Wie zwei Nadelfische stechen sie in See und durch warme und kalte Strömungen zum Ufer mit Gretas Kleidern. Keine Spur von Jannis. Dein Bruder ließ ein paar Steine übers Wasser hüpfen, mit ihren Wellen bin ich losgeschwommen, dann war er weg . Zum zweiten Mal knöpft Greta ihre Bluse zu, vertut sich wieder in der Knopfleiste, du weißt, dass er nicht mein Bruder ist . Der Kuhhirte räuspert sich, sagen wir es einmal so, es ist mir aufgefallen. So vernarrt wie er in dich ist . Ist er das, sind sie verliebt, meinst du wirklich, aber er hat nie etwas gesagt . Warum habe sie dann gerade mit ihm geschlafen, mit dir, das ist mein erstes Mal. Lust, und ich war, wie heißt es, vor ihm gerüstet. Glaub mir, es war kein Fehler , er öffnet einen Knopf, reibt mit seinem Daumenballen über ihre Brustwarze, erklär ihm, er soll dich zuerst streicheln, zeig ihm, wie er dir mit seinem ganzen Körper nahekommt . Greta geht in die Knie, zieht den Mann zu sich herab, die Lust macht etwas mit mir . Obwohl er glaube, dass du jetzt bloß den Buben mit den Locken im Sinn hast , legt er sich über sie, mit dem ganzen Gewicht, das nicht leichter sein könnte, legen sie sich ineinander. Ohne Deckung, keine Blicke, es wird schon dunkel, Abend und nächtlich. Hinter ihren Lidern schwarz bloß, das schöne All der Töne fehlt und Farben, bloß schwarz, Summen, keine Melodie. Sie erschrickt, war es das , ist das alles.
Es komme ihr nicht richtig vor, das zu sagen, setzt Greta an, aber danke, dass du mir gezeigt hast, wie, du weißt schon . Der Kuhhirte lässt sie auf dem Weg überholen, schon recht , einen Teil vom Sommer werde er wieder neben seinen Kühen ihre Ziegen und Jannis’ Schafe hüten, komm gerne vorbei, wenn du etwas lernen magst . Sie schüttelt den Kopf. Auf ihrem Heimweg allein tut es ein bisschen weh, unter ihren bloßen Sohlen die Kieselsteine, in ihren Händen der makellose Stein, den Jannis liegen ließ. Greta fragt sich, ob Jannis wirklich verliebt in sie ist. Ob sie sich die Küsse zwischen ihnen in der Luft nicht bloß einbildete wie Schneeflocken. An einem winterkalten Tag hatte ihr Jannis vor der Haustür zweimal gute Nacht gesagt, dazwischen eine stille Pause und danach. Bis sie die Stille auflöste, also bis morgen, Jannis . Als erlöste sie ihn, sich selbst, kam es ihr damals vor.
Eine eingezäunte Unordnung, und sei es eine eingezäunte Ordnung, was hätten wir davon . Mutter habe noch keinen Zaun gesehen, der kein Einschnitt war, in Blick und Boden, in den Garten in ihren Augen, auch in deinen Augen, Greta . Wer sie besucht, kann von allen Seiten sich nähern, von den Sträuchern mit ihren kleinen Zaunkönigsnestern, vom Bach her, von überallher, quer durch die Margeritenwiese bis zur Terrassentür, ein Klopfen, guten Tag, ich dachte, ich komme vorbei, die Tür war offen . Meistens unangekündigter Besuch. Mutter, eigentlich brauchen wir keine Hausglocke . Aber sie schaue so schön aus, ihr Klang sei kräftig, sogar bei Nacht könnten wir sie läuten hören .
Fürs alljährliche Nachbarschaftsfest tragen sie die zwei langen Holztische zusammen vors Haus, überziehen sie mit einer Tischdecke weiß, wie aus einem Guss , einmal im Jahr, so werden die Nachbarn zusammensitzen, essen, lachen, danach langt es wieder für ein Jahr. Greta, sei so gut und bring noch die Teelichter und die Schachtel mit den langen Zündhölzern . Über dem Holzofen erwärmt sich die gusseiserne Reispfanne, außen golden lackiert, die Kerzen , obwohl es noch lange hell sein wird, ich zünde sie jetzt an . In der Zündholzschachtel entdeckt Greta ein paar Geldscheine und Münzen, ein verstecktes Geschenk von Tante Severine, schau, Mutter , schon an Weihnachten hätten sie nachschauen sollen.
Im Moment, da die erste Kerze brennt, gleich wieder verlischt, schlendert Jannis um den Ahornbaum herum zum Ofen. Sein Vater komme gleich, er bringe Schinken mit und Wein in einer Schubkarre Eiswürfel, weil er weiß, dass da kein Fleisch noch Fisch gekocht, kein Tropfen ausgeschenkt würde. Mutter schüttelt den Kopf, Greta spricht es aus, ein Nachtessen im Jahr ohne, ein Weltuntergang für deinen Vater . Jannis wendet sich ab, betrachtet wie die Nachbarskatzen die Zaunkönigseltern in den Sträuchern, ein großer Baum, drei solche Bäume, ein paar Flügelschläge weiter ein ganzer Wald, aber bloß auf einem Zweig nisten sie . Greta setzt den Satz fort, und der Maulwurf, ein ganzer Bach im Fluss, nimmt er doch bloß ein paar Schlucke . Mutter mischt sich ein, die Sätze habe ich euch früh schon vorgelesen. Ihr wolltet sie immer wieder hören, „und jetzt das Bild mit dem Paar auf dem Bänkchen“, habt ihr immer gesagt. Dann holte ich die alte Zeichnung, die heute in der Hütte hängt .
Alle Nachbarn eingetrudelt, finden sich Greta und Jannis auf den Hockern an den Tischenden wieder. Dem Anschein nach ist Jannis nach gestern sowieso nicht in Stimmung, mit ihr zu reden. Ob er, fragt sich Greta, gesehen hatte, wie der Kuhhirte vom Damm über den Weiher zu ihr schwamm. Hast du die Maikäfer und Junikäfer wirklich eingefroren , löcherte sie Jannis vorhin, er schwieg, und die Steine, der Stein blieb am Strand liegen , und überhaupt, du warst auf einmal nicht mehr hinter mir . Jannis spitzte seine Lippen, Brombeerlippen, auch jetzt im Trockenen, ahmte mit ihnen einen Fischmund, einen Fischkussmund nach. Du bist kindisch, Jannis, dann werfe ich den Stein halt fort . In hohem Bogen über den Zaun, den es nicht gibt, sie brauche den Stein nämlich auch, schon gar nicht. Dann sind wir schon zwei , zu zweit. Greta gefallen sowieso die Steine mit Ecken und Kanten mehr, mit Zacken und Mulden. Solche Steine sind dem Felsen näher , begründete sie. Abgerundet sind sie der Bewegung, dem Wasser, näher dem Wind , sagte Jannis, genau das sei es nämlich, was ihm an den runden Steinen gefalle. Aber , wendete Greta ein, rundum rund erzählen sie nichts mehr , nicht, was sie berührt, noch, woran sie sich in ihrem Flug und Fluss gestoßen haben.
Den ersten Tropfen spürt sie auf ihrer Wange ungefähr dort, wo sie alle paar Wochen ein schwarzes Haar aus ihrem großen Muttermal zupft. Vorm Nachbarschaftsfest hatte sie mit zwei Spangen ihre Haare hinterm Ohr befestigt, das wäre Tante Severine recht, und Jannis gefällt es, längst aufgefallen war ihm schon einmal, du hast immer Rouge auf deinen Wangen . Sie zwinkerte, vergewissere dich . Kurz berührte er ihr Muttermal, als Ausgangspunkt, strich mit seinem feuchten Daumen wie ein Regentropfen über ihr Gesicht, ihren Hals, er war für den Rest ihres Treffens rot, das war vor einem Jahr. Zwischen Roséwein und Himbeersaft fallen jetzt viele Tropfen mehr aus heiterem Himmel. Wie von selbst füllen sich die Gläser und die Tafel leert sich. Greta und Jannis flüchten auf die Veranda, viele laufen heim, bloß Mutter und Jannis’ Vater bleiben wie festgenagelt sitzen, unterhalten sich, essen, trinken, als ob nichts wäre. Merken sie nichts , wundert sich Greta. Jannis zuckt mit den Schultern, geht aus ihren Augen ums Eck. Je stärker, je mehr verschluckt der Regen die Stimmen der beiden Erwachsenen, ihre Gesichtszüge verschwimmen, der Himmel verdunkelt. Dann gedämpfte Schreie, jedes Wort gleich unverständlich, aber lauter als der Regen, sie reden nicht mehr.
Auf der anderen Seite des Hauses findet sie Jannis. Sie musste ihn nicht suchen, wo ein Zaun eine Tür mit Schnalle, zumindest ein Loch hätte, steht er, ganz rot im Gesicht. Was war das, mein Vater, deine Mutter, Greta, ich habe die beiden noch nie so erlebt . Mit der Fingerspitze fängt Greta an Jannis’ Schläfe auf, was sie für eine warme Träne hält. Komm mit, Jannis, wir laufen weg, heb deine Beine auf . Was das heißen soll. Mach schnell . Ob das heiße. Ja, jetzt mach endlich weiter, Jannis, wir laufen durch die Schlucht in den Wald . Weder ihre Sandalen brauchen sie noch Socken, vollgesaugt mit Wasser, zwei Paar nasse Füße sind genug, finde ich, findest du nicht. Komm schon, Jannis . Sie bückt sich, öffnet die Riemen ihrer, seiner Sandalen. Dann sind sie weg.
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