Swetlana hatte eine glänzende Partie gemacht, und wenn ihr Baby ein paar Wochen zu früh geboren wurde – wer wollte behaupten, daß es nicht von Leonid Soklow war?
Es war ja offensichtlich, wie verliebt er in seine junge Frau war, und Wera sagte zu ihrer Tochter: »Es ist schön, mein Kind, daß du nun wieder glücklich bist. Glaub mir, eine Mutter leidet Höllenqualen, wenn sie sieht, daß eines ihrer Kinder Kummer hat. Aber du bist so aufgeblüht, seit du verheiratet bist, da braucht man gar nicht zu fragen, ob Leonid Iwanowitsch gut zu dir ist. Ach ja, er liebt dich sehr, und das macht mich froh.«
»Ja, Mama«, erwiderte Swetlana und deutete auf das Rubinhalsband, das sie trug. »Sehen Sie nur, das hat er mir gestern mitgebracht.«
Sagen, was man von ihr erwartete, tun, was sie tun mußte ...
Was hätte es für einen Sinn gehabt, ihre Mutter darüber aufzuklären, wie ihre Ehe wirklich war? Wera Karlowna hätte geweint und lamentiert und ihrer Tochter zu guter Letzt empfohlen, dies als eine vom Schicksal auferlegte Buße für ihre frühere Bedenkenlosigkeit anzunehmen. Und geändert hätte es ohnehin nichts.
Am 6. Januar des Jahres 1900 nahm Zar Nikolaus die traditionelle Segnung des Newa-Wassers vor. Es war ein klirrend kalter, sonniger Tag, und Swetlana wurde nach dem Zeremoniell zusammen mit Leonid zum Schlitten der Kaiserin gebeten, wo Alexandra Fjodorowna, in dicke Pelze gehüllt, neben einem Adjutanten und Anna Wyrubowa saß.
Die Zarin sah schlecht aus, sie fror und hatte blaue Lippen. Aber das Lächeln, mit dem sie Swetlana begrüßte, war voller Herzlichkeit.
»Meine liebe Madame Soklowa, ich habe so oft an Sie gedacht und mich gefragt, wie es Ihnen geht. Sie sehen wieder einmal wunderhübsch aus. Und was für eine bezaubernde Pelzkappe Sie trägen!« Sie nickte Leonid zu. »Ich hoffe, Sie wissen es zu schätzen, Fürst, daß Sie eine so liebenswerte, schöne Frau bekommen haben. Wenn nicht, würde ich Ihnen das sehr übelnehmen.«
Soklow verneigte sich. »Euer Kaiserliche Majestät können sicher sein, daß Swetlana Pawlowna das größte Glück meines Lebens ist. Daß sie mich geheiratet hat, gehört zu den Ereignissen meines Daseins, die mich unendlich dankbar stimmen.«
Swetlana sah, daß die Zarin ihn nach diesen Worten ein paar Sekunden prüfend, mit unmerklich gerunzelten Brauen betrachtete. Doch dann erwiderte sie:
»Es freut mich, daß Sie das sagen, denn ich habe Ihre Gattin sehr gern. Ich möchte sie öfter in meiner Nähe haben, und darum habe ich mich entschlossen, sie zu meiner Ehrendame zu ernennen. Es ist schön in Zarskoje Selo, und ich bin überzeugt, daß es Swetlana Pawlowna dort gefallen wird.«
Leonid zwang sieh zu einem Lächeln. »Zweifelsohne. Dennoch mögen Euer Majestät bedenken, daß es mich sehr hart ankommen würde, meine Frau nicht alle Tage um mich zu haben.«
»Sie werden das Beste daraus machen, davon bin ich überzeugt«, entgegnete die Zarin, und in ihren sonst so sanften Augen stand plötzlich ein unbeugsamer Ausdruck. »Im übrigen steht es Ihnen frei, so oft nach Zarskoje Selo zu kommen, wie Sie mögen, wenn wir nicht sowieso in der Hauptstadt sind.«
Sie seufzte unterdrückt. »Vorläufig werden wir jedenfalls der Ballsaison wegen hierbleiben müssen. Zudem ist Seine Majestät mit einer Unzahl von Regierungsgeschäften überlastet.«
Leonid kniff die Lippen zusammen. »Euer Majestät sind sehr gütig. Gleichwohl halte ich es zum augenblicklichen Zeitpunkt für wenig wünschenswert, meine Frau in den Hofdienst zu berufen. Wir haben die freudige Nachricht zwar noch nicht publik gemacht, aber nun muß es wohl sein: Meine Frau erwartet ein Kind. Es soll Ende Mai zur Welt kommen.«
»Meinen herzlichsten Glückwunsch, Fürst.« Alexandra Fjodorowna hielt seinem Blick mit großer Ruhe stand. »Sie dürfen versichert sein, daß ich immer und überall auf den Zustand Ihrer Gattin Rücksicht nehmen werde. Ich möchte sie nur oft in meiner Nähe haben, das ist alles.«
Sie nickte ihm und Swetlana verabschiedend zu. »Kommen Sie heute abend zum Essen zu uns, meine liebe Madame Soklowa. Es findet nur im kleinsten Kreise statt. Darin können wir alle Einzelheiten Ihres Eintritts in den Hofdienst festlegen.«
»Die Zarin ahnt vermutlich, von wem dein Wechselbalg in Wahrheit ist«, sagte Leonid, als er mit Swetlana zur Wassiljewskij-Insel zurückfuhr. »Und nun will sie schützend ihre Hand über dich und ihren illegitimen Neffen oder ihre Nichte halten. Aber bilde dir nicht ein, daß dir das viel nützt. Offiziell ist es mein Kind, und die sittenstrenge Alexandra Fjodorowna wird sich lieber die Zunge abbeißen als öffentlich zuzugeben, daß es von ihrem verstorbenen Schwager ist. Sie duldet keinen Flecken auf der Familienehre der Romanows. Es ist sowieso erstaunlich, daß sie Georgs Affäre mit dir goutiert hat. Normalerweise sind solche Dinge für sie absolut verdammenswert.«
Swetlana schwieg und blickte auf den Schnee, der unter den Pferdehufen aufstob, und Leonid stieß sie unsanft in die Seite. »Heh, warum gibst du keine Antwort? Ich rede mit dir!«
»Was willst du hören?« fragte sie zurück. »Daß du recht hast? Das weißt du doch.«
»Sie hat ganz offensichtlich einen Narren an dir gefressen«, fuhr Leonid fort. »Nun ja, noch stört mich das nicht. Aber wenn es mich eines Tages stören sollte, sei gewiß, daß du sehr schnell bei Ihrer Majestät in Ungnade fällst. Ich bin recht findig im Einfädeln solcher Intrigen.«
Schon Mitte Januar trat Swetlana den Hofdienst bei der Zarin an. Im Winterpalais stand ihr ein Apartment zur Verfügung, in dem sie auch übernachten konnte, wenn es wegen eines Balles oder einer anderen Festivität zu spät wurde, um heimzufahren.
Aber in der Regel kehrte sie zum Schlafen in das Soklowsche Palais zurück, weil Leonid es verlangte.
Ihre Schwangerschaft machte Swetlana kaum Beschwerden, und der Hofdienst gefiel ihr, ermöglichte er es ihr doch, ihrem Mann aus dem Weg zu gehen.
Die Zarin behandelte Swetlana nach wie vor mit großer Liebenswürdigkeit und machte keinen Hehl daraus, daß sie sie gern hatte. Es ging Alexandra Fjodorowna gesundheitlich nicht gut in diesem Winter. Sie litt unter nervösen Herzbeschwerden und Schmerzen in den Gliedern, besonders in den Beinen, so daß sie ihre Privatgemächer nur zu offiziellen Anlässen verließ.
Die hübsche dunkellockige Fürstin Sonja Orbeljani hatte Swetlana unbefangen und neidlos in den Kreis der kaiserlichen Ehrendamen aufgenommen. Auch Alexandras Vorleserin und Sekretärin Katharina Schneider und ihre Zofe Mademoiselle Zanotti, eine Milchschwester der Zarin, die sie aus Deutschland mitgebracht hatte, hegten keine Vorbehalte gegen sie.
Anders Anna Wyrubowa, die keine Gelegenheit ausließ, Swetlana mit versteckten Spitzen zu attackieren und sie fühlen zu lassen, daß sie einen unliebsamen Eindringling inihr sah.
»Machen Sie sich nichts daraus, meine Liebe«, sagte die Orbeljani. »Anna Alexandrowna ist auf jeden eifersüchtig, dem Ihre Majestät mehr als nur einen Blick und ein flüchtiges Lächeln schenkt. Sie gehört noch nicht lange zum Hofstaat, aber sie tut so, als sei sie die wichtigste Person in der Umgebung der Zarin. Ich finde es manchmal penetrant, wie sie sich einschmeichelt.«
»Sie ist nicht verheiratet, nicht wahr?« fragte Swetlana, und die Fürstin lachte.
»Nicht mehr. Alexej Wyrubow, ein Leutnant zur See, war ein Jahr lang ihr Gatte. Die Eheschließung fand auf Wunsch der Zarin statt, aber Wyrubow war ein Trinker und hat die liebe Anna wohl nie angerührt. Deshalb wurde die Ehe aufgelöst.« Sie zwinkerte Swetlana zu. »Vielleicht ist sie deshalb so exaltiert und hysterisch.«
Sonja Orbeljani liebte den Klatsch, aber sie war nie wirklich bösartig dabei – wie so viele andere bei Hof. Swetlana mochte sie mit jedem Tag lieber und hätte sich gern mit ihr angefreundet, wenn sie nicht befürchtet hätte, daß die Fürstin dann eines Tages Einblick in ihre unglückliche Ehe bekommen hätte.
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