31.1.2020 23h GMT/24h MEZ: Das Vereinigte Königreich verlässt die EU.
2.3.2020: Beginn der Verhandlungen über die künftigen Beziehungen zwischen dem Vereinigten Königreich und der EU, die bis zum 31.12.2020 abgeschlossen sein müssen, wenn keine Fristverlängerung für die Übergangszeit beantragt wird.
1.7.2020: Letzte Möglichkeit der Beantragung einer Fristverlängerung für die Übergangszeit um maximal zwei Jahre.
Kernstück des Austritts ist das Austrittsabkommen(dazu unter a)), mit dem die Grundlagen des Austritts geregelt werden. Es wird ergänzt durch eine Politische Erklärung(dazu unter b), die den Rahmen der Verhandlungen über die zukünftigen Beziehungen zwischen dem Vereinigten Königreich und der EU vorzeichnet (dazu unter c)).
• Anwendung des EU-Rechts während der Übergangszeit
Bis zum 31. Dezember 2020 (verlängerbar um 1 oder 2 Jahre, Art. 126, Art. 132 EUVK-Abkommen) gilt das Unionsrecht auch für das Vereinigte Königreich grundsätzlich wie bisher (Art. 127A VK-EU-Abkommen). Ausgenommen hiervon sind nur die institutionellen Bestimmungen (Art. 7, Art. 128 VK-EU-Abkommen).
• Das Problem der irischen Grenze
Nachdem der von der EU verlangte „Backstop“, der zur Vermeidung einer fühlbaren Grenze zwischen Nordirland und der Republik Irland praktisch das gesamte Vereinigte Königreich in eine Zollunion mit der EU gezwungen hätte, enthält das Austrittsabkommen nun eine auch für das Vereinigte Königreich akzeptable Regelung.
Ein Protokoll zum Austrittsabkommen stellt unmissverständlich klar, dass Nordirland Teil des Zollgebiets des Vereinigten Königreichs ist. Die Handelsabkommen, die das Vereinigte Königreich nach Ablauf der Übergangsfrist am 31.12.2020 (soweit keine Verlängerung vereinbart wird) und dem Verlassen der Zollunion der EU schließen kann, gelten auch uneingeschränkt in Nordirland. Nordirland wird deshalb eine Grenze mit der Republik Irland und damit mit dem Binnenmarkt und der Zollunion der EU haben, was theoretisch auch Warenkontrollen an dieser Grenze verlangen würde. Dies widerspräche aber dem Friedensabkommen von Belfast aus dem Jahre 1998 (auch bekannt als Good Friday Agreement), das nach 30 Jahren Bürgerkrieg zwischen dem Vereinigten Königreich, der Republik Irland und Unionisten sowie Nationalisten in Nordirland geschlossen wurde.
[S. 64]
Deshalb wurde im Austrittsabkommen vereinbart, die Zollgrenze zwischen dem Vereinigten Königreich und der EU ins Meer zwischen dem Vereinigten Königreich und Nordirland zu verlegen. Nordirland bleibt dabei allen relevanten Zoll- und Marktregelungen der EU unterworfen, insbesondere den Warenverkehrsregelungen, den Gesundheitsstandards, den Produktionsstandards, den Verkaufsmodalitäten für Agrarprodukte, den Mehrwert- und Verbrauchssteuerregeln sowie den Regelungen über die staatliche Beihilfenaufsicht. Die in Nordirland hergestellten Waren können so ohne jede Grenzkontrolle in die Republik Irland (und von dort an jeden Ort der EU) verbracht werden.
Alle anderen Waren und Produkte, die nach Nordirland eingeführt werden, werden von den britischen Zollbehörden in den Schiffs- und Flughäfen kontrolliert. Dabei muss vor allem festgestellt werden, ob diese Waren und Produkte allein für einen der britischen Märkte bestimmt sind, oder ob sie das „Risiko“ in sich bergen, über die Republik Irland in das Marktgebiet der EU verbracht zu werden. Ein Gemeinsamer Ausschuss wird auf der Grundlage bestimmter Kriterien (Natur und Wert des Produkts, Verwendung zum Direktverbrauch oder zur weiteren Verarbeitung, Wahrscheinlichkeit des Missbrauchs, etc.) das „Risiko“ einzugrenzen versuchen und Ausnahmen vorsehen. Die zollrechtliche Behandlung richtet sich dann nach der Zuordnung zum jeweiligen Zollgebiet: sofern die Ware für den Markt in Nordirland vorgesehen ist, finden die britischen Zollregeln vollumfänglich Anwendung; besteht hingegen das „Risiko“, dass sich diese Waren auf dem Binnenmarkt der EU wiederfinden, gelten die zollrechtlichen Vorschriften der EU.
Nach der Übergangszeit kann das nordirische Parlament alle vier Jahre mit einfacher Mehrheit entscheiden, ob es die Anwendung der europäischen Regeln beibehalten will. Bei einer (nicht sehr wahrscheinlichen) negativen Entscheidung verlieren die europäischen Vorschriften nach zwei Jahren auch in Nordirland ihre Gültigkeit; der Gemeinsame Ausschuss muss in diesem Fall während der zwei Jahre eine andere Lösung finden, die eine physische Grenze zwischen Nordirland und der Republik Irland verhindert.
• Gegenseitige Bürgerrechte
Vor dem Hintergrund, dass 3,2 Millionen Unionsbürger im Vereinigten Königreich ansässig sind, und dass 1,2 Millionen britische Staatsangehörige in der EU leben, ist die Frage des gegenseitigen Schutzes der Bürgerrechte eine absolute Priorität. Nach dem Austrittsabkommen genießen Unionsbürger und britische Bürger, die ihr Recht auf Aufenthalt im jeweiligen Hoheitsgebiet vor dem Ende der Übergangszeit (31.12.2020 plus eventuell maximal 2 Jahre Verlängerung) ausgeübt haben und danach weiter dort wohnen, auf Lebenszeit alle Rechte, die ihnen auch vor dem Austritt zugestanden haben; dies schließt ihre Familienangehörigen mit ein. Sie können auch nach dem Ende der Übergangszeit weiter ihren Lebensschwerpunkt dort bewahren, arbeiten oder studieren. Ihre Ehepartner, Kinder oder Enkelkinder,[S. 65] die in einem anderen Staat leben, können jederzeit in das Hoheitsgebiet des Familienangehörigen übersiedeln. Die Berechtigten bewahren auch sämtliche Ansprüche auf Gesundheitsleistungen und sonstige Leistungen der sozialen Sicherheit. Die gegenseitige Anerkennung von Berufsqualifikationen wird gewährleistet. Jedwede Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit ist auch weiterhin verboten, und dies über den Übergangszeitraum hinaus. Sie genießen vollständige Gleichbehandlung, insbesondere im Hinblick auf gleiche Rechte und Chancen beim Zugang zur Beschäftigung und Ausbildung.
Allerdings gelten diese Rechte nicht mehr automatisch. Vielmehr müssen etwa Unionsbürger bis zum Juni 2021 ihren Status als Aufenthaltsberechtigter im Vereinigten Königreich geltend machen. Bei Versäumung der Frist kann dieser Status nur bei Vorliegen guter Gründe für die verspätete Antragsstellung erlangt werden.
• Institutionelle Bestimmungen
Ein Gemeinsamer Ausschuss, der sich zu gleichen Teilen aus Vertretern des Vereinigten Königreichs und der EU zusammensetzt, hat die Aufgabe, die Umsetzung und Anwendung des Austrittsabkommens zu überwachen und zu erleichtern. Er kann Beschlüsse fassen und beiden Parteien geeignete Empfehlungen unterbreiten (Art. 164ff. VK-EU-Abkommen). Der Gemeinsame Ausschuss ist auch zuständig für die Entscheidung über eine eventuelle Verlängerung des Übergangszeitraums um ein oder zwei Jahre. Der Ausschuss ist darüber hinaus insbesondere auch für die Regelung von Streitfällen zuständig. Falls es dem Ausschuss nicht gelingt, eine für beide Seiten akzeptable Lösung zu finden, kann jede der beiden Parteien ein spezifisches Schiedspanel bestehend aus 5 Richtern anrufen, an dessen Entscheidung die Parteien gebunden sind und deren Nichtbeachtung mit Sanktionen oder sogar der Aussetzung des Abkommens (allerdings mit Fortgeltung der gegenseitigen Bürgerrechte) geahndet werden kann. Falls der Streitfall Fragen zur Auslegung des Unionsrechts aufwirft, müssen diese dem EuGH zur Vorabentscheidung vorgelegt werden.
• Spezielle Regelungen für die Übergangszeit
Die Parteien haben im Austrittsabkommen eine Reihe von Übergangsbestimmungen niedergelegt, die nur für den Zeitraum vom 1. Februar 2020 bis zum 31. Dezember 2020 (oder im Falle einer Verlängerung der Übergangszeit bis zu deren Ende) gelten:
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