Just in diesem Moment bewegte sich das Kleine in ihr, stieß mit seinen kleinen Füßen gegen ihre Bauchdecke, und Swetlana schluckte ihre aufsteigenden Tränen hinunter.
Mein Herzchen, mein einziger Liebling, dachte sie. Wenn du nur glücklich bist und es dir an nichts fehlt! Dafür ertrage ich alles, selbst Leonid Soklow.
Swetlanas Sohn wurde am 28. Mai geboren, und er war ein kräftiges, schönes Kind mit den blauen Augen seines Vaters und den edlen Gesichtszügen seiner Mutter.
Es war eine schwere Geburt; Swetlana lag drei Tage lang in den Wehen, ein armes, gepeinigtes Stück Mensch, das ganz allein war in seiner Not.
Allerdings waren zwei Ärzte um sie, deren bedenkliche Mienen ihr jedoch Furcht einflößten, statt ihr Zuversicht zu vermitteln. Leonid Iwanowitsch hatte die Mediziner gerufen, als die ersten Wehen einsetzten.
Auch Swetlanas Mutter war gekommen, aber Wera Karlowna brachte wie immer nichts anderes zustande als ein großes Lamento darüber, wie sehr es sie doch schmerzte, die Qualen der Tochter mit anzusehen.
Es war niemand da, an dessen Hand sich die junge Frau hätte festhalten können, wenn Schmerzen und Angst sie zu überwältigen drohten, niemand, dessen Liebe ihr Kraft gegeben hätte.
Leonid Soklow hatte das Haus verlassen, sobald die Ärzte eingetroffen waren, und Swetlana sah ihn erst wieder, als ihr Sohn geboren war.
»Ein kleiner Leonidowitsch Soklow«, sagte er, als er drei Stunden nach der Geburt des Kindes auftauchte. »Hast du schon einen Vornamen für ihn?« Er roch nach Wodka und einem fremden süßlichen Parfüm.
»Fjodor«, sagte Swetlana matt. »Er soll Fjodor heißen.«
»Gut, einverstanden!« Soklow lachte, während er das Kind betrachtete, dessen Wiege neben ihrem Bett stand. »Mein Großvater mütterlicherseits hieß so. Wir werden sagen, daß wir das Kind nach ihm benannt haben.« Er warf Swetlana einen gehässigen Blick zu. »Vorerst gebe ich dir freie Hand bei seiner Erziehung. Aber später, wenn er etwas älter geworden ist, werde ich mich darum kümmern. Schließlich trägt der Bastard meinen Namen.«
Sie wollte in seiner Gegenwart nicht weinen, aber sie war so elend, daß sie den Tränen keinen Widerstand entgegensetzen konnte. Er sah es und lachte wieder.
»Bricht dir die Vorstellung das Herz, ich könnte deinen Sohn zu einem Kerl wie mich machen? Nun, ich fühle mich recht wohl in meiner Haut, finde mein Leben amüsant und abwechslungsreich, und das solltest du dem kleinen Fjodor Leonidowitsch ebenfalls gönnen.«
Sie wollte den Kopf zur Wand drehen, doch er umfaßte ihr Kinn und zwang sie, ihn anzusehen. »Merke dir eines: Falls du dir einbildest, du könntest irgendwann deinen Sohn gegen mich beeinflussen, so ist das vergebene Liebesmüh. Du würdest ihm und dir selbst keinen Gefallen damit tun. Hast du das begriffen?«
»Ja«, sagte Swetlana leise. Ein paar Sekunden lang betrachtete sie ihn, sah die scharfe Nase, von der sich zwei Falten zu den Mundwinkeln zogen, die merkwürdigen braungelben Augen mit den dichten Brauen darüber und das breite, Roheit verratende Kinn. Dann fügte sie hinzu: »Es macht dir einfach Freude, andere Menschen zu demütigen, nicht wahr? Du liebst es, gemein und bösartig zu sein.«
»Es ist wesentlich vergnüglicher, als den Ehrenmann zu spielen. Und da alle, die mich näher kennen, von mir nichts Gutes erwarten, kann ich meist tun, was ich gerade will. Also bringt es im Grunde nur Vorteile, wenn man einen schlechten Ruf hat.«
Sie wünschte sich, daß er ginge, aber er zog sich einen Stuhl heran und setzte sich an ihr Bett.
»Die beiden letzten Nächte habe ich beispielsweise bei einer niedlichen Ballettelevin vom Kaiserlichen Theater verbracht. Die Kleine hat mehr Feuer im Hintern als du. Vielleicht bringe ich euch einmal zusammen, damit du von ihr lernen kannst, denn offen gestanden, mein Kind, hast du mich in letzter Zeit zunehmend gelangweilt. Und wenn ich etwas hasse, dann ist es Langeweile. Das weißt du doch, nicht wahr?«
»Ich will und werde niemals irgend etwas mit einer deiner Geliebten zu tun haben«, erwiderte Swetlana. Ihr war eiskalt geworden, denn sie glaubte zu ahnen, was er da andeutete. »Dazu kannst du mich nicht zwingen. Eher wende ich mich an die Zarin und bitte sie um ihren Schutz für mich und mein Kind vor deiner Niedertracht. Darum bilde dir auch nicht ein, ich würde jemals zulassen, daß du meinen Sohn mit deiner Schmutzigkeit vergiftest.«
Seine Augen wurden tückisch. »Die Zarin weiß also ganz genau, daß dein Bastard das Kind ihres Schwagers ist?«
»Natürlich«, antwortete sie und fühlte zum ersten Mal, daß sie ihm überlegen war, und das erfüllte sie trotz ihrer Mattigkeit mit einem gewissen Triumph. »Ich habe es ihr gesagt, bevor du mir die Ehre deines Antrags erwiesen hast.«
Sie verstummte, weil er aufsprang und ihre Schultern umfaßte. »Du dreckige kleine Hure! Du trägst Wasser auf beiden Schultern, was? Und jetzt willst du uns gegeneinander ausspielen!«
»Ich tue es nur, wenn du mich dazu zwingst. Also treib mich nicht dahin.«
Er schüttelte sie, und seine Finger, die sich in ihr Fleisch gruben, fügten ihr Schmerzen zu. »Laß mich los, du tust mir weh ...«
Überraschenderweise gehorchte er, und Swetlana fiel in die Kissen zurück. Soklow blickte mit zusammengezogenen Brauen auf sie hinunter. »Weißt du was? Du langweilst mich tödlich – mitsamt deinem Windelscheißer! Eine Zeitlang war ich verrückt nach dir, aber du bist nur halb so gut im Bett, wie ich erwartet habe, und Mittelmaß hat mich noch immer zum Gähnen gebracht. Kann sein, daß ich dir trotzdem noch ein oder zwei Kinder mache, weil ich nicht nur diesen Bastard hier großziehen will. Doch im übrigen werde ich mir meine Vergnügungen außerhalb des ehelichen Bettes suchen.«
An diesem Tag bekam Swetlana Fieber. In dem angenehmen Dämmerzustand zwischen Traum und Wirklichkeit verschwammen die Konturen. Alles, was sie quälte, schien fern und gedämpft.
Ihre Mutter kam und brachte einen Arzt mit, außerdem eine Amme für das Kind. Schura Nikititschna war eine Ukrainerin mit üppigen Brüsten und melancholischen Augen, deren Schnitt verriet, daß unter ihren Vorfahren einmal ein schwarzäugiger Usbeke oder Tunguse vertreten war. Sie hatte vier Kinder, das fünfte, ein kleines Mädchen, war einen Tag zuvor gestorben. Und sie hatte so viel Milch, daß sie noch zwei weitere Neugeborene hätte stillen können.
Soklow machte wahr, was er angekündigt hatte: Er war selten daheim, auch des Nachts nicht. Manchmal brachte er die Kumpane, mit denen er herumzog, mit in den Palast, und dann hörte Swetlana die Männer grölen und herumpoltern. Auch das helle Kreischen von Frauenstimmen und laute Zigeunermusik drangen bis in ihr Schlafzimmer.
Es war ihr gleichgültig. Leonid konnte tun und lassen, was er wollte, solange er nur sie in Frieden ließ.
Das Fieber, von dem Dr. Grischajew zunächst angenommen hatte, es sei das gefürchtete Kindbettfieber, ging rasch zurück. Dennoch erholte Swetlana sich nur langsam von der Geburt. Sie fühlte sich matt und elend und verließ das Bett immer nur für ein paar Stunden.
Die Zarin hatte ihr zur Geburt ihres Sohnes ein silbernes Teegeschirr geschickt und ein paar Zeilen dazugeschrieben.
Gott segne Sie und Ihren Sohn. Möge er Ihnen nur Freude bereiten, meine liebe Madame Soklowa. Ich bin sehr begierig, den Kleinen kennenzulernen, und hoffe, daß Sie bald einmal mit ihm nach Zarskoje Selo kommen, um ihn uns zu präsentieren.
Dies geschah Anfang Juli. Über St. Petersburg hing eine brütende Hitze, der Himmel war fast weiß, und Milliarden von Mücken schwärmten aus den benachbarten Sumpfgebieten aus. Dennoch war die kaiserliche Familie nicht, wie sonst im Hochsommer, nach Petershof übersiedelt, sondern in Zarskoje Selo geblieben.
Читать дальше