6.3.2 Fortbildung und Wissenschafts-Praxis-Transfer
Mit zunehmender Berufserfahrung sammeln Schulpsychologinnen und Schulpsychologen Wissen und praktische Fertigkeiten, um grundlegende Qualitätsstandards bezüglich ihrer Beratungstätigkeit zu erfüllen. Die Multidimensionalität der schulpsychologischen Arbeit sowie neue gesellschaftliche Herausforderungen (z. B. Online-Beratung während der Covid-19-Pandemie) erfordern im Sinne einer evidenzbasierten Praxis eine kontinuierliche Fortbildung zu unterschiedlichen Themen- und Kompetenzbereichen, durch die fachliche Expertise und aktuelles Wissen über den Stand der psychologischen Wissenschaft vermittelt wird (Kratchowill & Shernoff, 2004).
Erste Ansätze in diese Richtung wurden in Deutschland in den letzten Jahren durch die Etablierung von schulpsychologischen Kompetenzzentren in Baden-Württemberg und Hessen initiiert, in denen wissenschaftliche Expertise und schulpsychologische Praxis miteinander verknüpft wurden. Durch die Koordination und Evaluation schulpsychologischer Beratungs- und Interventionsangebote und die Konzeption und Umsetzung von Fortbildungen unter Einbezug von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern sollen diese zur Qualitätssicherung und kontinuierlichen Weiterentwicklung der Schulpsychologie beitragen, den Transfer zwischen Wissenschaft und Praxis und in der Folge evidenzbasiertes schulpsychologisches Arbeiten kontinuierlich vorantreiben ( www.kompetenzzentrum-schulpsychologie-bw.de, www.kompetenzzentrum-schulpsychologie-hessen.de).
Regelmäßige Einzel- oder Gruppensupervisionen mit externer Begleitung und kollegiale Fallberatungen bzw. Intervisionen sind weitere Bausteine, um die fachliche Kompetenz von Schulpsychologinnen und Schulpsychologen zu stärken und zu unterstützen, dass Qualitätsstandards psychologischer Beratung eingehalten werden können (Newman, Simon & Swerdlik, 2019). Basierend auf Beiträgen zur Beratungspsychologie von Schubert et al. (2019) zielt Supervision darauf ab »angeleitete Reflexion und Erfahrungslernen die Fachlichkeit und Persönlichkeit der Supervisanden und die Weiterentwicklung von Teams und Personal zu fördern, die Bewältigung von Schwierigkeiten im Arbeitsalltag sowie die Kooperations- und Koordinationsfähigkeit von Arbeitsteams oder Organisationseinheiten zu unterstützen und eine Verbesserung von beruflichem Handeln und dessen Effektivität zu bewirken« (S. 245).
Hierzu empfiehlt sich ein Blick in die systematische Übersichtsarbeit von Newman et al. (2019), in der die Fachliteratur zum Thema Supervision in der Schulpsychologie von 2000 bis 2017 zusammengefasst wurde. Das Review liefert eine detaillierte Analyse von 37 wissenschaftlichen Publikationen (21 empirische Studien und 16 konzeptionelle Vorschläge), die wertvolle Implikationen für die Umsetzung von Supervisionsangeboten in der Schulpsychologie beinhalten, wie etwa die Notwendigkeit auch Fortbildungsprogramme für Supervisorinnen und Supervisoren anzubieten, um die Qualität der Supervision zu sichern. Weiterhin wird vorgeschlagen, dass Befragungen zur Zufriedenheit der teilnehmenden Schulpsychologinnen und Schulpsychologen mit der angebotenen Supervision, ähnlich wie es zuvor für die Klientinnen und Klienten beschrieben wurde (
Abschnitt 6.2.2), zur Qualitätssicherung beitragen können. Zusammenfassend empfehlen Newman et al. (2019) die Förderung von Kooperationen zwischen Universitäten und Akteuren aus der schulpsychologischen Praxis, um Training, Praxis und Forschung zum Thema schulpsychologische Supervision zu vereinen. Auch das Kompetenzzentrum Schulpsychologie Hessen hat mittlerweile einen ersten Orientierungsleitfaden zur Supervision in der Schulpsychologie vorgestellt (Sedlak & Bachmann, 2020).
6.4 Aktuelle Entwicklungen zur Qualitätsorientierung in der Schulpsychologie: Zusammenfassung und Ausblick
Die Einführung eines umfassenden Qualitätsmanagementkonzeptes in der Schulpsychologie stellt weiterhin eine komplexe Herausforderung dar, die auch eine an Kosten und Nutzen orientierte institutionelle Verankerung erfordert (vgl. Temme & Jeck, 2007). Dennoch hat die deutsche Schulpsychologie in den letzten Jahren auf verschiedenen Ebenen erfreuliche Entwicklungen vorzuzeigen.
Zum Beispiel veröffentlichte 2013 die Senatsverwaltung in Berlin einen Handlungsrahmens für den Schulpsychologischen Dienst, der anhand des Modells der European Foundation for Quality Management (EFQM) entwickelt wurde. U. a. auf Basis dieser Grundlage kam es zu einer institutionellen Weiterentwicklung, die ihren vorläufigen Abschluss im Qualitäts- und Handlungsrahmen der schulpsychologischen und inklusionspädagogischen Beratungs- und Unterstützungszentren (SIBUZ) von 2019 gefunden hat. Qualitätsentwicklung im Sinne einer lernenden Organisation, interne und externe Evaluation sind ein Teil der Gesamtkonzeption. Darüber hinaus stellt die multiprofessionelle Unterstützung von Schulen eine dauerhafte Herausforderung für die Qualitätsentwicklung in der Schulpsychologie dar.
Weitere Bundesländer haben zugunsten der Qualitätssicherung Standards für die schulpsychologische Tätigkeit definiert (z. B. Schleswig-Holstein 2017, Hessen 2017) und erheben systematisch Anzahl und Art der Beratungsfälle oder planen dies zu tun. Das Pädagogische Landesinstitut Rheinland-Pfalz beispielsweise veröffentlichte in seinem Jahresbericht 2019 differenzierte Statistiken mit Zahlen ab 2017 zur schulpsychologischen Einzelfall-, Schul- und Krisenberatung. Neben den o. g. Kompetenzzentren der Schulpsychologie in Hessen und Baden-Württemberg (
Abschnitt 6.3) wurden weitere Unterstützungsstrukturen geschaffen wie die Landesstelle Schulpsychologie und schulpsychologisches Krisenmanagement in Nordrhein-Westfalen.
Zusätzlich zu den o. g. strukturellen Entwicklungen, trägt auch die evaluative Grundhaltung jeder einzelnen Schulpsychologin und jedes einzelnen Schulpsychologen zur kontinuierlichen Qualitätsorientierung der schulpsychologischen Arbeit bei (Atria, Reimann & Spiel, 2006). Ausgehend von der berufsethischen Selbstverpflichtung, professionell nach dem aktuellen Stand der psychologischen Wissenschaft zu handeln, bedarf es in der alltäglichen Arbeit notwendiger Freiräume, um dies gewährleisten zu können. Neben Fortbildung und Supervision sollten Schulpsychologinnen und Schulpsychologen noch mehr als bisher systematisch die Qualität der eigenen Beratungsarbeit hinterfragen, dokumentieren und für den fachlichen und wissenschaftlichen Diskurs zur Verfügung stellen. Wie Warschburger (2009) betont, »gibt es viele gute Gründe für den Praktiker seine praktische Arbeit ständig zu evaluieren. Es hilft ihm, seine Behandlung zu verbessern, klinisch bedeutsame wissenschaftliche Erkenntnisse zu sammeln und seiner ethischen Verantwortung gegenüber dem Klienten und der Gesellschaft gerecht zu werden« (S. 50).
Ein weiterer Anhaltspunkt kann in diesem Sinne der konstruktive Austausch mit verwandten Beratungsbranchen und Qualitätsinitiativen sein. Ein Beispiel hierfür ist das Projekt »Wir EB 2.0«, dass die »Erarbeitung einer dauerhaften, wirkungsorientierten Qualitätsentwicklung der Beratungsprozesse in den Hilfen zur Erziehung« anstrebt ( www.wireb.de). Schon durch die erste Version dieses Projekts, an der bundesweit knapp 150 Beratungsstellen beteiligt waren, wurden insbesondere positive Veränderungen bei den Grundbefähigungen junger Menschen durch Erziehungs- und Familienberatung erreicht (Arnold, 2020).
Zusammengenommen beschreibt Qualitätssicherung innerhalb der schulpsychologischen Arbeit sowohl das Überprüfen des Erreichens vorab festgelegter Ziele und Standards innerhalb eines jeden Beratungsprozesses als auch die kontinuierliche Dokumentation und Reflexion der Beratungstätigkeiten im Rahmen von Fort- und Weiterbildungen zur Sicherung fachlicher Kompetenzen basierend auf aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnissen. In Anlehnung an Donabedians Modell (
Abschnitt 6.1.3) kann an zahlreichen strukturellen, prozessualen und ergebnisorientierten Aspekten angesetzt werden, um auf individueller, Team- oder Systemebene zur kontinuierlichen Optimierung und Weiterentwicklung schulpsychologischer Angebote beizutragen. Dies setzt jedoch eine klare und trennscharfe Definition der zu erfassenden Strukturen, Prozesse und Ergebnisse voraus – eine Mammutaufgabe im heterogenen Beratungsfeld der Schulpsychologie, die zu bewältigen allein bereits einem Qualitätssicherungsprozess gleichkommt. In diesem Sinne ist die Evidenzbasierung in kontinuierlicher Zusammenarbeit aus Forschung und Praxis unabdingbar, um Standards und Leitlinien entwickeln zu können.
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