiedenen Schichten stammten und einen denkbar unterschiedlichen kulturellen Hintergrund hatten, empfanden sie wechselseitig großen Respekt füreinander.
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