Vorwort
Einleitung
1 Was ist Philosophie?
1.1 Philosophie und Weltanschauung
1.1.1 Die kritische Aufgabe der Philosophie
1.1.2 Zur aktuellen Problemlage
1.2 Philosophie und Wissenschaft
1.2.1 Prinzipienerkenntnis und Erkenntnis aus Prinzipien
1.2.2 Zwischen Wissen und Information
1.3 Der Ursprung der Philosophie
1.3.1 Grenzgänge: Staunen, Fragen, Denken, Wissen
1.3.2 Der Ursprung der Philosophie im Lichte der heutigen Denkerfahrung
2 Die Grundprobleme der Philosophie
2.1 Die Frage nach der Wahrheit
2.1.1 Das Problem der Dialektik
2.1.2 Wahrheit und Begründung: Die Aktualität von Dialektik und Dialog
2.2 Die Bedingungen des Guten: Das Problem der Ethik
2.2.1 Die Transzendenz des Guten und das Sittengesetz
2.2.2 Das Gute und das Nützliche
2.3 Die Bedingungen der Freiheit: Das Problem der Politik
2.3.1 Das Wesen der Freiheit und die Konstitution der Polis
2.3.2 Die unbeweisbare Freiheit: Politische Philosophie an der Schwelle zum 21. Jahrhundert
2.4 Der Sinn von Sein
2.4.1 Das Problem der Metaphysik
2.4.2 Ende oder Zukunft der Metaphysik: Die unhintergehbare Seinsfrage
3 Wie sollte im 21. Jahrhundert Philosophie studiert werden?
Literaturverzeichnis
Personenregister
Sachregister
Editorische Notiz
Rückumschlag
von Harald Seubert
Die Einführung in die Philosophie ist die elementarste und grundlegendste Vorlesung eines philosophischen Lehrers. Dadurch ist sie auch eine Königsdisziplin. Auf knappem Raum gilt es zu sagen, was Philosophie ist, die, im Unterschied zu anderen Wissenschaften, nicht einen festgelegten Kanon von Methoden und wissenswerten Sachverhalten enthält, sondern in der buchstäblich alles zur Disposition steht. Man lernt die Sache und den Denker gleichermaßen kennen. Manfred Riedel (1936–2009) hat seine ‚Einführung‘ eine ‚Hinführung‘ genannt, und er hat Philosophie zuerst dadurch gekennzeichnet gesehen, dass sie radikales Fragen sei. Die Vorlesung situiert deshalb Philosophie zwischen Weltanschauung und Wissenschaft: Es sind die beiden Dimensionen, aber auch Deformationen des Geistes, zwischen denen die Philosophie in der Zeit nach Hegel ihre eigenständige und vermittelnde Bedeutung zu verlieren drohte. So besteht die Gefahr, dass Philosophie zu Wissenschaft oder zu Ideologie degeneriert. In einer Weltanschauung bricht die philosophische Fragebewegung ab. Sie erstarrt zu Dogma oder Ideologie. Dies zeigt Riedel im Blick auf den Marxismus, den er seit seiner Schul- und Studienzeit kannte und der in den frühen Siebzigerjahren die westlichen Intellektuellen in ihren Bann zog. Eine nur szientistische wissenschaftliche Weltorientierung, der sich zu weiten Teilen die angelsächsisch-sprachanalytische Philosophie verschrieben hat, reduziert ihrerseits die Fragebewegung im Namen von vorgegebenen Erkenntnismodellen, vor allem des physikalistischen. Philosophie aber ist, dies betont Riedel eindrücklich, nichts Nachträgliches – weder bezogen auf Weltanschauung noch auf Wissenschaft. Sie ist selbst Ursprung der Denkbewegung, die über die gegebene faktische Welt, sei es eines Zeitgeistes, sei es eines positivistisch gesetzten Theorierahmens hinausgeht. Eindrucksvoll zeigt er deshalb im Rückgriff auf die mittelalterliche Transzendentalienlehre [<<7] und die kantische Transzendentalphilosophie, dass Philosophie aus sich heraus die Grenze zwischen dem Transzendenten und dem positiv Gegebenen überschreitet. Anders gesagt: Sie muss als Philosophie einen spekulativen Weg nehmen. Wenn sie dies nicht tut, verfehlt sie sich.
Von diesen Vorklärungen her exponiert Riedel die vier Grundprobleme der Philosophie, die in einer jahrhundertelangen Auseinandersetzung umkreist werden. So entsteht ein Gespräch zwischen antikem, neuzeitlichem und modernem Denken, das im besten Fall zu immer größerer Sinnklarheit führt, nicht aber zu verwertbaren dogmatischen Sätzen und auch nicht zu szientifischen Lösungen.
Riedel benennt zunächst die Frage nach der Wahrheit, die auf das Sich-Unterreden über die Sache, die Grundbedingung von Identität und Differenz, führt. Mit seinem Lehrer Gadamer hält er fest, dass Dialektik im Dialog gründet. Das zweite Problem ist die Frage nach den Bedingungen des Guten: Sie führt auf die Ethik. Das dritte Problem betrifft die Bedingungen der Freiheit und damit der Manifestation und Realisierung des Guten in der politischen bürgerlichen Gesellschaft. Die vierte Frage gilt schließlich dem ‚Sinn von Sein‘, worin Riedel das Grundproblem der Metaphysik zwischen Aristoteles einerseits, Hegel und Heidegger andererseits eindrucksvoll sichtbar macht.
Das Manuskript kann und soll nicht verleugnen, dass es aus den Debattenlagen der Siebziger- und Achtzigerjahre hervorgegangen ist. Dennoch ist es von bemerkenswerter Aktualität: Die gegenwärtig dominierende Tendenz der Philosophie, sich nur noch szientistisch zu verstehen, hat zumal in Deutschland seither vehement zugenommen. Man findet kaum zeitgenössische ‚Einführungen‘, die einen unreduzierten Philosophiebegriff entwickeln. Schul- und abgezirkelte Spezialdebatten verdunkeln das Selbstverständnis. Die Präsenz von ‚Weltanschauungen‘ ist im Zeitalter der ‚globalisierten Welt‘ gewiss geringer geworden. Dieses Buch kann aber dazu verhelfen, die Frage nach der impliziten ‚Ideologie‘ des entfesselten globalen ‚Weltinnenraums des Kapitals‘ aufzuwerfen. Wie kann sich demgegenüber die Eigenständigkeit der Philosophie bewähren?
Manfred Riedels bestechend klarsichtige Gliederung lässt Raum für die Selbstentfaltung des philosophischen Gedankens in großen Vertretern. So entsteht ein Gespräch der Antike mit der Moderne, in das durch die [<<8] Veränderungen der politischen und der Wissensformen Brüche eintreten, das aber nie abbricht. Riedel, der eingehend über Hegel, Nietzsche und Heidegger gearbeitet hat, weiß um die Problematik des ‚Endes der Philosophie‘ und zumal der ‚Metaphysik‘. Doch spielt er nie mit modischen Epitheta wie der Berufung auf ein ‚nachmetaphysisches Denken‘. Die Eigenständigkeit zeigt sich auch gegenüber dem ‚linguistic turn‘, in dem hermeneutische und semantisch analytische Philosophie konvergierten. Riedel legt großen Wert darauf, dass die philosophischen Probleme nicht auf Sprachprobleme reduzierbar sind.
Unverkennbar ist Riedel den vier kantischen Fragen: ‚Was können wir wissen?‘ – ‚Was sollen wir tun?‘ – ‚Was dürfen wir hoffen?‘ – und der dahinter liegenden nach der „Bestimmung des Menschen“ verpflichtet, und nicht minder der auf Aristoteles zurückgehenden Tektonik von Theoretischer Philosophie als dem Wissen um des Wissens und Praktischer Philosophie als Wissen um des Handelns willen. Sein Ansatz ist aber eigenständig; einem Primat Praktischer Philosophie verbunden, vor deren Horizont der spekulative Fragezusammenhang sich entfalten wird. Die Nähe zu Heidegger deutet sich an. Doch Riedel folgt ihm nicht in seinem Diktum vom Ende der Philosophie und einem ‚anderen‘, anfänglichen Denken. Er hält vielmehr das große europäische Denkgespräch offen in einer souveränen Verbindung des sachgemäßen und damit systematischen Denkens und der Kenntnis der Philosophiegeschichte. Aktuell ist diese Hinführung nicht zuletzt in einer Zeit, in der beides auseinanderfällt. Riedel meidet jedes Pathos. Seine Sprache ist sachbezogen und zutiefst human. Wie könnte man besser die Lebensbedeutsamkeit der Philosophie und ihre Suche nach Sinnklarheit sichtbar machen?
Harald Seubert
Basel, München, Nürnberg, im März 2015 [<<9]
von Manfred Riedel
Diese Vorlesung führt nicht in die Philosophie ein, sie soll zur Philosophie hinführen. Der Titel müsste genauer heißen: Hinführung zu den Grundfragen der Philosophie. Denn die Philosophie ist kein Fach wie andere Fächer, in die man jemanden „einführt“, indem man ihn mit den Grundlagen, den Arbeitsweisen, den in Lehrbüchern festgehaltenen Ergebnissen des betreffenden Faches vertraut macht. Denken Sie etwa an eine Einführungsvorlesung in die Geschichtswissenschaft, in die politische Wissenschaft, in die Sozialpsychologie oder an die Einführungskurse in die verschiedenen Gebiete der Medizin, der Chemie, der Physik usw. „Einführen“ heißt: Jemanden mit etwas vertraut machen, was ein anderer weiß. Ich führe jemanden in eine Gesellschaft ein, das will sagen: Ich mache ihn mit den mir bekannten Personen der betreffenden Gesellschaft vertraut, ich stelle ihn vor. Ich führe in ein Fach ein, das will dann sagen: Als Fachmann mache ich jemanden, der mit dem Fach noch nicht vertraut ist, mit den fachlichen Grundlagen, dem Gegenstand der betreffenden Wissenschaft, den allgemein anerkannten und bewährten Methoden, den Arbeitsweisen und Arbeitszielen vertraut, ich stelle das Fach vor. Lässt sich das, was Philosophie heißt, vorstellen – so vorstellen, wie wir Personen oder Sachen präsentieren? Ist sie ein Fach unter Fächern, deren Methoden und Ergebnisse bekannt und allgemein anerkannt sind? Das ist offensichtlich nicht der Fall. Die Philosophie hat weder einen bestimmten Gegenstand noch eine bestimmte Methode oder ein bestimmtes Ziel, auf das alle Philosophen verpflichtet sind. Sie bleibt ein Fragen, das über jedes Ergebnis schon hinweggesprungen ist. Sie ist, so scheint es, überhaupt keine Wissenschaft. Wenn sich das so verhält, dann erhebt sich gleich zu Anfang die Frage: Was ist das – die Philosophie? Wenn sie nicht, wie andere [<<11] Fächer, einen bestimmten Gegenstand, bestimmte Methoden und ein bestimmtes Ziel hat, was ist dann ihre Sache?
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