Schulpsychologinnen und Schulpsychologen werden als »Berufspsychologen« erfasst. Sie werden zudem meist auch als Amtstragende erfasst.
Geheimnisse sind Informationen, die nur einem begrenzten Personenkreis bekannt sind und an denen ein objektives Geheimhaltungsinteresse besteht. Im Zweifel sind aber alle Informationen, die im Rahmen des auf Vertrauen aufbauenden Sonderverhältnisses zur inanspruchnehmenden Person anvertraut oder bekannt geworden sind, erfasst. Als Psychologin oder Psychologe tritt man nicht nur gegenüber den Schülerinnen und Schülern auf, sondern je nach Kontext auch gegenüber Eltern oder Lehrenden. Ggf. unterliegt man (konfligierend) gegenüber mehreren Personen jeweils der Schweigepflicht. Arbeitsvorgänge, die eher Verwaltungscharakter haben und somit nicht im Rahmen eines besonderen Vertrauensverhältnisses laufen, begründen insoweit nicht die strafbewehrte berufsbezogene Schweigepflicht – aber gegebenenfalls die als Amtsträgerin oder Amtsträger. Ebenso wenig besteht eine auf Vertrauen aufbauende Sonderbeziehung z. B. als Dozierende in Fortbildungen oder Kursen, wenn nicht doch dort zur Veranschaulichung Sachverhalte vertraulich behandelt werden.Ggf. ist zur Vermeidung von Unsicherheiten eine Klarstellung ratsam, ob die berufliche Schweigepflicht gilt oder nicht, d. h. die § 203 StGB-begründende Vertraulichkeit wird nicht einer bisweilen erst ex post stattfindenden Beurteilung überlassen, sondern ex ante bewusst vereinbart – oder explizit ausgeschlossen.
Mitwirkende und Offenbarungsbefugnisse/- pflichten
Mitwirkende
Grundsätzlich ist im Ansatz die Schweigepflicht gegenüber jedem (!) Dritten zu wahren. Es ist ratsam, diesen Ausgangspunkt immer wieder zu berücksichtigen. Im Alltag kommt aber der Frage nach den Ausnahmen erhebliche Bedeutung zu.
Insbesondere ist es keine strafbewehrte Offenbarung, also von der Strafbarkeit ausgenommen, wenn Mitwirkende informiert werden oder informiert sind. Die Mitwirkenden sind »berufsmäßig tätige Gehilfen oder zur Vorbereitung auf den Beruf tätige Personen«. Das sind vor allem Sekretariatsmitwirkende. Seit der Novellierung des § 203 StGB sind auch »sonstige Mitwirkende« hinzugekommen. Das sind Personen, die an der Tätigkeit von Berufsgeheimnistragenden mitwirken, ohne bei ihnen tätig – sprich angestellt – zu sein; dann allerdings ist die Offenbarung auf die Geheimnisse oder Teile davon beschränkt, die für diese Mitwirkung erforderlich sind. Die Konstruktion der sonstigen Mitwirkenden ist bei freiberuflich tätigen Berufsgeheimnistragenden noch plausibel. Zu nennen ist das klassische Beispiel, dass zur Rettung eines defekten Datenträgers eine externe EDV-Firma beauftragt wird, die sodann als solche »sonstige Mitwirkende« allerdings auf die Verschwiegenheit verpflichtet werden muss!
Für Berufsgeheimnistragende, die ihren Beruf wie die Schulpsychologinnen und Schulpsychologen angestellt ausüben, ist die Frage, wer im Sinne des § 203 StGB eine (sonstige) mitwirkende Person ist, schon weniger offensichtlich, zumal wenn verwaltungsintern keine Einigkeit darüber besteht. Da es um eine berufsbezogene Fragestellung geht, sollte konsequenterweise über die Frage, ob und wer als sonstige mitwirkende Person Berufsgeheimnisse oder Teile davon erfahren darf, nicht vom Dienstherrn, sondern primär von den Berufsangehörigen jeweils selbst entschieden werden können. Es ist gleichwohl anzunehmen, dass diese Sichtweise in einer Verwaltung, die u. a. beim Digitalisierungsprozess und einhergehender Zentralisierungsbestrebungen mit der Funktionsfähigkeit argumentiert, auf Einwände stößt. Im Lichte der Strafandrohung für die eigene Person sind die schweigepflichtigen Berufsangehörigen zwangsläufig Sachwaltende des informationellen Selbstbestimmungsrechts der betroffenen Bürgerinnen und Bürger. Ob und wie zum Zwecke der Funktionsfähigkeit digitalisierter Verwaltung in diese Bürgerrechte eingegriffen werden darf, muss zwar formal die Verwaltung insgesamt gewährleisten, faktisch fällt aber verwaltungsintern diesen Berufsangehörigen die Rolle zu, den besonders hohen Schutz von psychologischen Daten anzumahnen und soweit möglich durchzusetzen.
Vor diesem Hintergrund ist nur das mitwirkende Sekretariatspersonal relativ unproblematisch. Aber schon bei den Vertretungen ist es ratsam, solche Vertretungsregelungen den Betroffenen im Vorhinein transparent zu machen. Noch mehr sind fachlich nicht qualifizierte Vorgesetzte nicht als »Mitwirkende« zu verstehen; sie wirken an der Funktionsfähigkeit der Verwaltung mit, aber nicht an der beruflichen Tätigkeit. Freilich ist zu erwarten, dass diese Sichtweise in Behörden ihre Kritik findet; an dieser Stelle zeigt sich die Besonderheit, dass der Staat eine Dienstleistung anbietet, die sogar die behördenintern geltende Vertraulichkeit impliziert, was im Verwaltungswesen allerdings sehr ungewöhnlich ist und zu Verständnisschwierigkeiten führt. Als »sonstige Mitwirkende« könnten fachfremde Vorgesetzte u. U. zu verstehen sein, allerdings mit der Folge, dass für ihre fachfremde Aufsicht die Kenntnisnahme der Geheimnisse nicht nachvollziehbar erforderlich ist, wie es die Strafvorschrift vorsieht, so dass sie diese Aufgabe mit anonymisierten Daten erfüllen können und deswegen auch müssen (ob allein die Aufwände der Anonymisierung, die hier anspruchsvoll werden können, weil Vorgesetzte recht leicht den Rückschluss von anonymisierten Daten auf konkrete Betroffene führen können, eine Offenbarung rechtfertigen, ist eher zweifelhaft; dem könnte organisatorisch vorgebeugt werden). (Zur Fachaufsicht siehe zudem
Abschnitt 7.5.)
Allgemeine Anforderungen an Befugnisnormen
Ergibt sich das Entfallen der Strafandrohung nicht bereits daraus, dass kein Offenbaren im Sinne der Vorschrift vorliegt, kann es sich allerdings auch daraus ergeben, dass für die Offenbarung eine Befugnis oder sogar eine Pflicht vorliegt. Die Offenbarung ist entweder befugt, weil der Klient darin eingewilligt hat (s. u.) oder weil die Schulpsychologin oder der Schulpsychologe zur Offenbarung auch ohne oder sogar gegen den Willen der betroffenen Person berechtigt oder sogar verpflichtet ist.
An Befugnisnormen ist mindestens das Bestimmtheitsgebot anzulegen. Das Gebot der Amtshilfe ist z. B. zu allgemein, um darin ein Gebot, Geheimnisse zu offenbaren, zu sehen. Es muss also schon der Informationsfluss Gegenstand der Regelung sein. Andererseits muss sich nicht zwingend ergeben, dass der Gesetzgeber bewusst die strafbewehrte berufsbezogene Schweigepflicht einschränken wollte. Insofern erweist es sich bisweilen als nicht ganz einfach, eine Befugnisnorm zu bestimmen, wie z. B. bei der Teilnahme an einem runden Tisch im Rahmen der Hilfeplanerstellung (§ 36 SGB VIII).
Das Thema verlagert sich durch verfassungskonforme Auslegung: Die einschränkende Befugnisnorm muss im Lichte des eingeschränkten Grundrechts der betroffenen Person auf informationelle Selbstbestimmung verhältnismäßig sein. In der Anwendung kann sich also ergeben, dass entweder die Norm generell keine Befugnisnorm sein kann, weil jede Offenbarung in Hinblick auf den Zweck des Informationsflusses unverhältnismäßig wäre, oder aber es ergibt sich im Einzelfall, dass einzelne Daten offenbart werden können, andere aber nicht.
Kinderschutzgesetz
Das Bundeskinderschutzgesetz bzw. dessen erster Artikel, das KKG/Gesetz zur Kooperation und Information im Kinderschutz (sowie einige Kinderschutzgesetze der Bundesländer) sieht in § 4 Informationsflüsse vor und zwar konkret für Berufspsychologinnen und Berufspsychologen, somit auch für Schulpsychologinnen und Schulpsychologen. Gem. § 4 Abs. 1 KKG (Stand Januar 2021) soll bei gewichtigen Anhaltspunkten für eine Kindeswohlgefährdung mit den Erziehungsberechtigten und dem Kind oder Jugendlichen die Situation erörtert werden. Da es um Geheimnisse der minderjährigen Person geht und grundsätzlich für die Schulpsychologinnen und Schulpsychologen die Schweigepflicht auch gegenüber den Erziehungsberechtigten gilt, ist § 4 KKG eine Befugnisnorm, die die Strafbarkeit dieser Offenbarung gegenüber den Erziehungsberechtigten (insoweit) entfallen lässt. Auf Grundlage dieser Vorschrift ist also die Geheimnisoffenbarung an die Erziehungsberechtigten (notfalls) auch gegen den Willen des Kindes straffrei möglich, als Soll-Vorschrift darf nur ausnahmsweise davon abgewichen werden.
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