6. Begehungs- und Unterlassungsdelikte
53 Begehungsdeliktesind Straftaten, die durch ein aktives Tun verwirklicht werden, während der Tatbestand von Unterlassungsdeliktendurch Untätigbleiben erfüllt wird. Innerhalb der Unterlassungsdelikte ist zu unterscheiden zwischen sog. echten Unterlassungsdelikten, bei denen das strafbare Unterlassen im Besonderen Teil tatbestandlich speziell beschrieben ist (z.B. §§ 123 Abs. 1 Var. 2, 138, 323c StGB) und sog. unechten Unterlassungsdelikten. Das strafbare Unterlassen bei unechten Unterlassungsdelikten ist gesetzlich nicht speziell festgelegt, sondern in § 13 Abs. 1 StGB allgemein geregelt. Wenn jemand nicht verhindert, dass ein tatbestandlicher Erfolg eintritt, ist er nach § 13 Abs. 1 StGB hierfür nur dann strafbar, wenn er rechtlich dafür einzustehen hat, dass der Erfolg ausbleibt. Um Täter zu sein, muss ihn also eine besondere Pflicht, die sog. Garantenpflicht treffen. Eine solche hat bspw. ein Vater im Hinblick auf seine Kinder inne, so dass er nach §§ 212 Abs. 1, 13 Abs. 1 StGB wegen Totschlags durch Unterlassen schuldig ist, wenn er seinen Sohn nicht vor dem Ertrinken rettet, obwohl ihm dies möglich wäre.
|18|7. Vollendetes Delikt, versuchtes Delikt und Unternehmensdelikt
54Bei vollendeten Deliktenerfüllt der Täter alle objektiven und subjektiven Tatbestandsmerkmale. Beim versuchten Deliktliegt der subjektive Tatbestand (der beim Versuch als Tatentschluss bezeichnet wird) vollständig vor, während es an einem objektiven Tatbestandsmerkmal fehlt, insoweit also keine Vollendung eingetreten ist. Versucht (und nicht bloß vorbereitet) ist die Tat gem. § 22 StGB nur, wenn der Täter nach seiner Vorstellung von der Tat zur Verwirklichung des Tatbestands unmittelbar angesetzt hat.
55 Unternehmensdelikte[49] sind Straftaten, bei denen nach der Legaldefinition des § 11 Abs. 1 Nr. 6 StGB Versuch und Vollendung gleichgestellt sind. Echte Unternehmensdelikte enthalten schon im gesetzlichen Tatbestand den Begriff „unternehmen“. Bei unechten Unternehmensdelikten fehlt dieser Begriff zwar, aber aus der Tatbestandsformulierung ergibt sich, dass die Vollendung schon bei Vornahme der Tathandlung gegeben sein kann, z.B. bei der Jagdwilderei gem. § 292 Abs. 1 Nr. 1 Var. 1 StGB, die voraussetzt, dass dem Wilde nachgestellt wird (ohne dass es gefangen oder erlegt werden muss).
8. Allgemeindelikte und Sonderdelikte
56Bei der Einteilung der Delikte kann auch hinsichtlich des potenziellen Täterkreises unterschieden werden. Die meisten Delikte des StGB können von „jedermann“verwirklicht werden und stellen daher Allgemeindeliktedar. Daneben existiert aber auch eine Reihe von Tatbeständen, deren Begehung von vornherein nur einem ganz bestimmten Täterkreis möglich ist, die sog. Sonderdelikte. So kann bspw. eine Körperverletzung im Amt (§ 340 StGB) nur ein Amtsträger begehen und eine Verletzung von Privatgeheimnissen nur durch eine der in § 203 Abs. 1, 2 StGB ausdrücklich genannten Personen verwirklicht werden.
9. Dauer- und Zustandsdelikte
57Im Strafrecht kann zeitlich zwischen der (grundsätzlich straflosen) Vorbereitungshandlung, dem Versuch, der Vollendung und der Beendigung unterschieden werden (hierzu noch Rn. 611ff.). Diese Unterscheidung wirkt sich bei den Dauer- und Zustandsdelikten aus. Bei den Zustandsdeliktenist mit der Vollendung, d.h. der Erfüllung sämtlicher Tatbestandsmerkmale, grundsätzlich auch die Beendigung eingetreten. Bsp. für ein Zustandsdelikt ist die Körperverletzung nach § 223 Abs. 1 StGB. Dort kommt es mit Vornahme der Tathandlung zum Verletzungserfolg, die Tat ist gleichzeitig vollendet und beendet. Anders ist dies bei den Dauerdelikten. Dort fallen die Zeitpunkte der Vollendung und Beendigung auseinander. Der Täter hält den rechtswidrigen Zustand aufrecht und lässt dadurch den von ihm herbeigeführten Erfolg fortdauern. Ein Bsp. |19|für ein Dauerdelikt ist die Freiheitsberaubung nach § 239 StGB. Dort tritt mit der Tathandlung ebenfalls ein rechtwidriger Zustand (der Verlust der Freiheit) ein, dieser kann aber vom Täter aufrechterhalten werden. Beendet ist die Freiheitsberaubung daher erst dann, wenn das Opfer seine Freiheit wieder erlangt.[50]
58Einzelne Tatbestände im Besonderen Teil des StGB können nur durch eigenhändige Ausführung der Tathandlung durch den Täter erfüllt werden. Dazu gehören bspw. die Aussagedelikte nach §§ 153ff. StGB. Derjenige, der die Tathandlung nicht selbst ausführt, kann nicht Täter des eigenhändigen Delikts, sondern allenfalls Teilnehmer sein.[51]
VI. Geltungsbereich des deutschen Strafrechts
59Die §§ 3–7 StGB regeln das sog. internationale Strafrecht.[52] Diese Bezeichnung ist insofern irreführend, als die Vorschriften nie die Anwendung ausländischen Strafrechts bestimmen, vielmehr diejenigen Prinzipien enthalten, aus denen sich die räumliche und personelle Geltung des deutschen Strafrechts ergibt. Die Funktion der §§ 3ff. StGB liegt somit in der Festlegung des Anwendungsbereichs des deutschen materiellen Strafrechts, so dass die Bezeichnung „deutsches Strafanwendungsrecht“[53] insgesamt treffender erscheint. In der Fallbearbeitung ist darauf nur dann einzugehen, wenn eine im Sachverhalt geschilderte Tat einen Bezug zum Ausland hat, also insbesondere dann, wenn die Tathandlung im Ausland vorgenommen wird und/oder der Taterfolg im Ausland eintritt.[54] Ist dies der Fall, ist noch vor der Prüfung der einzelnen Strafbarkeitsvoraussetzungen gesondert festzustellen, ob das deutsche Strafrecht überhaupt Anwendung findet.
60Auf der Grundlage des im StGB normierten Strafanwendungsrechts findet deutsches Strafrecht in erster Linie Anwendung, wenn eine Straftat innerhalb des Staatsgebiets der BRD begangen wurde. Nach den §§ 4ff. StGB fallen aber auch bestimmte Straftaten unter die deutsche Strafgewalt, die im Ausland begangen wurden, so dass das deutsche Strafanwendungsrecht insgesamt als partiell erweitertes Territorialitätsprinzipcharakterisiert werden kann.[55]
|20|1. Grundprinzip: Territorialitätsprinzip
61Im Ausgangspunkt ist der Geltungsbereich des deutschen Strafrechts nach dem in § 3 StGB niedergelegten Territorialitätsprinzipzu bestimmen. Danach gilt deutsches Strafrecht für alle Taten, die im Inland begangen werden, bei denen also der Tatort (oder bei mehreren Tatorten mindestens einer) im Inland liegt. Zum Inlandgehören in erster Linie das gesamte Staatsgebiet der BRD mit seinen Eigen- und Küstengewässern sowie der über diesen Flächen befindliche Luftraum und das Erdinnere.[56] Ob der Tatort im Inland liegt, ist auf der Grundlage von § 9 StGB zu ermitteln. Nach § 9 Abs. 1 StGB ist die Tat sowohl am Handlungsort als auch an dem Ort begangen, an dem der tatbestandliche Erfolg eingetreten ist oder nach der Vorstellung des Täters eintreten sollte. Zu beachten ist, dass Handlungsorti.S.v. § 9 Abs. 1 StGB nur derjenige Ort ist, an dem der Täter die seine Strafbarkeit begründende Handlung vorgenommen hat. Orte der Deliktsvorbereitung, an denen der Täter sich auf Handlungen beschränkt hat, welche die spätere Deliktsbegehung lediglich vorbereiten sollen, die aber selbst kein tatbestandliches Unrecht verwirklichen, bleiben außer Betracht. Ebenso liegt der Erfolgsortgrundsätzlich nur dort, wo der gesetzlich umschrieben Erfolg eingetreten ist. Der Eintritt eines außertatbestandlichen Erfolges, welcher sich nicht auf die strafrechtliche Beurteilung des Geschehens auswirkt, begründet daher keinen zusätzlichen Erfolgsort.[57]
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