Ein Anspruchist das Recht einer Person, von einem anderen ein Tun oder Unterlassen zu verlangen (§ 194 Abs. 1[1]). Man spricht auch von „Forderung“ (§ 241 Abs. 1) oder „Schuldverhältnis im engeren Sinne“, vgl. § 362 Abs. 1.[2]
Den Anspruchsinhaber nennen wir Gläubiger, den Anspruchsgegner Schuldner, vgl. § 241 Abs. 1.
Vom Anspruch sind die sog. Obliegenheitenzu unterscheiden. Diese begründen anders als der Anspruch kein Recht auf ein Tun oder Unterlassen, lösen bei ihrer Verletzung auch keinen Schadensersatzanspruch aus § 280 aus, sondern führen „nur“ zu einem Rechtsverlust oder sonstigen Rechtsnachteil der mit der Obliegenheit belasteten Person[3] (z.B. Rügeobliegenheit gem. § 377 HGB).
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Der Mandant eines Rechtsanwalts bzw. die Parteien in einem Zivilprozess interessieren sich regelmäßig nicht für abstrakte Rechtsfragen. Entscheidend ist vielmehr, ob ein Anspruch im Ergebnis tatsächlich besteht und ob dieser notfalls mit Hilfe der Zwangsvollstreckung durchgesetzt werden kann. Um einen Anspruch zwangsweise durchsetzen zu können, muss er offiziell „tituliert“, d.h. als Grundlage und Rechtfertigung für eine Zwangsvollstreckungsmaßnahme festgestellt werden. Diese Feststellung wird nach § 704 Abs. 1 ZPO grundsätzlich in Form einer gerichtlichen Verurteilung getroffen.[4] Jede juristische Aufgabe ist deshalb immer auch mit Blick auf eine (vorgestellte) gerichtliche Auseinandersetzung mit dem Ziel der „Titulierung“ eines Anspruchs zu bearbeiten.
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In der Klausur wird diese Aufgabenstellung geübt. Dabei ist nicht immer nach bestimmten Ansprüchen gefragt. Die Frage ist häufig allgemeiner formuliert, etwa: „Was kann A von B verlangen?“ oder „Wie ist die Rechtslage?“. Dies entspricht dem Beginn von Mandantengesprächen in der täglichen Anwaltspraxis. Da hat es der Zivilrichter übrigens einfacher. Er bekommt stets nur ein ganz bestimmtes Begehren zur Entscheidung gestellt (vgl. § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO) und ist an diese Aufgabenstellung gebunden (vgl. § 308 Abs. 1 ZPO). Der Anwalt muss hingegen herausfinden, ob und unter welchen Umständen der Mandant etwas von einer Person fordern und gerichtlich durchsetzen kann oder ob der Mandant umgekehrt einer anderen Person etwas zu leisten hat.
Das in der Klausur anzufertigende Gutachten bereitet den Rat des Rechtsanwalts bzw. das Urteil des Richters vor. Um Fehlentscheidungen zu vermeiden, muss das Gutachten die Sach- und Rechtslage vollständig würdigen. Auf der anderen Seite muss es sich auf das Wesentliche beschränken, um den Leser (den Korrektor Ihrer Klausur!) nicht zu ermüden und seine Aufmerksamkeit für die gesamte Darstellung zu erhalten. Die Laune des Korrektors soll schließlich nicht von positiver Neugier in überdrüssige Gereiztheit umschlagen.
[1]
§§ ohne Gesetzesangabe sind solche des BGB.
[2]
Medicus /Petersen Allgemeiner Teil des BGB Rn. 75; Palandt- Ellenberger Einl. v. § 241 Rn. 3; Petersen „Die Entstehung und Prüfung von Ansprüchen“, JURA 2008, 180 unter Ziff. I.
[3]
Palandt- Ellenberger Einl. v. § 241 Rn. 13.
[4]
Weitere Vollstreckungstitel finden Sie im Katalog des § 794 Abs. 1 ZPO.
1. Teil „Ein Rundflug“› B. Wie geht das?
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Überlegen wir uns vor diesem Hintergrund nun, wie Sie bei einer Klausur am besten vorgehen.
1. Teil „Ein Rundflug“› B. Wie geht das?› I. Erfassen des Sachverhalts
I. Erfassen des Sachverhalts
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Notwendige Grundlage für jede halbwegs sinnvolle Bearbeitung ist die genaue Erfassung des Sachverhalts. In der Klausur wird Ihnen ein „fertiger“ Tatbestand präsentiert. Er soll das Ergebnis des Parteienvortrags sein, so wie ihn der Richter bzw. Rechtsanwalt für seine endgültige Entscheidung verwenden müsste. Es besteht also keine Möglichkeit mehr, den Sachverhalt zu ergänzen. Wovon der Sachverhalt berichtet, ist geschehen; wovon der Sachverhalt schweigt, ist nicht geschehen oder nicht nachweisbar.
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Lesen Sie den Sachverhalt mehrmals durch. Erstellen Sie bei komplizierten Sachverhalten eine – übersichtliche! – Fallskizze, für deren Gestaltung Sie sich bestimmte Symbole ausdenken (zum Beispiel Linien zur Kennzeichnung einer Vertragsbeziehung, Pfeile zur Kennzeichnung von Ansprüchen, etc.) und die Sie immer gleichbleibend verwenden. Bei zeitlich gestreckten Abläufen empfiehlt sich auch die Erstellung einer chronologischen Zeittabelle.
1. Teil „Ein Rundflug“› B. Wie geht das?› II. Gliederung
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Ausgangspunkt der Falllösung ist immer die auf den Sachverhalt bezogene Fallfrage des Klausurstellers.
Lautet die Fallfrage ganz allgemein: „Wie ist die Rechtslage?“, dann ist nach den Ansprüchen aller Beteiligten untereinander gefragt. Der Sachverhalt ist daher zunächst in Zweipersonenverhältnisse zu gliedern, so dass er zu der konkreteren Fallfrage: „Welche Ansprüche hat die eine Partei gegen die andere?“ führt.[1]
Diese Fallfrage ist wiederum so zu untergliedern, dass sie einer ganz konkreten Fallfrage entspricht, nämlich: „Kann die eine Partei von der anderen eine bestimmte Leistung verlangen?“
Die maßgebliche Fragestellung für die Gliederung lautet: Wer will was von wem woraus?
Kommen verschiedene Ziele in Betracht, ist die Darstellung weiter nach den verschiedenen Anspruchszielen zu untergliedern (z.B. Herausgabe, Schadensersatz, etc.).[2]
1. Teil „Ein Rundflug“› B. Wie geht das?› III. Auffinden der Anspruchsgrundlage
III. Auffinden der Anspruchsgrundlage
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Die so konkretisierte Fallfrage ist nun zu beantworten, d.h. es ist zu prüfen, ob das Begehren des Anspruchstellers mit rechtlichen Mitteln durchsetzbar ist. Das setzt einen Anspruch voraus, dessen Rechtsfolge dem Begehren des Anspruchstellers inhaltlich entspricht. Außerdem muss dieser Anspruch auch (gerichtlich) durchsetzbar sein.
Um das herauszufinden, gehen Sie von der gewünschten Rechtsfolge aus und suchen nach passenden Anspruchsgrundlagen.[3]
Beispiel
Ist nach Ersatz einer bestimmten Schadensposition gefragt, suchen Sie nach Anspruchsgrundlagen, deren Rechtsfolge eine Verpflichtung zum Schadensersatz anordnen, z.B. §§ 122 Abs. 1, 179 Abs. 1 Var. 2, 280 Abs. 1, 678, 823 Abs. 1.
Am Anfang ist es hilfreich, sich die gesetzlichen Anspruchsgrundlagen in der eigenen Textausgabe mit einer bestimmten Farbe zu markieren.
Anspruchsgrundlagen können durch Rechtsgeschäft (vgl. § 311 Abs. 1 ), durch Gesetz oder durch Gewohnheitsrecht[4] begründet werden. Gesetzliche Anspruchsnormen erkennt man beispielsweise an den folgenden Formulierungen:
„ … hat zu / ist zu (ersetzen o.Ä.) …“, vgl. z.B. § 122 Abs. 1;
„ … kann verlangen …“, vgl. z.B. § 280 Abs. 1 S. 1;
„ … ist verpflichtet …“, vgl. z.B. § 823 Abs. 1.
1. Teil „Ein Rundflug“› B. Wie geht das?› IV. Prüfungsreihenfolge der Anspruchsgrundlagen
IV. Prüfungsreihenfolge der Anspruchsgrundlagen
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Damit Ihr Gutachten möglichst übersichtlich ist und für den Leser gut nachvollziehbar bleibt, sollten Sie umständliche Verschachtelungen im Prüfungsaufbau vermeiden. Diesem Ziel dient ein Grundraster zur Prüfung von Anspruchsgrundlagen.
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Überlegen Sie mal – kennen Sie vielleicht schon den einen oder anderen Grund für diese Reihenfolge?
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