Clankriminalität
Phänomen – Ausmaß – Bekämpfung
Von
Prof. Dr. Dorothee Dienstbühl
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Vorwort
„…und wenn Verwandte Ums Mein und Dein gefühllos hadern, trifft Den Fremden, der sich eingemischt, der Haß Von beiden Teilen, und nicht selten gar, Weil ihm der strengere Beweis nicht glückt, Steht er zuletzt auch vor Gericht beschämt.“
Johann Wolfgang von Goethe [1]
Seit einigen Jahren wird das Thema Clankriminalität verstärkt in den deutschen Medien wahrgenommen. Dabei ist es zu einem Politikum avanciert: Während sich die öffentliche Diskussion in extreme Ansichten zwischen „alle rausschmeißen!“ und der Wertung „rassistischer Polizeikontrollen“ verhaftet, schafft Kriminalität Fakten: Gewalt, Drohungen, Betrugsmaschen, die die gesamte Bundesrepublik betreffen, Paralleljustiz und Menschen, die wegen der gelebten Prinzipien im Clan sterben müssen. Gleichzeitig darf man die faktische Kriminalität nicht als generelles Merkmal aller Menschen in den betrachteten großfamiliären Strukturen sehen, stets muss differenziert und ohne Vorurteile mit dem Phänomen umgegangen werden.
Jede Behörde hat einen eigenen Blickwinkel auf das Phänomen Clankriminalität und eigene Kompetenzen. Aus der gewonnenen Überzeugung, dass die Bewältigung der Kriminalität und der dafür ursächlichen Probleme eine gemeinschaftliche Aufgabe ist, die längst nicht nur von der Polizei gelöst werden kann, sollen die vorliegenden Ausführungen auch einen Beitrag zur interbehördlichen Zusammenarbeit sein.
Das vorliegende Handbuch soll wichtige Fragen zum Wesen sogenannter arabischer Familienclans, der Kriminalität von Mitgliedern und Methoden der Verbrechensbekämpfung klären und somit einen Beitrag zur Handlungssicherheit im Umgang mit kriminellen Akteuren leisten. Dabei muss stets darauf verwiesen werden, dass es sich beim Phänomen Clankriminalität um ein hochgradig dynamisches Feld handelt: Familienmitglieder, die sich heute gegenseitig bekämpfen und den Tod androhen, feiern morgen zusammen; Kriminalitätsfelder und Verbindungen, die heute aufgeklärt werden, können morgen bereits einem anderen Geschäftsmodell gewichen sein, usw. Diese Dynamik steht Behördensystemen gegenüber, die aus ganz anderen Strukturen bestehen und natürlich stets geltendes Recht anzuwenden und auch zu berücksichtigen haben. Damit sind die gegenwärtigen Ansätze und Überlegungen auch eine Chance für die Behördenlandschaft in Deutschland, insbesondere für die Polizei, moderner zu werden und gerade den Herausforderungen sämtlicher Gruppierungen der Organisierten Kriminalität ganz anders zu begegnen.
Clankriminalität mit all seinen problematischen Aspekten zu bekämpfen, ohne dabei in einen Generalverdacht gegen Menschen mit einem bestimmten Namen oder gar ganze Ethnien zu verfallen, stellt somit eine weitere Herausforderung dar und dies längst nicht nur für die Polizei. Denn dieser Kriminalitätskomplex stellt Politik und Gesellschaft vor brennende Fragen, die zu lange umgangen worden sind: Was verstehen wir unter Integration und wie integrieren wir Menschen? Welche Werte sind uns wichtig und wie wollen wir sie vermitteln? Was tun wir mit Menschen, die den deutschen Staat, unsere Werte und jeden, der sie vertritt, ablehnen? Das Thema Clankriminalität bewegt die Menschen auch deswegen so sehr, weil es immer wieder kriminell auffällige Mitglieder sind, die ihre Haltung dazu kundtun, sei es in sozialen Netzwerken, in Dokumentationen oder in Texten und Videos z.B. von Rap-Songs. Damit halten sie uns den Spiegel vor und stellen die Frage nach unserer Identität, welche Werte wir eigentlich haben und wie wir diese durchsetzen wollen. Darauf gilt es Antworten zu finden.
In den begleitenden Diskussionen unter Artikeln oder Dokumentationen zum Thema Familienclans und in sozialen Netzwerken wird immer die Frage gestellt bzw. auf Meinungsbasis beantwortet, ob dieses Problem tatsächlich noch vom Staat gelöst werden kann, oder ob es dafür nicht längst zu spät ist. Ja, es kann gelöst werden. Dies aber nur mit einer guten interbehördlichen Zusammenarbeit, großer Ausdauer, grundlegenden Kenntnissen zum Phänomen und dem entsprechenden Willen auf allen Seiten – und das bedeutet in der Gesellschaft und bei den Menschen mit Migrationshintergrund.
Das vorliegende Buch soll Basiswissen zur Lebenswelt und Kriminalität in abgeschotteten Familienstrukturen sowie einige Möglichkeiten und Handlungsfelder aufzeigen, ohne den Anspruch an Vollständigkeit und Generalität zu haben. Denn im Kontext Clankriminalität gibt es vor allem auch in der Kriminologie noch viel zu lernen. Das, was heute als status quo gilt, kann morgen schon wieder obsolet sein. Entsprechend stellen die hohe Komplexität und Flexibilität der Clankriminalität nicht nur die Sicherheitsbehörden und die Gesellschaft vor eine Herausforderung, sondern auch die erklärenden Wissenschaften und vor allem uns Wissenschaftler. In der gegenwärtig sehr reflexartig geführten Debattenkultur ist ein verständlicher und gleichzeitig solider Wissenstransfer wichtiger denn je.
Anhand des Problems und Wesens des Phänomens Clankriminalität die Schwachstellen in den behördlichen Abläufen herauszustellen und notwendige Möglichkeiten für mehr Handlungsfähigkeit zu erhalten, ist eine längerfristige kriminalpolitische Aufgabe – und nicht zuletzt eine Chance. Zu diesem Prozess einen Beitrag zu leisten, ist daher auch eine Chance für nötige Modernisierungsprozesse in den Behörden, aber auch für einen grundsätzlichen gesellschaftlichen Diskurs.
Das Handbuch richtet sich an die Angehörigen der Polizei in der Aus- und Fortbildung sowie an alle Behördenangehörige, die in die Bekämpfung der Clankriminalität involviert sind.
Für Fragen und Anregungen stehe ich gerne zur Verfügung unter:
dorothee.dienstbuehl@hspv.nrw.de
Mülheim an der Ruhr, Dorothee Dienstbühl im Oktober 2020
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