Beispiele:
Eine Forschungsabteilung kann aufgrund ihres langfristigen Arbeitshorizonts stärker formal organisiert werden, als etwa eine Marketingabteilung, die ihr Handeln auf sich ständig wechselnde Perspektiven der Abnehmer orientieren muss. Äußerst dynamische Geschäftsumfelder sind etwa der extrem schwankungsanfällige Markt für Speicherbausteine in der Halbleiterindustrie oder der Verkauf von Saisongemüse, wie z. B. Spargel oder Erdbeeren.
115
Für die Ansprüche an die Organisation seitens des Strafrechts sind die Auswirkungen eines dynamischen Umfelds insofern von Bedeutung, als wesentliche Teile des Nebenstrafrechts Sachmaterien erfassen, die faktisch durch ein sich schnell wandelndes Umfeld geprägt sind.
Beispiele:
Grenzwerte für die gesundheits- oder umweltschädigende Wirkung bestimmter Schadstoffe, ständige Veränderungen im Stand der Technik bei der Produktion oder der Einschätzung der gesundheitsgefährdenden Wirkung neuer Produkte, wie etwa die Wirkung der Strahlung von Mobiltelefonen, der Einfluss des Konsums gentechnisch veränderter Nahrungsmittel oder der Einnahme bestimmter Medikamente.
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Häufig ergänzen sich daher formale und informelle Organisationsformen, damit Unternehmen flexibel auf Veränderungen in der Umwelt reagieren können[245]. Nur so kann eine Unternehmung das für sie optimale Maß an Differenzierung und Integration gemessen an den Umweltfaktoren erreichen und ihre Strukturen dynamisch an diese adaptieren[246]. Eine rein formale Organisation würde Effizienznachteile bedingen, die sich ohne die bewusste Ergänzung durch informelle Organisationsstrukturen nicht oder nur schwer ausgleichen lassen.
f) Beeinflussung informaler Organisationsstrukturen
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Ob und wie informale Beziehungen in der Praxis beeinflusst werden können, wurde von der Betriebswirtschaftslehre bislang erst wenig erforscht[247]. Im Grunde kehrt hier eine Problematik wieder, die bereits bei der angemessenen Integration der Subsysteme in das Gesamtsystem angesprochen wurde. Dort wurde darauf verwiesen, dass immerhin die Möglichkeit besteht, die einzelnen Subsysteme im Wege der Kommunikation für die Interessen und Notwendigkeit der Gesamtorganisation zu sensibilisieren. Als maßgebendes Kommunikationsmittel wurde bislang vor allem die Unternehmenskultur entwickelt, die das Denken, Handeln und Entscheiden innerhalb einer Unternehmung nach innen prägen soll[248]. Indem diese Werte verinnerlicht werden, sollen sie „formale Koordinationsmechanismen zumindest teilweise“ ersetzen[249].
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Die praktische Betriebswirtschaft greift hier also wieder auf Instrumente zurück, wie sie in der Lehre vom normativen Management im Vordergrund stehen. Informale Organisationsstrukturen sollen vor allem durch „weiche“ Managementmethoden beeinflusst werden. Im eigenen Nahbereich bedeutet dies, dass die im Rahmen des normativen Managements aufgestellten allgemeinen Forderungen selbst eingehalten werden müssen. Verstöße gegen diese Organisation können im Einzelfall auch eine strafrechtliche Verantwortlichkeit – etwa in der Form von psychischer Beihilfe zu Straftaten Dritter – begründen. Ganz konkret müssen etwa faktische Änderungen der Aufteilung der Organisationsbereiche auf der Führungsebene unmittelbare Entsprechungen in Änderungen der formalen Struktur der Unternehmung finden. Idealtypisch stimmen damit formale und informale Organisationsstruktur umso stärker überein, je größer die zentralen Leitungsrechte der betroffenen Personen sind.
Teil 1 Grundlagen zur Theorie des Wirtschaftsstrafrechts› C › II. Strafrechtliche Steuerungsmechanismen
II. Strafrechtliche Steuerungsmechanismen
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Im Unterschied zum ökonomischen Ergiebigkeitsprinzip wirken rechtliche Steuerungsmechanismen nicht aus sich heraus, sondern über je nach Fall mehr oder weniger konkrete, von außen gesetzte Verhaltenserwartungen[250]. Der Normadressat soll Gesetze bereits deshalb einhalten, weil sie Gesetz sind, und unabhängig von dem Umstand, ob sie ihm persönlich unmittelbar oder auch nur mittelbar von Nutzen sind.
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Dies bedeutet freilich nicht, dass damit jede beliebige Verhaltenserwartung strafrechtlich durchgesetzt werden dürfte. Die Diskussion über das Maß der zulässigen strafrechtlichen Steuerung reicht zurück bis zu den Wurzeln des modernen Strafrechts[251] und in jüngerer Zeit betonte etwa Stratenwerth auf der Basler Strafrechtslehrertagung 1993, eine „Zukunftssicherung mit den Mitteln des Strafrechts“ habe die herkömmlichen rechtsstaatlichen Sicherungen einzuhalten, und Strafe bleibe an „differenzierte Regeln der Zurechnung gebunden“[252].
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Erst recht gilt dieses Monitum für ein Wirtschaftsstrafrecht, das seine Grundlage im frei wirtschaftenden Individuum, dessen Wohlergehen von eben diesen frei wirtschaftenden Individuen abhängt, findet[253]. Unabhängig von einem Verweis auf den Geist der Aufklärungszeit und der französischen Revolution, in dem diese scharfen Begrenzungen der staatlichen Strafgewalt entwickelt wurden[254], sind solche Schranken einem derartigen Wirtschaftsstrafrecht a priori immanent. Dies bedeutet jedoch nicht, dass damit jede strafrechtliche Steuerung abzulehnen wäre. Konsequenzen hat die Kriminalpolitik vielmehr insoweit zu ziehen, als sanktionenrechtliche Normen nur den äußersten Rahmen des individuellen Wirtschaftens eingrenzen dürfen[255]. Andererseits muss dieser Rahmen aber auch sanktionenrechtlich gesichert werden, soweit sich zivil- und sonstige öffentlich-rechtliche Steuerungsmechanismen als nicht hinreichend oder gegenüber einer strafrechtlichen Regelung nachteilig erweisen[256].
1. Die Strafe als elementarer strafrechtlicher Steuerungsmechanismus
a) Gegenstand und Begriff der Strafe
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Konnte für die Ökonomik das Ergiebigkeitsprinzip als elementarer Steuerungsmechanismus ausgemacht werden, so ist grundlegend für das Strafrecht die Sanktion[257]. Die Sanktion ist formal der letzte Bezugspunkt jeder strafrechtlichen Vorschrift, Diskussion und Normanwendung, durch die die Sanktion entweder im ersten Schritt abstrakt begründet oder in einem zweiten Schritt konkret einem Rechtssubjekt zugeordnet werden soll[258]. Rein rechtstechnisch formen die allgemeinen und besonderen Sanktionsnormen zusammen allein die Voraussetzungen, um ein Fehlverhalten mit Strafe ahnden zu können[259]. Die Sanktionsnorm fordert also nicht bestimmtes Verhalten und macht nicht einmal konkrete Vorgaben, wie sich eine Person zu verhalten hat. Sie ahndet zunächst nur einzelne unerwünschte Verhaltensweisen mit einem empfindlichen Übel und sorgt so für die handlungswirksame Anerkennung aufgestellter Verbote[260].
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Diese Zurückhaltung, grundsätzlich gerade kein bestimmtes Verhalten zu fordern, entspricht einer freiheitlichen Gesellschaft[261]. Für die Bundesrepublik ist diese allgemeine Handlungsfreiheit ausdrücklich festgeschrieben in Art. 2 Abs. 1 GG: „Jeder hat das Recht auf freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, soweit er nicht die Rechte anderer verletzt und nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verstößt.“ Auch der Schrankentrias der allgemeinen Handlungsfreiheit liegt lediglich die Überlegung zugrunde, dass die Handlungsfreiheit eine Begrenzung verlangt, die dem Einzelnen ein Mindestmaß an sozialem Verhalten abverlangt. Lediglich dieses absolute Minimum ergibt sich aus der von Binding beschriebenen gedanklichen Umwandlung der Strafgesetze in einen Befehl, in eine sog. Verhaltensnorm oder genauer: in eine Mindestverhaltenserwartung[262].
b) Votum für ein extensives Begriffsverständnis – Bestimmung des dominierenden Strafzwecks nach der konkreten Art der Tat
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