14 a) „in dubio pro reo“..Noch ein Grundsatz ist für den Täter ganz wichtig, wenn sich Sachverhaltsfeststellungen nicht mehr oder nicht zweifelsfrei feststellen lassen: „Im Zweifel für den Angeklagten!“ 15Nicht der Beschuldigte oder Angeklagte muss seine Unschuld beweisen, sondern umgekehrt muss ihm seine Schuld nachgewiesen werden. Das Gericht muss von seiner Schuld überzeugt sein (§ 261 StPO), bei Zweifeln ist er freizusprechen.
15 b) Das Verbot der Doppelbestrafung.. „Ne bis in idem“ heißt der alte lateinische Grundsatz: Keine Doppelbestrafung! Keine erneute Bestrafung in ein und derselben Sache! Auch dieser Grundsatz hat Verfassungsrang (Art. 103 III GG), er verbietet aber nur eine Doppelbestrafung in derselben Sache durch deutsche Gerichte. 16Ein im Ausland verurteilter Deutscher ist vor einer nochmaligen Bestrafung in Deutschland nicht geschützt. Nach § 51 III wird aber die ausländische Strafe angerechnet.
Kapitel 2:Deliktsaufbau und Einführung in die Falllösungstechnik
I.Grundbegriffe der Fallbearbeitung
1.Sachverhalt und Gutachten
16Ausgangspunkt einer jeden Einführung in die Methodik der Fallbearbeitung ist der Begriff des Sachverhalt s, der in dreifacher Hinsicht von Bedeutung ist: Der Praktiker vor Ort findet einen echten Lebenssachverhalt vor, die Leser eines Lehrbuches haben es mit einem meist vereinfachten Übungssachverhalt zu tun und Prüfungskandidaten müssen in einer Klausur einen Sachverhalt als Prüfungsaufgabe bearbeiten. Studierende des Strafrechts sollten sich von Anfang an darüber im Klaren sein, dass man in der Vorlesung oder in einem Lehrbuch keine realen Fälle behandeln kann, weil es schlicht unmöglich ist, jedes Mal den Fall erst konkret zu ermitteln. Tatortarbeit, Spurensicherung, Zeugenvernehmung, Aktenlesen usw. gehören natürlich zu den Hauptaufgaben der ermittelnden Polizeibeamten. Häufig werden gerade darin die eigentlichen Schwierigkeiten des Falles liegen. Nur gehören diese praktischen Fragen nicht in den Bereich des materiellen Strafrechts, wo es ausschließlich um rechtliche Fragestellungen geht. Um diese erläutern und üben zu können, werden fertige, d. h. abschließend ermittelte Fälle zugrunde gelegt. Wann immer es möglich ist, werden dazu in diesem Lehrbuch konkrete Rechtsprechungsfälle ausgewählt. Studierende Polizeibeamte mögen sich dabei immer wieder vor Augen führen, dass alle diese von den Gerichten entschiedenen Fälle, mögen sie manchmal noch so kurios und zuweilen sogar grotesk erscheinen, in ihrem Ausgangspunkt polizeiliche Fällegewesen sind. Denn die Ermittlung des Lebenssachverhalts, der dann von der Justiz abgeurteilt wird, leisten die Polizeibeamtenvor Ort. Sachverhalte in Prüfungsarbeiten wiederum haben eine ganz andere Funktion. Der Aufgabensteller in einer Klausur will strafrechtliches Wissen und Verständnis überprüfen und ganz bestimmte Themen des materiellen Strafrechts „abfragen“. Dazu gibt er einen Sachverhalt vor, der als Grundlage für die eigentliche „Aufgabe“ zu begreifen ist.
Diese Aufgabe, die üblicherweise als Fallfrageformuliert wird, besteht in der Beurteilung der möglichen Strafbarkeit der am Fall beteiligten Personen. Im Zentrum der Fragestellung steht damit allein die Strafbarkeitder Beteiligten, während Schadensersatzansprüche, versicherungsrechtliche Fragen oder auch polizeiliche Aspekte usw. ausgeklammert bleiben.
Mit welcher Methode ist nun diese Fallfrage zu beantworten? In manchen Klausuren wird die Aufgabe wie folgt formuliert: „Prüfen Sie bitte in einem Rechtsgutachten die Strafbarkeit der Beteiligten!“ Damit ist die Methode ausdrücklich benannt: In Klausuren und sonstigen Prüfungen ist stets ein Rechtsgutachten 17zu erstellen. Im Gegensatz zum Gutachten wird in einem Urteildas Ergebnis der rechtlichen Überprüfung im sog. Urteilstenor ganz an den Anfang gestellt („Der Angeklagte A. wird wegen Diebstahls gem. § 242 I zu […] verurteilt.“) . Es folgt dann in einzelnen logischen Schritten die Begründung des Urteils. Die Gutachtenmethodegeht den umgekehrten Weg, indem der Fallbearbeiter zuerst eine Frage aufwirft und den Straftatbestand benennt, der geprüft werden soll („A. könnte einen Diebstahl gem. § 242 begangen haben“) . Dieser erste Arbeitsschritt bei der Erstellung eines Gutachtens folgt zwingend aus dem Bestimmtheitsgrundsatz („Keine Strafe ohne Gesetz“) , denn wenn die Strafbarkeit eines bestimmten menschlichen Verhaltens überprüft werden soll, muss es einen gesetzlichen Straftatbestand geben, der auf dieses Verhalten passen könnte. Als weiterer logischer Schritt werden in einem Gutachten sodann die einzelnen Voraussetzungen des Tatbestandes („Wegnahme, fremde bewegliche Sache, Vorsatz, Zueignungsabsicht usw.“) sowie der Rechtswidrigkeit und Schuld überprüft. Am Ende dieser Erörterung folgt dann die Beantwortung der eingangs gestellten Frage. Anders als bei der Urteilsmethode steht somit das gefundene Ergebnis nicht am Anfang, sondern am Schluss der Ausführungen („A. hat sich somit [nicht] wegen Diebstahls nach § 242 I strafbar gemacht“) .
2.Auslegung und Subsumtion
17 a) Der Unterschied von Subsumtion und Auslegung..Unter Auslegung versteht man die Klarstellung des Gesetzessinnsbestimmter gesetzlicher Begriffe, um ggf. das Gesetz an die veränderten Bedürfnisse der Gegenwart anzupassen. Während die Auslegung den Bedeutungsgehalt von Rechtsbegriffen klarzustellen sucht, 18geht es bei der Subsumtionum die Anwendung des abstrakten Gesetzes auf einen konkreten Fall. Es wird dabei untersucht, ob der reale Sachverhalt unter die Rechtsnorm „passt“. Die Auslegung bezieht sich also auf den gesetzlichen Tatbestand, während die Subsumtion den konkreten Sachverhaltbetrifft.
Diesen Unterschied möge folgendes Beispiel veranschaulichen:
A. tritt seinem alten Feind B. mit dem Fuß in den Unterleib. Ist der „beschuhte Fuß“ als „gefährliches Werkzeug“ i. S. d. § 224 I Nr. 2 anzusehen?
Der Blick in einen Strafrechtskommentar erleichtert die Auslegungdes Begriffs „gefährliches Werkzeug“ und zeigt die in der Rechtsprechung gefundenen Vergleichsfälle: Hammer, Stange, Knüppel, Rasierklinge, Würgeholz, Stuhlbein, Bierkrug, Fahrradkette, brennende Zigarette usw. 19Nach h. M. ist „gefährliches Werkzeug“ jeder bewegliche Gegenstand, der nach seiner objektiven Beschaffenheit und der Art seiner Verwendung im konkreten Fall geeignet ist, erhebliche Verletzungen zuzufügen. 20Während die Auslegung die generelle Definition des Begriffs betrifft, geht es bei der Subsumtion um die Anwendung auf den konkreten Fall. Das Subsumtionsergebnis im Beispiel richtet sich nach der Art und damit der Gefährlichkeit des eingesetzten Schuhs. Hatte A. etwa einen weichen Filzpantoffel oder doch eher einen Springerstiefel an? Davon hängen letztlich die Gefährlichkeit und damit die Strafbarkeit wegen gefährlicher Körperverletzung ab.
18 b) Auslegungsmethoden..In Rechtsprechung und Rechtswissenschaft haben sich vier Auslegungsregeln 21herausgebildet. Jede Auslegung beginnt beim Wortlaut des Gesetzes, wobei gefragt wird, ob der Wortlaut nach dem natürlichen und juristischen Sprachgebrauch eine bestimmte Interpretation des Rechtsbegriffs deckt ( grammatischeAuslegung). Ist der Wortlaut mehrdeutig, kommt als nächstes Hilfsmittel die Entstehungsgeschichte des Gesetzes in Betracht ( historischeAuslegung). Diese Auslegungsmethode orientiert sich an den Motiven des Gesetzgebers, an den Gesetzgebungsmaterialien und der rechtspolitischen Diskussion vor oder beim Gesetzgebungsverfahren. Die systematischeAuslegung zieht den Systemzusammenhang mit anderen Rechtsnormen oder mit dem Gesetzesganzen in Betracht. Im Zweifel ist die objektiv-teleologischeAuslegung entscheidend, wenn der Wortlaut nicht eindeutig ist, der Wille des historischen Gesetzgebers nicht zu ermitteln und dem Systemzusammenhang keine Orientierung zu entnehmen ist. Die teleologische Auslegung erforscht die „ratio legis“ , den objektiven Sinn und Zweck des Gesetzes und seine besondere Schutzfunktion. Man unterscheidet ferner die extensive(weite) von der restriktiven(engen) Auslegung. So wird der Gewaltbegriff bei der Nötigung gemäß § 240 traditionell extrem weit ausgelegt, sodass die bloße Anwesenheit eines Menschen schon genügt, wenn dadurch beispielsweise der Straßenbahnverkehr blockiert wird. Dagegen müssen die Mordmerkmale des § 211 wegen der lebenslangen Freiheitsstrafe nach einer Vorgabe des BVerfG besonders eng, also restriktiv ausgelegt werden.
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