„Münsterbund“, wiederholt Papa. „Nie gehört.“
„Münster liegt doch ganz woanders“, weiß Nina, „in Nordrhein-Westfalen.“
„Das hat auch nichts mit der Stadt Münster zu tun“, erklärt Herr Dumpferl. „Der Münsterbund bezieht sich auf Sebastian Münster, einen Wissenschaftler von vor 500 Jahren. Der ist damals viel herumgereist, hat Reiseberichte geschrieben. Sein Buch aus dieser Zeit war die erste wirklich umfassende Beschreibung dieser Welt in deutscher Sprache. Und das ist das, was auch der Münsterbund will: reisen, Natur erleben, die Heimat kennen und lieben lernen.“
„Die Heimat“, wiederholt Papa mit hochgezogenen Augenbrauen und schaut Mama dabei an.
Etwas neben uns klappert. Es rumpelt hinter der Tür zu dem vermoderten Dachboden, in dem wir hier oben als Erstes waren. Die Mädchen schreien kurz auf. Alle hier in dem kleinen Vorraum weichen erschrocken zurück und starren auf den eisernen Türgriff. Er bewegt sich. Langsam und mit leisem Quietschen drückt er sich nach unten. Mit einem Knarren öffnet sich die Tür einen Spalt breit. Herr Dumpferl saugt erschrocken Luft ein und drückt sich an die Wand. Nina und Margret halten sich ihre Hände vor den offenen Mund, Mama greift automatisch nach Papas Arm. Auch Lasse und ich pressen uns so gut es geht an Mama und Papa. Die Tür öffnet sich weiter. Heraus kommt Opa Heinrich. „Ach, da seid ihr! Ich habe euch schon gesucht! Ihr wart so plötzlich verschwunden, da wollte ich euch hinterhergehen. Und als ich in dieser alten Rumpelkammer nachschauen wollte, ob ihr hier seid, ist die Tür mit lautem Krachen hinter mir zugefallen. Mensch, ich hab mich vielleicht erschrocken!“
„Onkel Heinrich!“, stöhnt Nina auf. „Was glaubst du, wie wir uns jetzt erschrocken haben! Mach das nicht noch einmal!“
„Entschuldigung“, sagt Opa und lacht. Und endlich können alle erleichtert mitlachen.
6
Der nächste Morgen beginnt für meinen Geschmack viel zu früh. Um halb acht gibt es ein schnelles Frühstück, obwohl heute Feiertag ist. Die Erwachsenen sind sich einig: Wir haben nur ein paar Tage Zeit und das Haus ist voller Gerümpel, darum fangen wir früh an. Also verlassen wir um kurz nach halb neun als gesamte Familie die Pension. Wieder gehen wir zu Fuß. Als wir beim Haus von Frau Ohl in der Bachstraße 9 ankommen, parkt der VW Geländewagen schon vor dem Haus. Die Haustür steht offen, Herr Dumpferl ist drinnen.
Nach einer kurzen Begrüßung teilen sich die Erwachsenen auf: Mama und Papa beschließen, in den Unterlagen im Arbeitszimmer nach etwas Brauchbarem zu suchen. Nina nimmt sich das Schafzimmer vor. Opa und Margret tigern wie die Schatzsucher einfach im Haus herum und suchen nach Dingen, die ihnen wertvoll erscheinen. Alte Fotos, Schmuckkästchen, wertvolle Kristallgläser und andere Sachen. Wir Kinder sollen uns in der Zwischenzeit draußen beschäftigen.
„Los, wir gehen in den Garten und spielen Fangen!“, schlägt Finn vor und rennt schon nach draußen.
Als ich zur Haustür rausgehe, drückt mir Lasse einen Zettel aus seinem Blöckchen in die Hand. „Hier, Ben. Eine geheime Botschaft. Aber – pssst!“
Ich schaue auf den Zettel und sehe nur eine Menge Buchstaben wild auf dem Blatt verteilt. „Was soll das heißen?“, frage ich.
„Wie gesagt, eine geheime Botschaft“, erklärt mir Lasse mit verschwörerischer Stimme. „Die dürfen die anderen Kinder nicht lesen!“
„Und wie soll ich die entschlüsseln?“
„Du musst die Buchstaben in der richtigen Reihenfolge lesen!“
„Hast du wieder versucht rückwärts zu schreiben?“
„Nein, das wäre doch viel zu einfach!“
„Sondern? Wie denn?“
„Na, die Buchstaben sind durcheinander gemischt!“
Da hat er allerdings recht. Die Buchstaben sind kreuz und quer durcheinander, als hätte jemand eine Buchstabensuppe abgemalt. Zwei A, zwei N, ein O … insgesamt zähle ich 17 Buchstaben. Einzig ein SCH ist so nebeneinander geschrieben, dass man sich denken kann, das gehört zusammen.
„Woher soll ich denn wissen, welches die richtige Reihenfolge ist?“, frage ich.
„Indem du sie richtig liest!“ Lasse beugt sich über den Zettel in meiner Hand. „Schau. Mit K geht es los. Dann …“ Er fährt mit seinem Finger vom K bis zum O, das an einer ganz anderen Stelle auf das Blatt gekritzelt ist. „… dann O … dann M …“ Da sind keine Linien auf dem Blatt. Mir ist schleierhaft, wie einer darauf kommen soll, dass K-O-M die ersten drei Buchstaben sind. „Also heißt das erste Wort? Na?“
Ich zucke mit den Schultern. „Kom?“
„Ja, genau! Komm!“
„Komm? Das wird mit zwei M geschrieben.“
„Ach, wirklich? Na, egal.“ Lasse fährt weiter mit seinen Fingerchen über das Blatt. „Nach dem M kommt also noch mal das M … da nehmen wir das Gleiche einfach noch mal … und dann … ähm … ein W … kapierst du es jetzt?“
„Nee. Keine Ahnung. Woher weiß ich denn, welcher Buchstabe nach dem W kommt, wenn du es mir nicht mit deinen Fingern zeigst?“
„Indem du einfach den richtigen Satz liest!“
„Aber ich kenne den Satz doch gar nicht!“
„Klar! Er steht doch hier auf dem Blatt!“
„Ja, aber doch völlig durcheinander!“
„Natürlich! Das ist ja auch Geheimschrift!“
Der Junge macht mich fertig.
Ronja kommt angerannt. „Was macht ihr?“
Lasse reißt mir den Zettel aus der Hand und versteckt ihn hinter seinem Rücken. „Das ist nur etwas für Geheimagenten.“
„Cool! Ihr seid Geheimagenten?“
„Ja!“ Lasse zeigt auf seinen Agenten-Anstecker. „Schau her, hier steht es.“
„Cool!“ Ronja hüpft auf der Stelle. „Ich bin auch eine Agentin!“
Lasse macht ein ernstes Gesicht. „Wirklich?“
„Klar! Warum denn nicht?“
„Hast du denn auch eine Anstecknadel?“
„Nö. Braucht man denn so eine, um Agentin zu sein?“
Lasse macht ein verschwörerisches Gesicht. „Na klar! Sonst weiß doch keiner, dass du ein Agent bist!“
„Dann bastle ich mir gleich eine.“
„Nein, die kannst du dir nicht selbst machen. Die muss mein Bruder für dich herstellen.“ Lasse nickt mit großen, wichtigen Bewegungen.
Ronja wendet sich an mich: „Machst du mir so eine?“
Lasse hält sie am Arm fest: „Nein, nein. So einfach geht das nicht. Zuerst musst du beweisen, dass du eine gute Agentin bist!“
„Aha? Und wie kann ich das?“
Lasse wird leise: „Zum Beispiel, indem du eine geheime Geheimschrift löst.“
Ronja winkt ab. „Pah! Das kann ich! Das ist doch babyleicht!“
Lasse holt den Zettel hinter seinem Rücken hervor und hält ihn ihr vor die Nase. „Was steht hier?“
Ronja liest die Buchstaben so, wie sie halbwegs nebeneinander liegen: „LNAWIKND …“
Lasse lacht sich halbtot. „Nein, falsch! Das muss doch eine richtige Botschaft ergeben!“
„Ach so. Zeig noch mal.“ Lasse gibt ihr das Blatt und Ronja versucht ein paar Buchstaben zusammenzupuzzeln. „Da ist ein SCH. Damit geht es wahrscheinlich los. Also … SCH… SCHLAG … NAGEL …“
„Nein, schon wieder falsch!“ Lasse lacht, als hätte er sich das Spiel des Jahrhunderts ausgedacht.
Finn kommt dazu: „Was macht ihr?“
Ronja hält den Zettel hinter ihren Rücken. „Nichts für dich. Wir sind nämlich Geheimagenten!“
„Echt? Cool!“ Finn klopft sich auf die Brust. „Ich bin auch ein Agent. Darf ich mitspielen?“
Lasse hebt seinen Finger. „Ben und ich spielen nicht Agenten. Wir sind Agenten.“
Finn nickt anerkennend. „Wow.“
Ronja reckt ihren Hals. „Und du kannst nicht einfach ein Agent sein, wenn du das willst. Du brauchst nämlich zuerst eine Agentennadel. Stimmt’s, Lasse?“
„Ja, genau.“
„Und die kannst du dir nicht selbst basteln“, belehrt Ronja ihren Bruder weiter, „sondern Ben muss sie dir herstellen.“
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