Ralph Heiliger
Die Vermessung von Architektur
Von Pareto, Parmenides und dem schönsten Weihnachtsbaum
Mein Dank geht an das Bistum Münster und die GALERIA Kaufhof
Ralph Heiliger
Die Vermessung von Architektur
Von Pareto, Parmenides und dem schönsten Weihnachtsbaum
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eISBN 978-3-939829-76-8
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Inhalt
0 „Was wollen Sie werden? Vermessungstechniker?“
In meiner Familie finden sich Maurer, Schreiner, Kranführer, Heizungsmonteure. Nahezu unvermeidbar wurde mein Interesse schon in jungen Jahren aufs Bauen gelenkt. In den Schulferien jobbte ich am Bau. Ich war vierzehn Jahre und verdiente 5 Mark die Stunde, das sind rund 2,50 Euro pro Stunde. Viel nutzen konnte ich dem Bauunternehmer nicht. Ich konnte Schaltafeln saubermachen, Nägel aus Brettern ziehen, kehren, den Ofen in der Bude am brennen halten und mittags einkaufen gehen. In den nächsten Ferien durfte ich dann schon am Kübel stehen, wenn die Fracht des Betonmischers vorsichtig hineingeschüttet und mit dem Kran befördert wurde. Für mich war das alles hochinteressant. Ich sah, wie ein Bauwerk wuchs, wie gewendelte Treppen geschalt wurden, wie man Stahlmatten verdrahtete und Decken betonierte. Es waren überaus lehrreiche Ferienjobs.
Mathematik, Physik, Deutsch, Kunst und Erdkunde – das waren die Schulfächer, die den Beruf des Vermessungstechnikers in mein Blickfeld rückten. Mein Berater beim Arbeitsamt fragte mich entsetzt: „Was wollen Sie werden? Vermessungstechniker? In ein paar Jahren wird alles vermessen sein, dann sind Sie arbeitslos!“ Das war 1975. Er sagte das nicht, weil er den Beruf nicht mochte. Er sagte es aus Überzeugung.
Ich bin dankbar, dass ich dennoch diesen Beruf ergriffen habe. Spannende Jahre sollten folgen: In den 1970er Jahren wurden die mechanischen Instrumente elektronisch, in den 1980ern startete das Global-Positioning-System (GPS). Mit dem Fall der Mauer und der Europäisierung bekamen wir neue Koordinatensysteme: Die Universal-Transversal-Mercatorprojektion (UTM) löste das Gauß-Krüger-Koordinatensystem ab, und statt über Normal-Null (NN) messen wir heute über Normal-Höhen-Null (NHN).
Mein Lehrherr hatte einen richtigen Computer: die Olivetti P203. Man saß an ihm wie an einer Bügelmaschine, die Beine unter der Tastatur, oberhalb die Schreibmaschine, rechts der Magnetkartenleser, dessen Karten so groß wie ein längs gefaltetes A4-Blatt waren. Zwei Jahre später investierte er in einen neuen Computer: die Olivetti P6060. Das war ein Geschoss! Interner Speicherplatz: 8 Kilobyte. 1982 kam der legendäre C64 auf den Markt, und mein Freund Norbert Haas und ich programmierten tage- und nächtelang: Primzahlengenerator, Flugbahnberechnung, Fahrsimulation. Wir programmierten in Maschinensprache. Deswegen waren wir auch enttäuscht, als die ersten IBM-PCs herauskamen: Sie stellten sich als wahre Schnecken gegenüber unserer Maschine heraus.
Die 1980er Jahre waren dem Studium der Geodäsie gewidmet – der Wissenschaft von der Vermessung der Erde. An der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität zu Bonn studierte ich das Theoriengebäude, in das ich das Praxiswissen einordnen und vertiefen konnte. Photogrammetrie und Städtebau vereinigten sich mit der Programmierung.
Zu jener Zeit erreichte das Thema Denkmalschutz unsere Gesellschaft. Mit den Denkmalschutzgesetzen enden nach und nach die Abbrüche und Totalsanierungen historischer Bauten. Das Erhalten denkmalgeschützter Gebäude, aber auch das Bauen im gewöhnlichen Bestand nahm allmählich zu.
Anfang der 1990er Jahre löste das rechnergestützte Zeichnen Tusche und Lineal ab. Der Bedarf der Architekten nach digitalen Bestandsdaten als Planungsgrundlage trat offen zutage. Es war diese Nachfrage, die zur Gründung des Büros IngenieurTeam2 führte. Unser Angebot: Wir vermessen Bauwerke und liefern digitale Bestandspläne. Unsere Aufmaßsoftware programmierten wir selbst. So stand die „2“ im Firmennamen von Beginn an für zwei Geschäftsfelder: Architektur-Vermessung und Software-Entwicklung.
Warum schreibe ich? Ein Buch muss sich rechtfertigen. Seit der Firmengründung im Jahre 1991 konnte ich ein Vierteljahrhundert Erfahrungen sammeln. Die Vermessung von Architektur gilt nach wie vor als schwer vermittelbare Leistung. Da vielfach Baubestand vermessen wird, der unter Denkmalschutz steht, entbrennt unter den Beteiligten – Bauherr, Projektsteuerer, Denkmalpfleger, Bauforscher, Architekt, Vermessungsingenieur – immer wieder Streit über die richtige Art und Weise des Bauaufmaßes. Dabei steht die Praxis des gewöhnlichen Bauaufmaßes der Theorie des denkmalpflegerischen Bauaufmaßes anscheinend unversöhnlich gegenüber. Doch das Bauaufmaß ist schon längst kein ausschließliches Metier mehr der Denkmalpfleger und Bauforscher. Nach wie vor spielen sie eine Rolle, aber Maßstäbe in technischer und wirtschaftlicher Hinsicht setzen andere.
Mit Beginn des 21. Jahrhunderts setzte eine Digitalisierungswelle ein, die ihresgleichen sucht. Das Projekt „Neues Kommunales Finanzmanagement“, mit dem die Kommunen von der Kameralistik zur doppelten Buchführung wechselten, führte zu einer bis dahin nicht gekannten Digitalisierung von Gebäudedaten, oft ohne Rücksicht auf ihre Verwendbarkeit in der Bauplanung. Das Vorgehen hatte kaum etwas mit dem gegenwärtig propagierten Begriff der Nachhaltigkeit zu tun. Zudem bemerkte man einen kulturellen Werteverfall, dessen Wirkung sich beispielsweise in der Auflösung der echten Kooperation, des Für- und Miteinanders von Auftraggeber und Auftragnehmer zeigt. Was bleibt, sind nüchterne Ausschreibungen, in denen der Billigste den Zuschlag erhält. Selbst über Jahre gewachsene Beziehungen lösen sich auf bei der Suche nach dem billigsten Angebot.
Wenn ich über diese Dinge berichte, erzähle ich nichts Neues. Ich versuche lediglich, die persönlichen Erfahrungen zu ordnen, sie in einen Zusammenhang zu stellen. Er mag ungewohnt erscheinen; ich versuche, die Sicht auf die Dinge mal anders zu wählen. Das ist alles.
Den Auftraggebern möchte ich Mut machen, die Leistung Architektur-Vermessung in Anspruch zu nehmen. Ich möchte Großimmobilienbesitzer wie Kommunen, Kirchen und auch Private auf die Möglichkeit der werterhaltenden, aber auch wertsteigernden Bestandsdaten hinweisen. Selbstverständlich sind die in dem Metier Tätigen angesprochen: Denkmalpfleger und Bauforscher, Restauratoren, Architekten und Vermessungsingenieure, eigentlich alle Ingenieure, gleich welcher Fachrichtung, die sich mit dem Bauaufmaß im engeren oder weiteren Sinn befassen oder deren Leistung auf einem Bauaufmaß aufbaut.
Nahezu fünfzehn Jahre hat es gedauert, bis mir dieses Buch druckreif erschien. In dieser Zeit bin ich fast verzweifelt. Kaum hatte ein Jahr angefangen, war es schon wieder vorbei. Und mein Manuskript hatte kaum an Seiten zugenommen. Insofern gilt mein Dank der Trägheit des Systems, der Standhaftigkeit der Bauforscher in ihren traditionellen Anschauungen, der dauerhaften Blindheit mancher Vermessungskollegen gegenüber dem Wesen des Bauaufmaßes. Ich verdanke dieses Buch allen Widersachern. Ohne die vielen Gesprächspartner, die sich unbeeindruckt von der Bedeutung qualitativ stimmiger Planungsgrundlagen zeigten, und die mir zu verstehen gaben, dass andere Gedanken für Entscheidungen ausschlaggebend sind, wäre mir manches unbewusst geblieben. Also danke ich all jenen, die mir den Kontrast vor Augen geführt haben, der zwischen meiner Vorstellung und der Vorstellung anderer liegt und der nicht wegzudiskutieren ist. Jeder hat auf seine Art Recht.
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