Bestandene Feuertaufe. Nach der Rückkehr aus der Antarktis im September 1904 nimmt die Besatzung der Discovery Aufstellung für ein Erinnerungsfoto. Crean sitzt in der hintersten Reihe (8. von links). Auf der Discovery waren einige der führenden Vertreter des Goldenen Zeitalters versammelt: Robert Scott (vorn, 8. von links), Ernest Shackleton (vorn, 5. von links, mit vor der Brust verschränkten Armen), Edward Wilson (vorn, 6. von links), Frank Wild (hinten, 3. von links), William Lashly (hinten, 7. von links) und Edgar »Taff« Evans (hinten, 10. von links).
Das Durchschnittsalter der Besatzung der Discovery betrug lediglich siebenundzwanzig Jahre, sodass Crean, der vierundzwanzig Lenze zählte, an Bord viele Gleichaltrige vorfand. So gesehen war die Reise ins Ungewisse, von der niemand wusste, wie lange sie dauern würde, für jemanden, der sein Geburtsdatum im Dunkeln gelassen hatte, um mit fünfzehn Jahren bei der Navy das Abenteuer zu suchen, eine willkommene Herausforderung.
In seiner fast zweijährigen Dienstzeit auf der Ringarooma hatte sich Crean bei seinen Kameraden beliebt gemacht. Sie dankten es ihm, indem sie Geld sammelten und ihm ein Abschiedsgeschenk mit auf den Weg gaben, ein Fotoalbum mit einer Widmung, die viel über das Ansehen verrät, das Crean genoss.
Für Thos Crean, überreicht von seinen Kameraden der HMS Ringarooma als Zeichen des Respekts, der guten Wünsche für sein weiteres Wohlergehen und eine sichere Heimkehr, aus Anlass seines Aufbruchs in die Antarktis als Freiwilliger auf dem britischen Schiff Discovery am 20. Dezember 1901.
Ein weiterer Talisman, der Crean auf seine Reise gen Süden begleitete, war das kleine Skapulier, das nach wie vor an einem Lederband um seinen Hals baumelte.
Die Vorbereitungen für die Verabschiedung aus Neuseeland beflügelten die Männer, und Scott plante, am 21. Dezember 1901 von Lyttelton, dem Hafen von Christchurch, aus in See zu stechen und in Port Chalmers, dem Hafen von Dunedin, einen letzten Zwischenhalt einzulegen, um den Kohlevorrat für die Fahrt über den tückischen Südlichen Ozean aufzustocken. Doch der Start des gewagten Unterfangens war infolge des tödlichen Unfalls von Charles Bonner alles andere als gelungen.
Der Tag der Abfahrt hatte gut begonnen, die Stimmung war fröhlich und ausgelassen. Die Einheimischen hatten die Ankunft der Discovery in Neuseeland mit großem Interesse verfolgt, und nun waren Tausende von ihnen in den kleinen Hafen gekommen, um Scott und seinen Begleitern Lebewohl zu sagen. Der Wunsch, einen letzten Blick auf die Entdecker zu werfen, war so verbreitet, dass Sonderzüge eingesetzt werden mussten, um die Schaulustigen aus dem nahen Christchurch heranzukarren. Im Hafen angekommen, wurden sie von Kapellen, tutenden Schiffssirenen und einer begeisterten Menschenmenge empfangen, die den mutigen Männern zuwinkte und sie hochleben ließ.
Der Bischof von Christchurch kam an Bord, hielt eine kurze Andacht ab und segnete die Forschungsreisenden. Kurz darauf geleiteten das Kriegsschiff Lizard und Creans früheres Schiff, die Ringarooma , die schwer beladene Discovery aus dem Hafen von Lyttelton hinaus. Scott berichtete gar von fünf weiteren, feierlich geflaggten Dampfern, die mit Menschen vollgepackt waren und sie auf den ersten Metern ihrer langen Reise begleiteten.
Auf Kais und Molen standen begeisterte Menschen dicht gedrängt. Es war tatsächlich eine würdige Verabschiedung. 1
William Lashly, der Heizer, der gemeinsam mit Crean in die Annalen der Arktiserkundung eingehen sollte, sprach von »Hunderten«, die die Discovery hochleben ließen, und ergänzte:
Unser Aufenthalt in Lyttelton war anstrengend, aber schön. Die Menschen hier scheinen mir sehr nett und hilfsbereit zu sein. Und sie gehen offenbar davon aus, dass uns vor der Abfahrt etwas Unterhaltung guttun könnte. Die Verabschiedung war sehr herzlich. Alle Schiffe, die im Hafen lagen, haben uns bis an den Ausgang der Bucht begleitet, uns Gottes Segen und eine wohlbehaltene Rückkehr gewünscht. 2
Doch dann kam Bonner zu Tode. Bonner, der junge Seemann, der erst dreiundzwanzig Jahre alt war und aus Bow im Londoner East End stammte, war im Juni 1901 von der HMS Jupiter auf die Discovery gewechselt. Er gehörte zu den ersten Männern, die Scott für seine Expedition rekrutierte.
Die emotionale Verabschiedung scheint den Seemann zum Leichtsinn verführt zu haben. Er hatte bereits stark dem Alkohol zugesprochen, und während die Discovery langsam den Hafen von Lyttelton verließ, kletterte er von seinem Platz im Krähennest zum Topp des Großmastes, um von dort einen exklusiven Ausblick auf die Vorgänge tief unter ihm zu genießen. Was dann geschah, hielt Scott in seinem Buch fest:
Hoch oben auf dem Flaggenkopf sitzend, hatte er wie die anderen gewinkt und gejubelt, bis er sich in einem Anflug von Übermut aufrichtete und sich nur noch an dem dünnen Flaggenstock im Topp halten konnte. Was genau dann geschah, werden wir nie erfahren; vielleicht war es eine Welle, die ihn aus dem Gleichgewicht brachte. Zu uns, die wir an Deck standen, drang ein lauter Schrei, und als wir aufblickten, sahen wir eine Gestalt, die auf uns zuraste und dabei den Flaggenstock aus dem Topp fest umklammerte. Dann landete sie kopfüber auf der Ecke eines eisernen Deckshauses. Der Tod trat unmittelbar ein. 3
Lashly, stets ein Mann der klaren Worte, notierte in seinem Tagebuch:
Er verlor das Gleichgewicht, als das Schiff in der ersten Welle überholte, und stürzte auf das Deck, den Flaggenstock noch in der Hand. 4
Edward »Bill« Wilson, seines Zeichens Schiffsarzt und Zoologe auf der Discovery , hielt fest, dass viele der hartgesottenen Seeleute das Ereignis als Tragödie empfanden, an der sie schwer zu schlucken hatten. Seinem Tagebuch vertraute er an, dass viele Männer »weinten wie Kinder«, und der Schiffszimmermann James Duncan meinte, der Unfall habe »die Stimmung an Bord nachhaltig verschlechtert«. 5Matrose Sinclair, der Bonner wohl eine Flasche Whisky gegeben hatte, bevor der in den Großmast aufgeentert war, klaute sich daraufhin etwas Zivilkleidung zusammen und verschwand. Scott beschrieb den Vorfall als »eine jener Tragödien, die einem die harte Wirklichkeit des Lebens in Erinnerung rufen«, und wusste zu berichten, dass auf dem ganzen Schiff »Trauer und Betroffenheit« lasteten. Bonner wurde am 23. Dezember, kurz nach der Ankunft in Port Chalmers, bestattet. Und wie zum Beweis der These von der »harten Wirklichkeit des Lebens«, in diesem Falle des entbehrungsreichen Lebens, das unter Deck der Schiffe der britischen Navy zur Zeit König Edwards herrschte, führte Scott in seinem Bericht an die Königliche Geografische Gesellschaft aus, dass »Bonners persönliche Habe und die wenigen Kleidungsstücke, die ihm gehörten«, an Bord der Ringarooma verkauft werden sollten. Der Erlös, so der knappe Kommentar, »dürfte sehr gering ausfallen«.
Für Bonner kam nun aber nicht Crean an Bord, sondern Jesse Handsley aus Gloucester, der gemeinsam mit Crean auf der Ringarooma gedient und sich ebenfalls freiwillig gemeldet hatte.
Der Abschied von Port Chalmers am Weihnachtsabend 1901 fiel ungleich verhaltener aus als der von Lyttelton drei Tage zuvor, denn noch standen alle unter dem Eindruck des Todes von Bonner. Das Schiff, bis oben hin mit Kohle, Proviant und lebendem Vieh bepackt, verabschiedete sich um 9:30 Uhr Ortszeit von der Zivilisation und dampfte schwerfällig davon. Louis Bernacchi, der Physiker der Expedition, notierte, dass »kein Winkel und keine Nische des Schiffes ungenutzt geblieben« waren, sodass »die Freibordmarke so weit unter Wasser lag, dass sie in Vergessenheit geriet«. Die Verhältnisse an Bord beschrieb er als »ein Durcheinander, das eines Schiffes unwürdig war«.
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