Weitere mögliche Differenzierungen, etwa nach Tendenzfreundlichkeit bzw. -feindlichkeit 245oder -nähe bzw. Sendungsrelevanz des Arbeitnehmers, 246sind dagegen bestenfalls geeignet, die Schwere des Verstoßes zu bewerten, bieten aber keinen materiellen Mehrwert. Selbstverständlich ist dabei, dass die Kategorien durchaus miteinander verwoben sein können. So kann beispielsweise ein Kirchenaustritt immer auch ein öffentliches Eintreten gegen Positionen der Kirche beinhalten.
D. Kritik: Die Rechtsprechung des BAG als Angriff auf die Identität der Kirchen
Die Kritik, wie virulent sie auch gewesen sein mag, soll hier nur angedeutet werden, da als Grundlage für ihre Bewertung die Reichweite der verfassungsrechtlichen Selbstverwaltungsgarantie der Kirchen Voraussetzung ist. Gleichwohl kann auf eine Darstellung in der gebotenen Kürze nicht verzichtet werden, weil es ebendiese Kritik war, die letztlich zur Grundsatzentscheidung des BVerfG führte. 247
I. Die ekklesiologische Kompetenz
Stärkster Kritikpunkt war sicherlich die Annahme der Gerichte, dass die ekklesiologische Kompetenz der Kirchen durch die staatlichen Gerichte zu kontrollieren sei. 248In der oben dargestellten Rechtsprechung gingen die Gerichte davon aus, dass die Kirchen zwar erhöhte Loyalitätserwartungen haben dürften. Diese seien jedoch – wenn auch zunächst von den Kirchen festzuschreiben – von den Fachgerichten voll überprüfbar. Ebenso sei auch von den Gerichten zu überprüfen, ob und in welchem Maße kirchliche Arbeitnehmer diesen Loyalitätsobliegenheiten unterlägen. Richtigerweise wendete sich die Kritik damit nicht vorrangig gegen eine Stufung der Loyalitätsobliegenheiten als solche; sofern diese von der Kirche vorgesehen wäre, wäre sie durchaus nicht zu beanstanden. Legen jedoch die Arbeitsgerichte eine solche Stufung von außen fest, so solle ein Eingriff in die Selbstverwaltungsgarantie vorliegen. 249
In der Sache führe dies letztlich zur Etablierung einer „staatlichen Kirchenhoheit“. 250Zumindest mittelbar über das Arbeitsrecht konnte der Staat den Kirchen also diktieren, was sie glauben und was sie nicht glauben durften. Schreibe man dies aber der Kirche vor, so sei dies nicht nur ein Angriff auf ihre Freiheit, sondern vielmehr sogar auch ein Angriff auf ihre Identität. 251Definiert das BAG also selbst, was Inhalt des Sendungsauftrags der Kirche sei, sowie was deren Glaubwürdigkeit beeinträchtigt, so übernimmt es damit ein ekklesiologisches Mandat. 252Diese Versuche gelten jedoch dem untauglichen Objekt: „Der Staat trennt dort, wo die kirchliche Sache Einheit erfordert.“ 253Das Selbstverwaltungsrecht der Kirchen könne folglich nur durch das Selbstverständnis der Kirchen rechtmäßig ausgefüllt werden. Mit anderen Worten: Die Frage, ob ein Loyalitätsverstoß vorliegt, ließe sich denklogisch nicht von der Frage nach seiner Bewertung, seiner Schwere trennen.
Die Gegenmeinung, die sich ja auch letztlich in der Rechtsprechung des BAG niedergeschlagen hatte, 254verkennt und bestreitet demgegenüber ebenfalls nicht, dass die grundlegende Kompetenz, Loyalitätsobliegenheiten festzuschreiben, den Kirchen innewohnt. 255Bestritten wird die weite Reichweite dieser Kompetenz. Obschon die religiöse Bindung „eine Bindung des ganzen Menschen“ sei und staatliche Gerichte nicht befugt sein könnten, theologische Streitfragen zu entscheiden, sei eine jede These, die auf Differenzierung bei den Adressatengruppen der Loyalitätserwartungen verzichtet, falsch; diese Notwendigkeit zur generellen Differenzierung folge daraus, dass im Einzelfall eben nicht differenziert, sondern nur nach dem Schema von entweder-oder geurteilt werden könne. 256Von den Gerichten sei also nach Einzelfallumständen zu entscheiden, entsprechende Beispiele wurden genannt. 257Dies resultiere daraus, dass dem kirchlichen Selbstverwaltungsrecht nicht automatisch der Vorrang gegenüber den Grundrechten der betroffenen Arbeitnehmer einzuräumen sei; 258vielmehr sei dies höchstens aus faktischen Erwägungen der Fall, etwa weil die Kirche durch eine Nichtkündigung in ihrer Glaubwürdigkeit betroffen wäre, während der Arbeitnehmer durch soziale Sicherungssysteme im Falle einer Kündigung abgesichert wäre. 259
II. Die BAG-Rechtsprechung als Tendenzschutz in neuen Kleidern
Ein weiterer, eng verzahnter Kritikpunkt entzündete sich daran, dass trotz der ausdrücklichen Differenzierung durch das BAG 260der den Kirchen nun gewährte Schutz materiell deckungsgleich mit dem Schutz säkularer Tendenzunternehmen und -träger gestaltet wurde, denn auch hier sind die Loyalitätsobliegenheiten nur abgestuft zu befolgen. 261Dies verkenne jedoch das Anderssein des kirchlichen Dienstes, der sich, eben gerade anders als Tendenzschutz aus übrigen Grundrechtsgewährleistungen, auf sämtliche Lebensbereiche erstreckt. 262Eng verwandt zum vorgenannten Kritikpunkt bemängelt diese Ansicht also, dass die kirchliche Dienstgemeinschaft, die „Homogenität im christlichen Ethos“ nicht künstlich aufgespalten werden könne. 263Außen- und Innentätigkeit, Ordnung und Bekenntnis, Verkündigung und Unterstützung, all diese Tätigkeiten dürften nicht getrennt betrachtet werden. 264
Die Gegenmeinung konterte mit einer ausdrücklichen und gewollten Gleichstellung von Kirchenautonomie und Tendenzschutz. So formulierte Ruland : „Insoweit nehmen die Kirchen gegenüber anderen Tendenzträgern jedoch keine Sonderstellung ein.“ 265Beide verwirklichten grundrechtlich geschützte Freiheiten, die wiederum in Kollision auf Grundrechte ihrer Arbeitnehmer träfen. 266Beide seien also auch gleich zu behandeln.
Wie oben dargelegt wurde, ist das BAG im Ergebnis der letztgenannten Ansicht gefolgt – zwar mit vorsichtigerer Formulierung und ausdrücklicher Differenzierung zwischen Kirche und säkularen Tendenzbetrieben, aber inhaltlich dann eben doch.
207BVerfGE 70, 138.
208So etwa Hammer , AuR 2011, 278, 281.
209BAGE 2, 279 = AP Nr. 15 zu § 1 KSchG = NJW 1956, 646.
210Can. 1055 § 1 CIC sowie Can. 1055 § 2 CIC, Can. 1085 CIC.
211BAG NJW 1956, 646, 647.
212LAG Saarbrücken NJW 1976, 645.
213LAG Saarbrücken NJW 1976, 645.
214LAG Saarbrücken NJW 1976, 645, 646.
215So fehlte es z.B. an katholischem Bibelunterricht, tägliche Gebete waren nicht üblich und in großem Umfang wurden auch Kinder anderer Konfessionen aufgenommen.
216Als Grund für die lange Pause vermuten Geck/Schimmel , AuR 1995, 177, 179, Fn. 17 die allgemeine Arbeitsmarktlage.
217BAG AP Nr. 2 zu Art. 140 GG = NJW 1978, 2116. Zwar lässt das Gericht ausdrücklich offen, ob am Anstreicher-Urteil festzuhalten ist, inhaltlich bewegt es sich jedoch von diesem fort.
218Vgl. dazu auch BVerfG NJW 1978, 581.
219BAG AP Nr. 4 zu Art. 140 GG sowie BAG NJW 1980, 2211.
220BAG AP Nr. 4 zu Art. 140 GG.
221BAG NJW 1980, 2211. Zur kirchenrechtlichen Würdigung eines solchen Sachverhalts vgl. Can. 277 § 1, 599, 1073, 1087, 1378, 1329 § 2 CIC.
222LAG Mainz NJW 1980, 2213: Die ordentliche Kündigung eines geschiedenen Arbeitnehmers, der in eheähnlicher Gemeinschaft lebt, aber nicht an der kirchlichen Verkündigung teilhat, ist „offensichtlich“ rechtswidrig.
223BAGE 34, 195 = AP Nr. 7 zu Art. 140 GG = NJW 1981, 1228.
224Eine Verfassungsbeschwerde der Klägerin wurde mangels Erfolgsaussichten nicht angenommen, BVerfG NJW 1983, 2570.
225BAG, Urteil vom 03.11.1981, 1 AZR 38/81 (nv, juris).
226BAG AP Nr. 14 zu Art. 140 GG.
227Can. 1398 CIC: „Wer eine Abtreibung vornimmt, zieht sich mit erfolgter Ausführung die Tatstrafe der Exkommunikation zu.” Vgl. auch Can. 1041 § 4 CIC.
228BAG AP Nr. 16 zu Art. 140 GG; beachtenswert ist der Hinweis, dass der Kirchenaustritt ja schließlich nur aus „Verärgerung“ über die Kirche in ihrer Eigenschaft als Arbeitgeber geschehen wäre, was nicht etwa die Abwendung von katholischen Glaubenssätzen zu bedeuten habe.
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