• das Vereinigte Königreich verbleibt provisorisch im Binnenmarkt und der Zollunion der EU. Waren, die vor dem Ende der Übergangszeit im Vereinigten Königreich in den freien Verkehr gebracht worden sind, unterliegen auch nach dem Ende der Übergangszeit den Regeln des freien Warenverkehrs. Urheberrechte, die vor Ablauf der Übergangszeit gewährt wurden, gelten fort (Art. 50 VK-EU-Abkommen).
• Das Vereinigte Königreich unterliegt nach wie vor den Verpflichtungen aus den von der EU mit Drittländern abgeschlossenen Handelsabkommen. Es kann eigene[S. 66] Handelsabkommen verhandeln, unterzeichnen und ratifizieren, kann diese Abkommen aber erst nach Ablauf der Übergangszeit in Kraft setzen.
• Verwaltungsverfahren, insbesondere in den Bereichen Wettbewerb und staatliche Beihilfen, die vor dem Ende der Übergangszeit eingeleitet worden sind, werden bis zur Endentscheidung und Vollstreckung fortgesetzt (Art. 92 VK-EU-Abkommen).
• Die Sitzabkommen für die Europäische Bankenaufsicht, die Europäische Arzneimittel-Agentur und die Galileo-Sicherheitsüberwachungszentrale müssen bis zum Abschluss des Umzugs beendet werden (Art. 119 VK-EU-Abkommen).
• Der EuGH bleibt für alle vor dem Ende der Übergangszeit eingeleiteten Verfahren (Vorabentscheidungen, Vertragsverletzungen, Direktklagen etc.) von oder gegen das Vereinigte Königreich noch 4 Jahre nach dem Ende der Übergangszeit bis zur endgültigen Entscheidung zuständig (Art. 86f. VK-EU-Abkommen).
• In die auswärtigen Angelegenheiten wird das Vereinigte Königreich während der Übergangszeit nur insoweit einbezogen, als es selbst betroffen ist, wie z.B. im Falle eines gemischten Abkommens oder im Einzelfall auf Einladung (Art. 129 VK-EU-Abkommen).
• Finanzbestimmungen
Das Vereinigte Königreich muss alle unter dem mehrjährigen Finanzrahmen der EU 2014–2020 eingegangenen finanziellen Verpflichtungen vollumfänglich erfüllen, einschließlich solcher, die über die Übergangsperiode hinausgehen (Art. 135ff. VK-EU-Abkommen). Auf eine einfache Formel gebracht bedeutet dies: die von der EU- 28 eingegangenen finanziellen Verpflichtungen sind von der EU-28 zu erfüllen. Das Vereinigte Königreich zahlt folglich seinen Anteil am Europäischen Entwicklungsfonds oder der Fazilität für die Flüchtlinge in der Türkei. Es erfüllt seine Verpflichtungen gegenüber der Europäischen Investitionsbank bis 2030, während die Europäische Zentralbank dem Vereinigten Königreich seine Einlagen zurückbezahlt. Bis 2064 muss das Vereinigte Königreich auch seinen Anteil in die Pensionskasse der EU einzahlen. Obwohl noch keine endgültigen Zahlen vorliegen, wird der Gesamtaufwand des Vereinigten Königreichs allgemein auf 40 Milliarden Euro geschätzt.
Dem Austrittsabkommen wurde eine Politische Erklärung vom 17. Oktober 2019 beigefügt 48, die die groben Linien für die Verhandlungen zwischen der EU und dem Vereinigten Königreich über die zukünftigen Beziehungen vorzeichnet 49. Diese Erklärung bedarf nicht der Ratifizierung und ist rechtlich nicht bindend. Sie enthält die gemeinsame Absicht, die formalen Verhandlungen über ein Abkommen über die zukünftigen Beziehungen sobald wie möglich nach dem Austritt des Vereinigten[S. 67] Königreichs aus der EU zu beginnen, so dass sein Inkrafttreten zum 31. Dezember 2020 erfolgen kann.
Die Politische Erklärung bekräftigt den Willen beider Parteien zu einer ehrgeizigen, breiten, tiefen und flexiblen Partnerschaft,deren Kern eine Freihandelszone ist. Als Grundprinzip soll dabei gelten, dass jedes einzelne Verhandlungsergebnis auf der einen Seite die vier Grundfreiheiten der EU, d.h. den freien Verkehr von Waren, Dienstleistungen, Kapital und Personen, und auf der anderen Seite die Souveränität des Vereinigten Königreichs respektieren soll.
Die Parteien streben ein ambitioniertes Freihandelsabkommenan mit „Null-Zollsätzen, Null-Quoten und Null-Dumping“. Es ist ein besonderes Anliegen der EU, dass die künftigen Handelsbeziehungen auf „ gleichwertige Wettbewerbsbedingungen (level playing field)“ gegründet werden, wozu vor allem gemeinsame Standards in den Bereichen staatliche Beihilfen, soziale Sicherheit, Umwelt und Steuern vereinbart werden müssen.
Die Politische Erklärung enthält darüber hinaus Hinweise für die Verhandlungen betreffend die Finanzleistungen, die Zusammenarbeit in den Bereichen Sicherheit und Verteidigung und nicht zuletzt die Fischereirechte in den britischen Gewässern. Eine enge Zusammenarbeit soll auch in den globalen Aufgaben wie z.B. dem Klimaschutz, dem Umweltschutz oder der Entwicklungshilfe vereinbart werden.
c) Finale Regelung der zukünftigen Beziehungen
[53]Den ersten Schritt zur Eröffnung der Verhandlungen über die zukünftigen Beziehungen zwischen der EU und dem Vereinigten Königreich hat die Kommission am 3. Februar 2020 mit einer entsprechenden an den Rat gerichteten Empfehlung gemacht 50. Die Empfehlung beruht auf den Leitlinien und Schlussfolgerungen des Europäischen Rates sowie auf der Politischen Erklärung des Vereinigten Königreichs und der EU vom 19. Oktober 2019.
Diese Empfehlung enthält auch einen umfassenden Vorschlag für die Verhandlungsleitlinien des Ratesmit der Definition des Anwendungsbereichs und den Eckpunkten für die zukünftigen Beziehungen mit dem Vereinigten Königreich aus EU-Sicht. Die Leitlinien erstrecken sich auf alle Politikbereiche, die die zukünftigen Beziehungen zum Vereinigten Königreich ausmachen werden, namentlich Handel und Wirtschaftskooperation, Rechtsdurchsetzung und gerichtliche Zusammenarbeit in Strafsachen, Außenpolitik, Sicherheit und Verteidigung, Teilnahme an Unionsprogrammen und Zusammenarbeit in verschiedenen thematischen Bereichen.
Anders als in der Regelung der Beziehungen der EU zur Schweiz, wo man den Weg von mehr als ein Dutzend Einzelabkommen gewählt hat, sollen die künftigen Beziehungen zum Vereinigten Königreich in einem einzigen umfassenden Regelwerk[S. 68] (mit unter Umständen einigen wenigen Teilabkommen, wie etwa für die Fischerei) geregelt werden, das auf drei Säulenberuhen soll:
(1) Allgemeine Regelungen zu den grundlegenden Werten, Grundsätzen und der Governance: die Parteien sollen anerkennen, dass Wohlstand und Sicherheit nur im Rahmen einer auf dem Recht beruhenden internationalen Ordnung gewährleistet werden kann. Sie sollen sich zum Schutz der Individualrechte und der Rechtsstaatlichkeit bekennen, hohe Schutzstandards für Arbeitnehmer und Verbraucher anstreben, den Umweltschutz und den Kampf gegen den Klimawandel mit Nachdruck betreiben sowie auf einen freien und fairen Handel hinwirken.
Die Parteien sollen sich zur Zusammenarbeit verpflichten, um diese allgemeinen Prinzipien zu schützen und gemeinsam gegen interne wie externe Angriffe auf diese Werte und Interessen vorgehen.
(2) Wirtschaftliche Regelungen: die Parteien sollen einen angemessenen Ausgleich zwischen Rechten und Pflichten herstellen und gleichwertige Wettbewerbsbedingungen („level playing field“) schaffen. Dieser Ausgleich darf die Autonomie des Entscheidungsprozesses und der Rechtsordnung der EU nicht beeinträchtigen, muss den Schutz der finanziellen Interessen der EU gewährleisten und muss vereinbar sein mit den anderen Unionsprinzipien, insbesondere der Integrität des Binnenmarktes und der Zollunion sowie der Unteilbarkeit der vier Grundfreiheiten, wie es in den Leitlinien des Rates niedergelegt ist. Schließlich muss beachtet werden, dass das Vereinigte Königreich ein Drittstaat ohne Schengen-Status ist und dass das Vereinigte Königreich als Nicht-Mitgliedstaat der EU nicht den gleichen Verpflichtungen unterliegt wie die EU-Mitgliedstaaten und deshalb auch nicht die gleichen Rechte und Vorteile eines Mitgliedstaats genießen kann.
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