Waltraud und Valerie: Kann man mit Podcasts ganz nebenbei lernen?
Tobias: Sind Experimente im Chemieunterricht motivierend?
Lea: Welche Ereignisse empfinden Lehrer und Schüler im Unterricht als störend?
Wie lautet Ihre Forschungsfrage? Formulieren auch Sie die Frage, die Sie in Ihrer Bachelorarbeit untersuchen möchten.
2.3 Von der Forschungsfrage zu den Hypothesen
In der psychologischen Forschung werden Erkenntnisse systematisch aus Beobachtungen hergeleitet. Dabei ist das Ziel, möglichst zuverlässige und gültige Erkenntnisse zu gewinnen (siehe auch Kapitel 4). Im wissenschaftlichen Handeln haben sich unterschiedliche Wege zur Erkenntnisgewinnung, also zur Problemlösung herausgebildet (Hussy, Schreier & Echterhoff, 2013). Zwei für die psychologische Forschung typische Wege sind das induktive und das deduktive Vorgehen.
Unter Induktion versteht man, dass aus Einzelfällen auf Gesetzmäßigkeiten geschlossen wird. |
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Induktion
Wenn wir viele Kinder kennen, die gerne Pudding essen, schließen wir daraus, dass alle Kinder gerne Pudding essen. Die Induktion entspricht damit weitgehend der Alltagsstrategie, Erkenntisse aus Erfahrungen abzuleiten. Das Problem dabei ist, dass induktive Schlüsse nicht sicher sind. Vielleicht haben Sie Kinder vor allem in Mitteleuropa dabei beobachtet, wie sehr sie sich über Pudding zum Nachtisch freuen. Wenn Sie aber z. B. in asiatische Länder gehen, werden Sie Kinder erleben, die Pudding sehr skeptisch gegenüberstehen – das ist wahrscheinlich auch gut so, da die meisten Asiaten die Fähigkeit, Milchzucker zu verdauen, schon in sehr jungen Jahren verlieren (Vesa, Marteau & Korpela, 2000). Diese Beobachtung widerlegt also Ihre induktiv aufgestellte Regel. Induktive Schlüsse haben nur Wahrscheinlichkeitscharakter. Trotz dieses Nachteils hat auch die induktive Methode ihre Berechtigung in der Wissenschaft. Wenn Regelhaftigkeiten und Gesetzmäßigkeiten unbekannt sind, bleibt uns nichts anderes übrig, als sie zu erschließen. Die induktive Methode spielt also vor allem zu Beginn des Forschungsprozesses eine wichtige Rolle und ist damit Grundlage für andere wissenschaftliche Methoden. Um mit induktiven Schlussfolgerungen wissenschaftlich belastbare Aussagen zu treffen, ist eine sorgfältige und systematische Vorgehensweise wichtig (siehe Kapitel 4). Darin unterscheidet sich der wissenschaftlich induktive Schluss vom alltagspsychologischen Vorgehen, denn im Alltag ziehen Menschen oft weitreichende Schlüsse auf der Basis von wenigen, ins Auge fallenden, subjektiv eindrucksvollen Beobachtungen.
Beim deduktiven Vorgehen versuchen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler zunächst eine grundlegende Theorie zu finden, die eine Antwort auf ihre Frage beinhalten könnte. |
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Deduktion
Die Theorie ist z. B. „Alle Kinder essen gerne Pudding“. Da Theorien immer in gewisser Weise unsicher sind, wird die Theorie dann in Bezug auf eine konkrete Frage geprüft. Dazu muss die Forscherin eine Hypothese, also eine Annahme aus der Theorie, für eine konkrete Situation ableiten.
Hypothesen sind konkrete, in der Realität überprüfbare Aussagen. |
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Hypothesen
Im Gegensatz zu den Forschungsfragen sind Hypothesen sehr konkret. Die interessierenden und zu untersuchenden Variablen werden in den Hypothesen explizit benannt, ebenso wie der vermutete und überprüfbare Zusammenhang/Unterschied/Einfluss. Wichtige Merkmale von Hypothesen sind:
•Sie beziehen sich auf reale, beobachtbare oder messbare Sachverhalte.
•Sie gehen über Einzelfälle hinaus.
•Sie sind falsifizierbar, d. h., es gibt potenziell Ereignisse, die der Hypothese widersprechen (Wörter wie „vielleicht“ oder „manch-mal“ haben in Hypothesen nichts verloren!).
Aus ihren Forschungsfragen leiteten die Autorinnen und Autoren unserer Beispiel-Bachelorarbeiten folgende Hypothesen ab (unvollständige Liste):
Waltraud und Valerie:
•Der Lernerfolg ist beim Lernort Universität höher als beim Lernort Bus.
•Das Lernen mit einem Podcast wird als schwieriger wahrgenommen als das Lernen mit einem Lehrbuch.
Tobias:
•Je höher das Interesse der Schülerinnen und Schüler an Chemie, desto besser ist ihr Lernerfolg.
•Schülerinnen und Schüler, die eine Unterrichtsstunde mit Experimenten erlebt haben, bewerten ihre Motivation höher als Schülerinnen und Schüler, die eine traditionelle Unterrichtsstunde erlebt haben.
Lea:
• Aktive Unterrichtsstörungen werden als störender empfunden als passive Unterrichtsstörungen.
• Lehrerinnen und Lehrer schätzen passive Störungen störender ein als Schülerinnen und Schüler.
Das Ableiten von Hypothesen ist auch Ihre nächste Aufgabe zur Spezifizierung Ihres Forschungsthemas. Da wir ja oben geschrieben haben, dass sich Hypothesen aus Theorien ableiten, sollten Sie sich zunächst Gedanken machen, welche Theorien einen Beitrag zu Ihrem Forschungsthema leisten, und daraus Annahmen ableiten für Ihren Untersuchungsgegenstand. Formulieren Sie nun Aussagen darüber, welche Ergebnisse Sie in Ihrer Untersuchung erwarten.
Formulieren Sie Aussagen, die konkret Ihre Erwartungen in Bezug auf die Ergebnisse Ihrer Untersuchung ausdrücken. Das sind Ihre Hypothesen.
2.4 Und wie geht’s weiter? Der wissenschaftliche Prozess
Am Beginn des wissenschaftlichen Prozesses steht die Neugier. Aus der Neugier heraus wird eine Forschungsfrage gestellt. Aus der Theorie werden überprüfbare Annahmen, also Hypothesen, für konkrete Situationen abgeleitet. Wie geht es weiter?
Forschungszyklus
Der Forschungszyklus ist in Abbildung 2.2dargestellt. Die Forschungsfrage erfordert eine Untersuchung. Hierfür sind die Hypothesen zu prüfen. Dazu muss zunächst eine Studie konzipiert werden. Aus den Hypothesen wird abgeleitet, welche Variablen erfasst werden müssen und welches Forschungsdesign für die Untersuchung sinnvoll ist, damit die Ergebnisse möglichst zuverlässig sind (siehe Kapitel 4). Die Ergebnisse der Studie werden dann ausgewertet (siehe Kapitel 5) und mit Blick auf die Hypothesen und die Theorie, aus denen die Hypothesen abgeleitet wurden, interpretiert (siehe Kapitel 6). Meist ergeben sich daraus neue Forschungsfragen, die wiederum zu neuen Hypothesen und neuen Studien führen. So entwickeln sich Theorien stetig durch die Forschung weiter.
Auch mit Ihrer Bachelorarbeit tragen Sie zur Weiterentwicklung einer Theorie bei – vor allem, wenn Sie Ihre Erkenntnisse auch in einem Forschungsartikel veröffentlichen und/oder auf Konferenzen und Tagungen vorstellen. Vielleicht fragen Sie Ihre Betreuerin bzw. Ihren Betreuer nach dem erfolgreichen Abschluss Ihrer Bachelorarbeit nach den Möglichkeiten, diese gemeinsam der interessierten Öffentlichkeit vorzustellen?
Abbildung 2.2 Der Forschungszyklus von der Forschungsfrage über die Forschungsarbeit bis zur Generierung neuer Forschungsfragen
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