b) Zur Arbeit mit diesem Buch
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Bei der Arbeit mit diesem Buch ist der Leser weitgehend frei, da es die unterschiedlichsten Lerntypen gibt. Eine verbindliche Lern- und Arbeitsvorgabe soll daher nicht gegeben werden; es kann allenfalls bei didaktischen Empfehlungen bleiben. Unverzichtbar bleibt aber in jedem Fall das Hinzuziehen eines Lehrbuchs. Das Buch stellt eine Zusammenstellung von 18 Fällen dar, die sich aus unterschiedlichen normativen Bereichen der Strafprozessordnung zusammensetzen. Alle Fälle können zum Bestandteil einer Prüfung gemacht werden; die Fälle sind jedoch aus didaktischen Gründen weitgehend von geringerem Umfang, sodass sie sich als strafprozessuale Zusatzfrage eigenen, nicht jedoch als eigenständige Klausur. Um das Lernen mit der Fallsammlung zu erleichtern, wurde die Darstellung um einige didaktische Hilfen ergänzt. Den eigentlichen Falllösungen stets vorangestellt sind gedankliche Vorüberlegungen, die sich mit der spezifischen Herangehensweise zur Erstellung der Lösung, der Schwerpunktsetzung und ggf. zu ähnlich gelagerten und zusammenhängenden Themenfeldern auseinandersetzen. Sie sollen dem Leser eine Hilfestellung zur Entwicklung einer gedanklichen Herangehensweise liefern. Die zu den Fällen gehörenden Lösungen wurden überwiegend als Rechtsgutachten ausgestaltet. Hierbei handelt es sich freilich stets nur um Lösungsvorschläge, die keinen Anspruch auf alleinige Richtigkeit unter Ausschluss aller anderer Lösungsmöglichkeiten für sich erheben; alternative Ansichten und Herangehensweisen sind im Rahmen korrekter Rechtsanwendung stets vertretbar. In der gutachterlichen Untersuchung sind die Prüfungspunkte als Überschriften kenntlich gemacht. Die gutachterliche Erörterung ist an den unproblematischen Punkten bewusst konzentriert gehalten; ein stoisch durchzuhaltender Gutachtenstil, der auf sämtliche noch so unproblematisch festzustellende normative Voraussetzungen rechtlicher Vorschriften eingeht, ist weder methodisch gefordert noch sachlich geboten und stellt eine analytische Fehlleistung dar (eingehend zur methodischen Problematik des Gebrauchs des Gutachtensstils Lagodny/Mansdörfer/Putzke , ZJS 2014, 157 [159 ff.]). Innerhalb der Falllösung finden sich bei didaktischer Gebotenheit Anmerkungen zu Methodik, rechtlichen Entwicklungen und vergleichbaren Problemgestaltungen. Am Ende der Falllösungen befinden sich bei didaktischer Sinnhaftigkeit weiterführende und vertiefende Lern- und Lesehinweise sowie Aufbauvorschläge als weitere Hilfestellung, um dem Leser die Möglichkeit zu eröffnen, die Tragweite der dargestellten Methodik für weitere dogmatische Felder des Strafverfahrensrechts zu erfassen.
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Bei der Gestaltung der eigentlichen Lern- und Studienarbeit mit diesem Buch wurden dem Verwender alle Freiheiten gelassen. Die Fälle können unter Hinzuziehung von dogmatischen Lehrwerken durchgearbeitet werden. Als Lehrbuch für die umfassende Erarbeitung der dogmatischen Grundlagen zum Strafprozessrecht wird das Werk von Beulke/Swoboda empfohlen. Umgekehrt kann zur Erlangung eines Gesamtüberblicks über das Rechtsgebiet der Schwerpunkt zunächst auf die Erarbeitung der theoretischen Materie anhand eines Lehrbuchs gesetzt werden, wobei die Fallsammlung als praktischer Anwendungsleitfaden herangezogen werden kann. Schließlich können die Fälle auch nach dem Prinzip „learning by doing“ als Übungsmaterial für die eigenständige gutachterliche Fallbearbeitung herangezogen werden; hierzu wurde jedem Fall eine empfohlene Höchstbearbeitungszeit beigefügt. Schließlich kann die Fallsammlung zum reinen Erlernen der Methodik systematischer Rechtsanwendung von Lesern herangezogen werden, die bereits über umfassende dogmatische Kenntnisse des Strafprozessrechts verfügen, wie Studierende in Vorbereitung auf die Erste Juristische Prüfung oder Rechtsreferendare. Gleich auf welchem Ausbildungsstand sich der Verwender dieser Fallsammlung befindet, sind ihre didaktischen Anwendungsmöglichkeiten zum Erwerb methodischer Fertigkeiten im Strafprozessrecht vielseitig.
Ich wünsche dem Leser bei der Erschließung eines der spannendsten Rechtsgebiete unserer Rechtsordnung viel Vergnügen und für dessen weiteren Weg viel Durchhaltevermögen und Erfolg.
Fall 1 Ablehnung eines Richters bzw. Staatsanwalts wegen Befangenheit
Fall 1 Ablehnung eines Richters bzw. Staatsanwalts wegen Befangenheit
Inhaltsverzeichnis
Vorüberlegungen
Gliederung
Lösungsvorschlag
Ergänzungen und Vertiefung
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Ausgangsfall[1] :
Der Verteidiger des Angeklagten Y nahm am Abend des 22. Januar 2015 erstmals von dem Facebook-Account des Vorsitzenden der Strafkammer (V) Kenntnis. Im öffentlich zugänglichen Bereich war auf der Profilseite ein Lichtbild des Vorsitzenden zu sehen, auf dem dieser mit einem Bierglas in der Hand auf einer Terrasse sitzt und ein T-Shirt trägt, das mit der Aufschrift: „Wir geben Ihrer Zukunft ein Zuhause: JVA“ bedruckt ist. Auf derselben Seite war vermerkt: „2. Große Strafkammer bei Landgericht Rostock“. In der Zeile darunter hieß es: „1996 bis heute“. Im Kommentarbereich befand sich ein Eintrag des Vorsitzenden, der wie folgt lautete: „Das ist mein ,Wenn du rauskommst, bin ich in Rente‘-Blick“. Dieser Eintrag wurde von einem Benutzer mit den Worten: „… sprach der schwedische Gardinen-Verkäufer! :-))“ kommentiert, was wiederum von zwei Personen, darunter der Vorsitzende, „geliked“ wurde. Ein solches „Like“ wird gemeinhin als Zustimmung zur Aussage verstanden.
Zu Beginn des nächsten Hauptverhandlungstages lehnte der Angeklagte Y daraufhin den Vorsitzenden wegen des Inhalts der Facebook-Seite und weiterer Umstände wegen der Besorgnis der Befangenheit ab. In der Folgezeit äußerte sich der Vorsitzende dienstlich zu dem, den Facebook-Account betreffenden, Inhalt des Ablehnungsgesuches wie folgt: „Zum weiteren Vorbringen im Ablehnungsgesuch gebe ich keine Stellungnahme ab. Ich werde mich nicht zu meinen privaten Lebensverhältnissen äußern.“
Aufgabe:
1. |
Hat der Befangenheitsantrag des Y Aussicht auf Erfolg? |
2. |
Was ist die Folge, wenn der Befangenheitsantrag zwar zulässig und begründet ist, aber dennoch zurückgewiesen wird? |
Abwandlung:
Bereits zuvor war in einer Hauptverhandlungssitzung während einer Zeugenbefragung durch das Gericht zutage getreten, dass der anwesende Staatsanwalt S persönliche Abneigungen gegen den Angeklagten hegt. Y sah sich deshalb dazu veranlasst, S wegen der Besorgnis der Befangenheit abzulehnen.
Mit Erfolg? |
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|
(Bearbeitungszeit: 1 h) |
[1]
Nach BGH, NStZ 2016, 218 (219); siehe auch: Eibach/Wölfel , Jura 2016, 907 (907 ff.).
Fall 1 Ablehnung eines Richters bzw. Staatsanwalts wegen Befangenheit› Vorüberlegungen
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Die Aufgabenstellung hat die Rechtsbehelfe des Angeschuldigten bei Besorgnis der Mitwirkung von befangeneren Prozessbeteiligten zum Gegenstand. Die erste Aufgabe befasst sich mit der Prüfung der Erfolgsaussichten eines typischen Befangenheitsantrags gegen einen Richter. Da im Gegensatz zu den typischen Rechtsbehelfen im Strafverfahren, wie der Revision oder der Beschwerde, Vorschläge zum Prüfungsaufbau eines Befangenheitsantrags eine Seltenheit darstellen, ist der Bearbeiter gehalten, einen eigenen Aufbau zu entwickeln. Dies erfordert in einem ersten Schritt das Auffinden der normativen Voraussetzungen der Rechtmäßigkeit anhand der Angaben des Gesetzeswortlauts sowie der allgemeinen rechtlichen Grundsätze. Hierbei muss der Bearbeiter die grundsätzliche Differenzierung zwischen der Zulässigkeit und der Begründetheit eines Rechtsbehelfs erkennen und dem Aufbau zugrunde legen. Die Untersuchung bereitet hinsichtlich der Prüfung der Voraussetzungen keine Schwierigkeiten, da hierin keine Probleme angelegt sind. Schwerpunkt ist vielmehr das Auffinden der Zulässigkeitsvoraussetzungen des Befangenheitsantrags. In der Begründetheit bildet die Bestimmung der Reichweite des allgemeinen Persönlichkeitsrechts des Richters in Bezug auf sein außerdienstliches und mithin dem Privatleben zuzuordnendes Verhalten den Schwerpunkt. Der Bearbeiter muss erörtern, inwiefern außerdienstliche Verhaltensweisen einer Feststellung der Besorgnis der Befangenheit zugrunde gelegt werden können, da dies auf der anderen Seite eine Beschränkung der dem Richter grundgesetzlich zugesicherten Freiheitsrechte zur Konsequenz hat. Die Besonderheit der Äußerungen im digitalen Raum ist besonders zu würdigen. Der zweite Aufgabenteil erfordert hingegen kein gutachterliches Vorgehen, sondern vielmehr eine Stellungnahme unter Berücksichtigung der gesamtgesetzlichen Systematik. Hierbei soll auf die Reversibilität eines ergangenen Urteils im Falle der Fortsetzung des Prozesses eingegangen werden. Die Abwandlung hat das Standardproblem des befangenen Staatsanwalts zum Gegenstand, auf das in der gebotenen Kürze gutachterlich einzugehen ist.
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