[147]
Masing , Die Verwaltung 2003, 1; Schmidt-Aßmann , Das allgemeine Verwaltungsrecht als Ordnungsidee, 2. Aufl. 2006, Kap. 3, Rn 49 ff; Trute , FS Brohm (2002), 169 ff; ders ., FG BVerwG (2003), S. 857; ders ., FS Selmer (2004), 565.
[148]
Schmidt-Aßmann , NVwZ 2007, 40.
[149]
Hösch , GewArch. 2002, 257; Merten , GewArch. 2006, 55.
[150]
Zu dieser Steuerungsfunktion von Handlungsformen und Verwaltungsverfahren Schmidt-Aßmann , Das allgemeine Verwaltungsrecht als Ordnungsidee, S. 297 ff.
[151]
Zum Begriff s. Ruthig , NZBau 2005, 497, 502. Er dient der Unterscheidung von der (außer bei Sonderzuweisungen über den Rechtweg entscheidenden) formellen Publifizierung.
[152]
Vgl Kahl , FS Zezschwitz (2005), 151; Ziekow/Siegel , ZfBR 2004, 30. Zum nicht europäisierten Vergaberecht s. Ruthig , NZBau 2005, 497.
[153]
Vgl insbes K. Schmidt , FS Selmer (2004), 499 mwN.
§ 2 Der unions- und verfassungsrechtliche Ordnungsrahmen
§ 2 Der unions- und verfassungsrechtliche Ordnungsrahmen
Inhaltsverzeichnis
I. Grundlagen
II. Die Grundfreiheiten
III. Sekundäres und tertiäres Unionsrecht
IV. Verfassungsrechtliche Rahmenbedingungen: Grundrechtlicher Schutz wirtschaftlicher Betätigung
V. Gesetzgebungskompetenzen
VI. Organisation der Wirtschaftsverwaltung
§ 2 Der unions- und verfassungsrechtliche Ordnungsrahmen› I. Grundlagen
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Die wirtschaftliche Betätigung ist nicht nur von fundamentaler gesamtgesellschaftlicher Bedeutung, sondern auch die Lebensgrundlage für einen großen Teil der Bevölkerung. Schon deswegen ist sie der Gegenstand rechtlicher Regelungen. Gleichzeitig ist kaum ein Rechtsgebiet so sehr konkretisiertes Verfassungs- und Unionsrechtwie das öffentliche Wirtschaftsrecht. Auch wenn beide keine bestimmte Wirtschaftsordnung vorschreiben (s. bereits oben Rn 3 f), determinieren neben den Grundrechten vor allem europäische Grundfreiheiten die Auslegung und Anwendung wirtschaftsverwaltungsrechtlicher Normen. Hinzugetreten sind die europäischen Grundrechte. Unionale und nationale Maßstäbe sind dabei auf komplexe Art und Weise miteinander verzahnt. Immer häufiger treffen sie nicht mehr auf nationale Rechtsvorschriften, sondern auf harmonisiertes Recht. Schon vor 30 Jahren stammten angeblich ca. 80% der für die Wirtschaft bedeutsamen Normen aus Brüssel[1] und machte die Umsetzung europäischer Vorgaben die Hälfte der gesamten Gesetzgebungstätigkeit der Mitgliedstaaten aus[2]. Dabei bewegt sich das Binnenmarktrecht zwischen „zwei tektonischen Platten: einerseits den Marktfreiheiten und andererseits dem Bestreben der Mitgliedstaaten, Interessen nicht wirtschaftlicher Art selbst zu regeln“[3].
Nach Art. 288 AEUV erlassen die Gemeinschaftsorgane Verordnungen, Richtlinien, Entscheidungen und Empfehlungen, von denen Verordnungen und die zunächst häufiger anzutreffenden Richtlinien die Normen des Unionsrechts darstellen. Die Richtlinien verfolgten zunächst vor allem das Prinzip einer (materiellen) Rechtsharmonisierung und füllten so häufig die Lücken, die das Primärrecht durch die Nichtanwendbarkeit nationaler Vorschriften schuf. Heute beruht in Teilen des europäischen Wirtschaftsrechts, vor allem im richtliniengeprägten Regulierungsrecht, also insbes Telekommunikations-, Energie- und Kapitalmarktrecht, das gesamte Rechtsregime auf unionalen Vorgaben. Im Bereich der reglementierten Berufe ließ sich eine solche umfassende Rechtsharmonisierung nicht erreichen, so dass sich das Unionsrecht zunächst auf die Frage einer Anerkennung ausländischer Abschlüsse konzentrierte, bevor es zunehmend das Herkunftslandprinzip favorisierte. Diese Entwicklung manifestiert sich insbesondere in der Berufsanerkennungs- und der DienstleistungsRL, die vor allem das Handwerks- und das Gewerberecht massiv umgestaltet (vgl Rn 237 ff; Rn 477 f), aber in ihrer Relevanz für Inlandssachverhalte erst noch ausgelotet werden muss. Zusätzlich mahnte die Kommission seit längerem eine strengere Verhältnismäßigkeitsprüfung an. In ihrer Mitteilung vom 28.10.2015 sah die Kommission die Notwendigkeit, den Mitgliedstaaten zusätzlich ein Raster an die Hand zu geben, das sie bei der Überprüfung bestehender oder dem Erlass neuer Berufsreglementierungen anzuwenden hätten[4]. Hierauf hat der EU-Gesetzgeber mit der VerhältnismäßigkeitsRL(RL 2018/958/EU) reagiert, die von den Mitgliedstaaten bis zum 30.7.2020 in nationales Recht umzusetzen ist[5]. Sie erfasst sämtliche Rechts- und Verwaltungsvorschriften, die in den Anwendungsbereich der Berufsanerkennungsrichtlinie fallen und den Zugang oder die Ausübung eines Berufs beschränken (Art. 2 Abs. 1 VerhältnismäßigkeitsRL). Zugleich werden die zunehmend strengeren Anforderungen des EuGH an die von den Mitgliedstaaten anzuführenden Beweismittel aufgegriffen[6]. Zunehmend wird die Richtlinie auf europäischer Ebene durch Verordnungenabgelöst. Beispiele liefert insbes das Finanzmarkt(aufsichts)recht (vgl Rn 191 ff). Eine Harmonisierung der Rechtsanwendungspraxis ist auf der Grundlage unterschiedlicher nationaler Regelungsregime aber nur begrenzt zu verwirklichen. Daher spielt – nicht zuletzt in der Bankenunion – das Eigenverwaltungsrecht eine immer bedeutsamere Rolle. Mit der EZB übernimmt erstmals eine europäische Regulierungsagentur Aufgaben in einem Kernbereich des öffentlichen Wirtschaftsrechts.
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Hinsichtlich der Einflüsse von nationalen Grundrechten und unionalen Grundfreiheiten und Grundrechten auf das öffentliche Wirtschaftsrechtlassen sich seit dem Inkrafttreten des Grundgesetzes drei Phasenunterscheiden[7]. Zunächst stand die Verfassungskonkretisierungim Verwaltungsrecht im Vordergrund, die mit einer Liberalisierung des Gewerberechts und zudem einer Expansion subjektiver Rechte einherging[8]. Bereichsspezifische Sachkundenachweise, etwa für den Einzelhandel, wurden anhand von Art. 12 GG auf ihre Erforderlichkeit und Verhältnismäßigkeit überprüft[9]. Mit dem Abbau staatlicher Bedürfnisprüfungenbei der Berufszulassung begann das Bundesverwaltungsgericht im Gaststättenrecht[10] schon vor dem bundesverfassungsgerichtlichen „Apothekenurteil“[11]. Die zweite Phase war von der Europäisierung des öffentlichen Wirtschaftsrechtsgeprägt. Insoweit wirkten zunächst die Grundfreiheiten deregulierend, indem der EuGH Vorschriften des nationalen (öffentlichen) Wirtschaftsrechts als Eingriff qualifizierte und diese Eingriffe nur selten für gerechtfertigt hielt. Mit der zunehmenden Anerkennung ungeschriebener Rechtfertigungsgründe hat sich dies allerdings relativiert. Das Nebeneinander von Grundfreiheiten und Verfassungsrecht führt zu einer Konvergenz der Prüfungsmaßstäbe(s. vor allem das Kohärenzgebot am Beispiel der Bekämpfung des Glücksspiels, Rn 126, 175 ff)[12].
Da das Unionsrecht in Deutschland auf ein weitgehend liberales Wirtschaftsverständnis traf, waren die Konflikte eher punktuell. Besonders eindrucksvoll ließen sie sich im Handwerksrecht verfolgen, in dem sich lange das „zünftige“ Denken gehalten hatte[13]. Ausgelöst wurde die Liberalisierung des Handwerksrechts durch das Unionsrecht. Dies betraf zunächst grenzüberschreitende Sachverhalte, wie Fall 3a ( Rn 45)veranschaulicht. Während das BVerfG im Anschluss an seine ausführliche und sorgfältig begründete Entscheidung von 1960 über Jahrzehnte das Erfordernis der Meisterprüfung für die selbstständige Handwerksausübung als grundrechtskonform erachtete[14], sah der EuGH darin einen Verstoß gegen die Grundfreiheiten (s. im Einzelnen Rn 125)[15]. Mit der Handwerksnovelle 2004 vollzog der nationale Gesetzgeber einen Paradigmenwechsel (ausf Rn 125, 465 ff). Aber auch das BVerfG änderte seine Auffassung und stützte sich dabei ausdrücklich darauf, dass angesichts der europäischen Entwicklung die nationalen Vorschriften zur Erreichung des (verfassungsrechtlich an sich legitimen) Zieles nicht mehr geeignet seien (s. dazu Rn 125)[16]. In der Zwischenzeit werden viele Sachverhalte vom Sekundärrechterfasst, für deren Auslegung jedoch regelmäßig die vom EuGH entwickelten Standards herangezogen werden können, die die Richtlinien häufig konkretisieren und um prozedurale Bestimmungen ergänzen (s. zur „grundfreiheits- und grundrechtskonformen Auslegung“ von Sekundärrecht Rn 96). Allerdings werden diese Grundsätze über die Richtlinien auf reine Inlandssachverhalte erstreckt; insbesondere die für das öffentliche Wirtschaftsrecht zentrale DienstleistungsRL verlangt keinen grenzüberschreitenden Sachverhalt (s. Rn 53).
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