1 ...7 8 9 11 12 13 ...22 Neben Koettlitz war ein zweiter Arzt an Bord: Edward Adrian Wilson, den jedermann »Bill« nannte und der zu einem engen Freund Scotts wurde. Hartley Ferrar aus Dublin machte die Reise als Geologe mit, Thomas Hodgson, später Direktor des Plymouth Museum, als Biologe.
Die Männer von den unteren Decks waren zum Großteil bei der Royal Navy rekrutiert worden. Zu ihnen gehörten erfahrene Seeleute wie der Bootsmann Thomas Feather, der Zweite Maschinist James Dellbridge und der Maat Jacob Cross. Hinzu kamen Männer, die zu gefeierten Veteranen der Polarforschung während des Goldenen Zeitalters werden sollten, Männer wie Edgar »Taff« Evans, Ernest Joyce, Bill Lashly, Frank Wild und Thomas Williamson.
Bei aller Unterschiedlichkeit hatten diese Männer doch eines gemein: das Fehlen jeglicher Polarerfahrung. Bevor sie sich der Expedition anschlossen, hatten sich die wenigsten von ihnen für Fragen, die mit den Polen zusammenhingen, auch nur im Geringsten interessiert. Und so gab es auch keinen einleuchtenden Grund, warum ausgerechnet Scott die Leitung der Expedition übernahm. Das Einzige, was ihn dafür qualifizierte, war der Dienstgrad, den er in der Navy bekleidete. Interesse an der Antarktis hatte er bis dahin nicht erkennen lassen, und er hatte auch nie am eigenen Leib die Entbehrungen verspürt, die Kälte und Eis selbst den entschlossensten Männern abverlangen.
Zweifellos orientierte sich Scott bei seiner Fahrt gen Süden an fragwürdigen Strategien und Vorgaben, die der inzwischen siebzigjährige Markham obsessiv vertrat, obwohl er selbst nur auf einen kurzen Aufenthalt in der Arktis zurückblicken konnte, der überdies bereits fünfzig Jahre zurücklag.
In der Frage, wie man sich in Polarregionen am besten bewegen und das Überleben sichern kann, hatte es seit den 1850er-Jahren bedeutende Fortschritte gegeben, die in der Hauptsache auf die Reisen des erfahrenen und innovativen norwegischen Forschers Fridtjof Nansen zurückzuführen waren. Auch der Amerikaner Robert Peary galt als kompetenter Experte für Reisen zum Pol. Er hatte mehrere Bücher geschrieben, in denen die spezifischen Schwierigkeiten eines Aufenthaltes in der Arktis und deren Überwindung dargelegt waren.
Die Briten aber glaubten, eine unbekannte und menschenfeindliche Region wie die Antarktis bereisen zu können, ohne die Erkenntnisse und Errungenschaften der vergangenen fünfzig Jahre groß zur Kenntnis zu nehmen, und das mit einer Crew, die in der Hauptsache aus unerfahrenen und ungeübten Seeleuten und Wissenschaftlern bestand.
Die Discovery wagte sich weiter unter Land und ließ am 9. Januar 1902 in der Robertson Bay, unweit des Kap Adare, den Anker fallen, dort also, wo Borchgrevink – und Bernacchi – 1899 überwintert hatten. Ein paar der Männer statteten Borchgrevinks Hütte einen Besuch ab. Lashly ließ sich gar zu einer wehmütigen Geste hinreißen:
Ich habe einen Brief für meine Frau hinterlegt – vielleicht kommt eines Tages ein Briefträger vorbei und stellt ihn ihr zu. 13
Für die Sicherheit der Expedition ungleich wichtiger war die Notiz, die in einem Metallzylinder deponiert wurde. Darauf vermerkt war die aktuelle Position der Discovery . Die Reise gen Süden hatte Scott mit nur sehr vagen Vorgaben angetreten, und so war es ihm überlassen, wo er anlanden und das Winterlager aufschlagen würde. Entsprechend schwer würde es Suchtrupps fallen, die Verschollenen aufzuspüren, sollte die Discovery vom Eis zerdrückt werden. In diesem Falle war die Botschaft, die im Zylinder steckte, die einzige Möglichkeit, mit der Außenwelt in Kontakt zu treten.
Nachdem sie einige Wochen lang parallel zur Küste gefahren waren, erreichten sie am 30. Januar 1902 eine bis dahin unbekannte Halbinsel, die Scott zu Ehren des frisch gekrönten Königs Edward-VII-Land taufte. Es war die erste Entdeckung, die der Expedition in der Antarktis vergönnt war.
Am 3. Februar wurde ein Trupp losgeschickt, der auf Schlitten das Hinterland erkunden sollte. Mit dabei war auch Crean. Neben dem Iren waren Armitage, Bernacchi und drei weitere Männer ausgewählt worden, die sich auf eine kurze Exkursion nach Süden begaben, um die nähere Umgebung des Schiffes zu erkunden, insbesondere jenes Gebiet, in dem das Schelfeis auf Land traf. Die sechs Männer verbrachten eine ungemütliche Nacht in einem Zelt, das für drei Personen gedacht war, bevor sie am folgenden Nachmittag zur Discovery zurückkehrten. Trotz der Enge im Zelt hatten die Männer bitter frieren müssen, und so brachten sie die Erkenntnis mit zurück, dass die Temperaturen auf dem Schelfeis deutlich unter denen lagen, die auf dem Schiff herrschten. Bezahlt hatten sie diese Erkenntnis mit einer schmerzhaften Einführung in die Unbilden des antarktischen Klimas.
Neuland betraten gewissermaßen auch die, die an Bord geblieben waren. Sir Joseph Hooker, ein Veteran der Polarerkundung, hatte Scott geraten, vor Ort in einem mit Wasserstoff gefüllten Ballon aufzusteigen, um sich einen besseren Überblick über die Landschaft verschaffen zu können, in der sie sich befanden. Nun kletterte Scott persönlich in den winzig anmutenden Korb und wagte den Aufstieg. Dabei hätte er fast einen neuen »Rekord« aufgestellt – um ein Haar wäre er der erste Mensch geworden, der über der Antarktis mit einem Ballon abstürzt.
Nachdem Scott langsam bis auf 150 Meter Höhe aufgestiegen war, entschloss er sich, die Sandsäcke, die er als Ballast mitführte, abzuwerfen, woraufhin der Ballon rasant um gut hundert Meter in die Höhe schoss. Zu seinem Glück bremste das Gewicht der Kette den weiteren Aufstieg, und Scott konnte den Sinkflug einleiten. Von dem haarsträubenden Husarenstück seines Vorgesetzten unbeeindruckt, stieg der impulsive Shackleton in den Korb und hob seinerseits in die Lüfte ab. Ihm gelangen die ersten Luftaufnahmen von Antarktika, doch auch er sah nichts, was der Expedition irgend hätte weiterhelfen können. Wilson war durch das waghalsige Unterfangen derart verärgert, dass er es als »wahre Tollheit« bezeichnete, im Ballonfahren gänzlich Ungeübten zu erlauben, ihr Leben zu riskieren. Zu seiner Erleichterung wies der Ballon nach Shackletons Rückkehr ein Leck auf, und so wurde er nie wieder benutzt.
Weiterhin Sorgen bereiteten allerdings der Umstand, dass vor dem Wintereinbruch dringend ein Standort für das Lager gefunden werden musste, und vor allem die Gefahr, dass die Discovery vorher im Eis einfror. Am 8. Februar hatte das Schiff die Einfahrt in den McMurdo-Sund im Rossmeer erreicht, über den sich am Rande des Ross-Schelfeises der Vulkan Mount Erebus erhebt. Es wurde beschlossen, dort das Basislager der Expedition aufzuschlagen. Kurz darauf ging der erste Erkundungstrupp an Land und begann damit, auf einer felsigen Landzunge eine Holzhütte zu errichten. Sinnigerweise erhielt die Landzunge den Namen »Hut Point«.
Ursprünglich war vorgesehen, dass die Discovery rechtzeitig vor dem Winter nach Neuseeland zurückkehrte und nur eine kleinere Vorhut zurückließ, die für den kommenden Frühling und Sommer die eigentliche Expedition vorbereiten sollte. Doch als eine geschützte Bucht gefunden war, in der das Schiff den antarktischen Winter voraussichtlich schadlos überstehen konnte, änderte Scott die Planung. Er rechnete damit, dass das Schiff, selbst wenn es während des Winters einfrieren würde, spätestens im Frühjahr wieder einsatzfähig wäre. Das war ein Irrtum, wie sich herausstellte, und es sollte zwei Jahre dauern, bis das Eis die Discovery aus seinem Klammergriff wieder entließ.
Route der Discovery bis zum Hut Point.
Die Discovery wird im McMurdo-Sund vom Eis eingeschlossen.
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