Die Trennung, so kurz sie im Grunde gewesen war, hatte bei beiden die Sehnsucht nacheinander ins Uferlose anwachsen lassen, und Swetlana meinte, niemals zuvor so verlangend von Georg geküßt worden zu sein. Seine Hände, seine Lippen setzten sie in Brand, sie stöhnte leise, als er sich zu ihr legte und sie mit fast schmerzhafter Intensität an sich preßte.
»Gut, so gut«, murmelte er und atmete den Geruch ihrer Haut und ihres Haares ein. »Und ich hatte solche Angst ...«
»Angst – wovor?« fragte sie und richtete sich halb auf.
Er preßte das Gesicht in ihre Halsbeuge. »Ich wollte es dir nicht sagen, nicht einmal vor mir selbst zugeben. Aber ich dachte, die Tuberkulose bräche wieder bei mir aus. Doch das war nicht der Fall. Es war wirklich nur eine Erkältung, und sie ist vorbei.«
Die Erkenntnis, wieviel Furcht er ausgestanden hatte und daß er dabei ganz allein gewesen war, trieb ihr die Tränen in die Augen. Sie umklammerte ihn und küßte ihn, wohin sie traf.
»Du mußt dich nicht fürchten. Weißt du nicht, daß ich lieber sterben würde, als ohne dich zu leben? Wir hätten das gemeinsam durchgestanden, und es wäre mir ganz egal gewesen, ob die Leute darüber redeten. Ich hätte dich gepflegt und wäre nicht von deinem Bett gewichen.«
»Hast du inzwischen mit Boris Barschewskij gesprochen?« fragte er und setzte sich so, daß ihr Kopf an seiner Schulter lag.
»Ich wollte es ein dutzendmal, doch dann habe ich es nicht fertiggebracht. Ach, Georg, er tut mir so leid!«
Er sah ihr unglückliches Gesicht und mußte lächeln. »Aber du kannst ihn nicht aus lauter Mitleid heiraten! Hör zu, Liebes. Vor drei Tagen ist der Zar nach St. Petersburg gekommen. Er hat mich besucht, um zu sehen, wie es mir geht. Wir haben uns lange unterhalten, und ich habe ihm gesagt, daß es da eine Frau gibt, die ich liebe und heiraten möchte. Natürlich habe ich ihm nicht deinen Namen genannt, ihm aber sehr wohl die Schwierigkeiten geschildert, die uns im Wege stehen. Nicky ist überzeugt, daß seine Frau dieses Mal einen Sohn bekommt. Einer der wundertätigen Mönche, die in Zarskoje Selo sind, hat es prophezeit. Auch die Zarin glaubt fest daran. Wenn es wahr wird, dann wird Nikolaus uns keine Steine in den Weg legen. Natürlich wird man uns eine Weile nicht bei Hof empfangen können, aber das gilt nicht für immer. Irgendwann können wir zurückkehren.«
Sie drückte seine Hände gegen ihre Brust. »Ist das wahr? O Gott, Georg, ich kann es noch gar nicht glauben! Und Seine Majestät war nicht aufgebracht oder ärgerlich? Er hat es verstanden?«
Er nickte und küßte sie wieder. »So Gott will, werden wir zusammenbleiben.«
An diesem Nachmittag wurde Swetlana seine Geliebte. Sie wollten es beide, und es war so, wie Georg es sich erträumt hatte, wenn er an sie dachte.
Er hatte seine Affären gehabt und war ein erfahrener Liebhaber. Langsam, mit großer Behutsamkeit führte er Swetlana zu dem Punkt, an dem sie ganz bereit für ihn war. Er überwand ihre Scheu, als sie zum erstenmal nackt vor ihm lag, hörte nicht auf, sie zu streicheln, bis sie ihrerseits den Mut fand, nun auch seinen Körper zu entdecken. Glücklich spürte er, wie ihr Verlangen nach ihm wuchs, bis sie meinte, es nicht mehr aushalten zu können.
Sie schrie auf, als er ganz zu ihr kam, empfand einen kurzen messerscharfen Schmerz, wollte sich zurückziehen, doch er hielt sie fest an sich gedrückt, wartete, bis sie sich entspannte, und begann erst dann, sich in ihr zu bewegen.
»Georg ... Georg!« Hatte sie seinen Namen nur gedacht oder ihn laut gerufen? Sie wußte es nicht, wußte nur, daß es unerträglich schön war, was er mit ihr tat, und daß es immer noch eine Steigerung gab, bis sie glaubte, in seiner Umarmung zu vergehen.
Bebend lag sie an ihn gepreßt, als es vorüber war, hörte ihren und seinen Herzschlag, spürte, wie er ihr das Haar aus der Stirn strich und seine Lippen auf ihre Augen legte.
»War es schön?« fragte er leise und selbst aufgewühlt bis in die Tiefen seines Inneren. »Habe ich dich glücklich gemacht?«
Sie nickte nur. Sie konnte nicht sprechen, und Georg wiegte sie in seinen Armen wie ein geliebtes Kind.
Ihre Liebe machte sie unvorsichtiger, als sie es bis zu diesem Zeitpunkt gewesen waren. Fast täglich trafen sie sich nun, und manchmal fuhren sie auch miteinander aus. Dann lenkte Ossip die Kutsche, und Georg und Swetlana küßten sich drinnen auf der rot-grau gepolsterten Bank, bis sie beide ganz atemlos vor Verlangen waren und der Großfürst seinem Diener befahl, in die Sergijewskaja zurückzukehren. Manchmal trafen sie auch bei verschiedenen gesellschaftlichen Anlässen zusammen. Dann konnte es geschehen, daß sie sich durch ihre Blicke und ihr Lächeln verrieten, wenn sie miteinander redeten oder tanzten. Hin und wieder ergab sich auch die Gelegenheit, für ein paar Augenblicke allein zu sein. Dann umarmten sie einander, und die Heimlichkeit verlieh diesen kurzen Zärtlichkeiten einen besonderen prickelnden Reiz.
»Sie werden alle Tage schöner, Swetlana Pawlowna«, sagte Leonid Soklow eines Tages zu ihr. »Sie sind regelrecht aufgeblüht in den letzten Wochen, und ich beneide Boris Barschewskij, daß er dieses Wunder an Ihnen vollbracht hat.«
Der Fürst war ihr in einer Teestube beim Sommergarten begegnet, in der sie mit Xenia verabredet war. Swetlana kam aus der Sergijewskaja und wartete nervös auf die Schwester, die sich verspätet hatte.
Daß Fürst Soklow sie nun allein antraf, war ihr äußerst unangenehm.
Er blieb neben ihrem Tisch stehen. »Allerdings bezweifle ich manchmal, daß Rittmeister Barschewskij der Urheber Ihrer neuen Schönheit ist.«
»Was wollen Sie damit sagen, Fürst Soklow?« fragte Swetlana und bemühte sich um Festigkeit in der Stimme.
Er lächelte auf eine perfide Art. »Für Sie Leonid Iwanowitsch, meine Liebe! Und was Ihre Frage betrifft: Ich habe die unangenehme Eigenschaft, Menschen, die mich interessieren, sehr genau zu beobachten. Dabei kommt man manchmal zu völlig anderen Schlußfolgerungen als diejenigen, die nur sehen, was ihnen oberflächlich ins Auge springt.«
»Sie sprechen in Rätseln«, entgegnete sie abweisend, und sein Lächeln verstärkte sich.
»Wirklich? Nun, dann bitte ich tausendmal um Vergebung. Ich möchte um keinen Preis Ihren Unwillen erregen, Swetlana Pawlowna, geschweige denn Ihnen Unrecht tun.«
Zu ihrer Erleichterung betrat in diesem Moment Xenia die Teestube, steuerte auf Swetlana zu und sprudelte hervor: »Tut mir leid, daß ich mich verspätet habe. Ich habe einfach die Zeit vergessen.« Sie nickte Soklow zu. »Schön, Sie zu sehen, Fürst ...«
Er brach in Gelächter aus. »Was für eine Unwahrheit! Hat Ihr geistlicher Erzieher Pater Andrej Sie nicht gelehrt, immer und um jeden Preis dem Teufel Paroli zu bieten? Warum behaupten Sie dann, daß meine Gegenwart Sie erfreut?«
Xenia war nicht auf den Mund gefallen. »Zwischen einer Begrüßungsfloskel und der Wahrheit bestehen zweifellos Unterschiede. Trotzdem – warum sollte ich etwas gegen Ihre Anwesenheit haben, wenn Sie meiner Schwester die Zeit bis zu meinem verspäteten Eintreffen verkürzt haben?«
»Gut gekontert«, sagte er lässig und verneigte sich vor ihr und Swetlana. »Gestatten Sie mir, eine weitere Floskel hinzuzufügen: Stets zu Ihren Diensten, meine Damen.«
Swetlana blickte ihm unbehaglich nach, wie er durch die Tischreihen davonging. »Gut, daß du da bist. Er hat plötzlich ein paar Andeutungen gemacht, die mich beunruhigen. Es klang fast, als wisse er etwas über Georg und mich – oder ahne es zumindest.«
Xenia winkte der Bedienung und bestellte sich einen Tee. Dann beugte sie sich über den kleinen runden Marmortisch. »Was hat er denn gesagt?«
Swetlana wiederholte es, und ihre Schwester runzelte die Stirn. »Ein unangenehmer Mensch! Eigentlich kann er gar nichts wissen. Doch es paßt zu ihm, daß er sich in derartigen Zweideutigkeiten ergeht. Ich glaube, er intrigiert gern.«
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