»Er [LudendorffLudendorff, Erich, S. B.] sagte ungefähr folgendes: Er sei verpflichtet, uns zu sagen, daß unsere militärische Lage furchtbar ernst sei. Täglich könne unsere Westfront durchbrochen werden. […] Die O. H. L. und das deutsche Heer seien am Ende; der Krieg sei nicht nur nicht mehr zu gewinnen, vielmehr stehe die endgültige Niederlage wohl unvermeidbar bevor. BulgarienBulgarien sei abgefallen. ÖsterreichÖsterreich und die TürkeiTürkei am Ende ihrer Kräfte, würden wohl bald folgen. Unsere eigene Armee sei leider schon schwer verseucht durch das Gift spartakistisch-sozialistischer Ideen. Auf die Truppen sei kein Verlaß mehr. Seit dem 8. 8. sei es rapide abwärts gegangen. Fortgesetzt erwiesen Truppenteile sich so unzuverlässig, daß sie beschleunigt aus der Front gezogen werden müßten. Würden sie von noch kampfwilligen Truppen abgelöst, so würden diese mit dem Ruf ›Streikbrecher‹ empfangen und aufgefordert, nicht mehr zu kämpfen. Er könne nicht mit Divisionen operieren, auf die kein Verlaß mehr sei. So sei vorauszusehen, daß dem Feinde schon in nächster Zeit mit Hilfe der kampffreudigen Amerikaner ein großer Sieg, ein Durchbruch in ganz großem Stile gelingen werde, dann werde dieses Westheer den letzten Halt verlieren und in voller Auflösung zurückfluten über den RheinRhein und werde die Revolution nach Deutschland tragen. Diese Katastrophe müsse unbedingt vermieden werden. […] Deshalb habe die O. H. L. von Sr. M. und dem Kanzler gefordert, daß ohne jeden Verzug der Antrag auf Herbeiführung eines Waffenstillstandes gestellt würde bei dem Präsidenten WilsonWilson, Woodrow von Amerika zwecks Herbeiführung eines Friedens auf der Grundlage seiner 14 Punkte. Er habe sich nie gescheut, von der Truppe Äußerstes zu verlangen. Aber nachdem er jetzt klar erkenne, daß die Fortsetzung des Krieges nutzlos sei, stehe er nun auf dem Standpunkte, daß schnellstens Schluß gemacht werden müsse, um nicht noch unnötigerweise gerade noch die tapfersten Leute zu opfern, die noch treu und kampffähig seien. Es sei ein schrecklicher Augenblick für den Feldmarschall und für ihn gewesen, dieses Sr. M. und dem Kanzler melden zu müssen. Der letztere, Graf Hertling, habe in würdiger Weise Sr. M. erklärt, er müsse daraufhin sofort sein Amt niederlegen. Nach so vielen Jahren in Ehren könne und wolle er als alter Mann nicht sein Leben damit beschließen, daß er jetzt ein Gesuch um Waffenstillstand einreiche. Der Kaiser habe sein Abschiedsgesuch angenommen. Exc. LudendorffLudendorff, Erich fügte hinzu: ›Zur Zeit haben wir also keinen Kanzler. Wer es wird, steht noch aus. Ich habe aber S. M. gebeten, jetzt auch diejenigen Kreise an die Regierung zu bringen, denen wir es in der Hauptsache zu danken haben , daß wir so weit gekommen sind. Wir werden also diese Herren jetzt in die Ministerien einziehen sehen. Die sollen nun den Frieden schließen, der jetzt geschlossen werden muß . Sie sollen die Suppe jetzt essen, die sie uns eingebrockt haben!‹«18
Im Großen Hauptquartier in SpaSpa wurde auf Drängen der Militärs am 28./29. September beschlossen, unverzüglich ein Waffenstillstands- und Friedensangebot an WilsonWilson, Woodrow zu senden. Die Lage Deutschlands wurde auch mit Blick auf die Verbündeten als dramatisch beurteilt, wie das Zitat von ThaersThaer, Albrecht von zeigt. Tatsächlich fielen die Verbündeten Deutschlands wie Dominosteine. Ende September unterzeichneten als erste der Mittelmächte BulgarienBulgarien den Waffenstillstandsvertrag, Ende Oktober die Osmanen, am 3. November Österreich-UngarnÖsterreich-Ungarn.
Da der amerikanische Präsident bereits unmissverständlich klargemacht hatte, nur mit einer demokratisch legitimierten deutschen Regierung verhandeln zu wollen, beschlossen die in SpaSpa Versammelten, eine Revolution von oben durchzuführen. Die bislang nicht an der Regierung beteiligten Mehrheitsparteien, Zentrum, MSPD und linksliberale Fortschrittspartei, sollten Vertreter in das neu zu bildende Kabinett entsenden. Wie in der Verfassung vorgesehen, ernannte der Kaiser die Regierungsmitglieder; von Neuwahlen war keine Rede, wie aus den Plänen des Auswärtigen Amtes hervorgeht:
»Die auf diese Weise neu gebildete Regierung würde im gegebenen Moment an den Präsidenten WilsonWilson, Woodrow heranzutreten haben mit dem Ersuchen, die Herstellung eines Friedens in die Hand zu nehmen und zu diesem Zwecke allen kriegführenden Parteien die Entsendung von bevollmächtigten Delegierten nach WashingtonWashington vorzuschlagen. […] Unsere Aufforderung an Herrn WilsonWilson, Woodrow wäre von der Erklärung zu begleiten, daß Deutschland, eventuell der Vierbund, bereit ist, den Friedensverhandlungen als Programm die bekannten 14 Punkte des Präsidenten zugrunde zu legen.«19
Wie schon in dem Tagebucheintrag Oberst von ThaersThaer, Albrecht von angeklungen war, plante die OHL, den Parteien, die bislang keine Regierungsverantwortung innegehabt hatten, nun die Liquidierung des Krieges zu überlassen und die Verantwortung für die Niederlage zuzuschieben.
Am 3. Oktober wurde Max von BadenMax von Baden zum Reichskanzler ernannt und von der OHL gezwungen, noch am selben Tag ein Waffenstillstandsangebot nach WashingtonWashington zu senden. Die erste deutsche Note an WilsonWilson, Woodrow war kurz und dem Präsidenten zu unpräzise. Zu Beginn einer wochenlang andauernden Verhandlungsphase bat Außenminister LansingLansing, Robert in drei Punkten um Präzisierung: Nehme Deutschland die in den 14 Punkten formulierten Grundsätze an? Werde sofort mit dem Rückzug der deutschen Truppen begonnen? Und für wen spreche der Kanzler?20 Besonders in der Frage, ob eine demokratisch legitimierte Regierung verhandele, blieb die deutsche Antwortnote ausweichend:
»Die jetzige deutsche Regierung, die die Verantwortung für den Friedensschritt trägt, ist gebildet durch Verhandlungen und in Übereinstimmung mit der großen Mehrheit des Reichstages. In jeder seiner Handlungen, gestützt auf den Willen dieser Mehrheit, spricht der Reichskanzler im Namen der deutschen Regierung und des deutschen Volkes.«21
Nach der noch geltenden Verfassung wurde die Regierung nicht vom Reichstag gebildet. Vielmehr ernannte der Kaiser den Kanzler, der seinerseits die Staatssekretäre einsetzte. Zu den weitreichenden Möglichkeiten des Kaisers gehörte auch, dass er den Reichstag jederzeit auflösen konnte.
Nur zwei Tage später folgte die Antwort aus WashingtonWashington. Erneut wurde betont, dass die Alliierten keinen Waffenstillstand in Erwägung ziehen würden, solange die deutschen Streitkräfte fortführen, Passagierschiffe zu versenken und bei ihrem Rückzug in FrankreichFrankreich und FlandernFlandern mutwillig und völkerrechtswidrig Orte zu zerstören und zu plündern. Unumwunden erklärte der Präsident, er werde mit der jetzigen Regierung nicht verhandeln. »Die deutsche Nation hat die Wahl, das zu ändern«, hieß es in der amerikanischen Note.22 In der Antwortnote acht Tage später bestritt Staatssekretär Wilhelm SolfSolf, Wilhelm die Deutschland vorgeworfenen Völkerrechtsverletzungen. In der Frage der Legitimität der Regierung wurde er noch immer nicht konkreter: Auf der Grundlage der Verfassung habe bislang die Volksvertretung weder Einfluss auf die Regierungsbildung noch auf die Entscheidung über Krieg und Frieden gehabt. Doch sei die neue Regierung »in völliger Übereinstimmung mit den Wünschen der aus dem gleichen, allgemeinen, geheimen und direkten Wahlrecht hervorgegangenen Volksvertretung gebildet«.23 Auch habe die neue Regierung dem Reichstag einen Gesetzentwurf zur Verfassungsänderung vorgelegt, damit in Zukunft für die Entscheidung über Krieg und Frieden die Zustimmung der Volksvertretung erforderlich sei, versuchte SolfSolf, Wilhelm die amerikanischen Vorbehalte zu entkräften.24
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