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Beim Aufenthalt in haltenden Fahrzeugenist nach der Rspr. zwischen einem verkehrsbedingten und einem nicht verkehrsbedingten Halt zu unterscheiden.[484] Bei einem verkehrsbedingten Halt, bei dem der Fahrer seine Aufmerksamkeit weiter auf das Verkehrsgeschehen richten muss, steht der Fortsetzungsvorgang unmittelbar bevor (z.B. bei einer Ampel, vor einer Bahnschranke oder im Stau).[485] Unbeachtlich soll sein, ob der Motor läuft oder nicht.[486] Bei einem nicht verkehrsbedingten Halt sei das Führen nur dann zu bejahen, wenn das Opfer mit Betriebs- und Verkehrsvorgängen beschäftigt ist.[487] Indiz hierfür sei ein laufender Motor.[488] Ist der Motor ausgeschaltet, sollen weitere verkehrsspezifische Umstände erforderlich sein.[489] Damit ist nach Abschluss der Fahrt, z.B. nach einem Hinlocken an einen einsamen Ort, die Führereigenschaft beendet.[490] Führer ist nach der Rspr. jedenfalls nicht (mehr), wer sich außerhalb des Fahrzeugs befindet.[491]
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Diese auch von Zufälligkeiten abhängige Unterscheidung mit ihrem Schematismus (anlassbezogene „Motor ein/Motor aus-Lösung“), für die aber eine gewisse forensische Praktikabilität streitet, ist in der Literatur zu Recht auf Kritikgestoßen.[492] Von einigen Autoren wird unter Orientierung an dem Begriff des Führens in anderen Straßenverkehrsdelikten wie §§ 315c, 316 StGB vorgeschlagen, dass das Fahrzeug sich bei fehlender Bewegung zumindest in Betrieb befinden müsse.[493] Zudem sei bei einer rechtsgutsbezogenen Auslegung dieses Tatbestandsmerkmals zu berücksichtigen, dass nach h.M. gleichrangig auch die Sicherheit des Straßenverkehrs geschützt sei.[494] Das würde aber dazu führen, dass auch bei einem verkehrsbedingten Halt bei ausgeschaltetem Motor die Führereigenschaft zu verneinen wäre. Zudem lässt sich die Parallelität nicht einfach begründen: Bei dem „Führer“ i.S.d. § 316a StGB geht es um eine Eigenschaft des Tatopfers, bei dem „Führen“ i.S.d. §§ 315c, 316 StGB um die Tathandlung des Täters.[495]
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Nach anderer Ansicht muss im Hinblick auf die angestrebte teleologische Restriktion des Tatbestandes wieder stärker auf den „funktionalen Zusammenhang zwischen der Verübung des Angriffs und den besonderen Verhältnissen des Straßenverkehrs“ und damit nicht primär auf die „straßenverkehrsrechtlich aufgeladene ‚Führereigenschaft‘“[496], sondern auf das „Ausnutzen der besonderen Verhältnisse des Straßenverkehrs“ als „sedes materiae“[497] abgestellt werden.[498] Danach ist die Führereigenschaft nur ein erster grober Filter, um jene Fallgestaltungen auszuscheiden, die in deutlichem zeitlichem Abstand der eigentlichen Teilnahme am Straßenverkehr vor- oder nachgelagert sind.[499] Hier wird vorgeschlagen, auf die Abgrenzung zwischen Halten und Parken nach § 12 Abs. 2 StVOzurückzugreifen.[500] Diese Abschichtung erscheint sachgerecht und vermeidet eher zufällige Ergebnisse, wie die in der Literatur[501] genannten Beispiele (Anhalten und Abstellen des Motors, um einen Handyanruf entgegenzunehmen oder sich des Wegs zu vergewissern) veranschaulichen: Es ist nicht überzeugend, hier die Führereigenschaft zu verneinen; maßgeblich ist für die Strafbarkeit nach § 316a StGB vielmehr, ob der Täter die besonderen Verhältnisse des Straßenverkehrs ausnutzt. Fahrer, die kurzfristig nicht verkehrsbedingt anhalten (und nicht parken), sind genauso schutzwürdig, wie ein mit den Betriebsvorgängen eines Fahrzeugs befasstes Opfer.[502]
dd) Mitfahrer eines Kraftfahrzeugs
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Mitfahrer ist jeder weitere Fahrzeuginsasse, soweit und solange das Kraftfahrzeug von einer anderen Person i.S.d. vorstehenden Grundsätze geführt wird.[503] Der Begriff des Mitfahrers ist akzessorisch auszulegen, sodass die Mitfahrereigenschaft endet, wenn das Kraftfahrzeug nicht mehr geführt wird.[504] Unerheblich ist, ob die Mitfahrt freiwillig war oder durch Täuschung oder Nötigung erzwungen worden ist.[505] Wer sich zu Fuß außerhalb des Kraftfahrzeugs befindet, ist kein Mitfahrer.[506] Strittig ist, ob auch der Transport außerhalb des Fahrzeuginnenraums die Mitfahrereigenschaft begründen kann.[507] Relevanz hat die Streitfrage insbesondere für die Fälle des Transports im Laderaum oder des sog. Autosurfings. Dies ist zu bejahen, da auch diese Personen gerade wegen ihrer Teilnahme am Straßenverkehr leichter Opfer eines Angriffs werden können und somit hinreichend schutzbedürftig sind.[508] Dabei ist aber besonders sorgfältig zu prüfen, ob der Täter hier die besonderen Verhältnisse des Straßenverkehrs ausgenutzt hat ( Rn. 122 ff.).
ee) Zeitliche Verknüpfung
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Der Angriff muss zu einem Zeitpunkt verübt werden, an dem das Opfer (schon oder noch) Kraftfahrzeugführer oder Mitfahrerist.[509] Bei dieser zeitlichen Verknüpfung handelt es sich um eine Ausprägung des allgemeinen Koinzidenzprinzips gemäß § 8 S. 1 StGB.[510] Vor Beginn der Führereigenschaft verübte Angriffe unterfallen zunächst nicht dem § 316a StGB.[511] Nicht erforderlich ist aber, dass das Opfer schon bei Beginn des Angriffs Führer des Kraftfahrzeugs oder Mitfahrer ist.[512] Wird das Opfer zum Fahrtantritt gezwungen, kann ein fortdauernder Angriff[513] oder ein wiederholter Angriff[514] vorliegen. Dann werden aber besondere Anforderungen an das Ausnutzen gestellt ( Rn. 132).
e) Ausnutzen der besonderen Verhältnisse des Straßenverkehrs (Tatsituation)
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Bei dem Merkmal „Ausnutzen der besonderen Verhältnisse des Straßenverkehrs“ handelt es sich um einen „ Schlüsselbegriff“ des § 316a StGB.[515] Danach ist erforderlich, dass der tatbestandsmäßige Angriff gegen das Tatopfer als Kraftfahrzeugführer oder Mitfahrer unter Ausnutzung der spezifischen Bedingungen des Straßenverkehrs begangen wird.[516] An dem Regelungsgehalt dieses Tatbestandsmerkmals hat sich durch die Neufassung durch das 6. StrRG ( Rn. 20) sachlich nichts geändert.[517] Zweck dieses „janusköpfigen“ Tatbestandsmerkmales ist es, als „Scharnier“[518] das Angriffsgeschehen („dabei“) und Verkehrsgeschehen[519] bzw. die raub- und straßenverkehrsspezifischen Teile des § 316a StGB[520] miteinander zu verknüpfen.[521] Damit werden das Kollektivrechtsgut „Sicherheit des Straßenverkehrs“ (Kontrollverlust, Eskalationsgefahr) und die Individualrechtsgüter (gesteigerte Angriffsintensität und ungünstigere Abwehrposition des Opfers aufgrund der besonderen Verhältnisse des Straßenverkehrs) miteinander in einen inneren Zusammenhang gebracht, durch die erst der besondere Unrechtsgehalt des § 316a StGB begründet wird.[522] Dies vor Augen ist das Merkmal Ansatzpunkt einer teleologischen restriktiven Auslegung des § 316a StGB. Dies gilt umso mehr, wenn, wie hier, das (vorgelagerte[523]) Tatbestandsmerkmal des „Führers“ eines Kraftfahrzeugs, entgegen der Rspr. und einem Teil der Lehre, eher weit verstanden wird ( Rn. 114 ff.). Das Merkmal vereint zwei Erfordernisse, die analytisch voneinander zu trennen sind:[524] Das erste ist das der „besonderen Verhältnisse des Straßenverkehrs“, das die Tatsituation beschreibt und nach h.M. opferbezogen auszulegen ist.[525] Das zweite ist das „Ausnutzen“, das täterbezogen zu interpretieren ist.[526]
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Mit Straßenverkehr ist der öffentliche Straßenverkehrgemeint.[527] Der private Grund ist damit ausgenommen.
cc) Besondere Verhältnisse des Straßenverkehrs
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Mit besonderen Verhältnissen des Straßenverkehrs sind verkehrsimmanente Gefahrenlagengemeint, die für jeden Teilnehmer am Kraftfahrzeugverkehr typischerweise entstehen.[528] Diese opferbezogene Sichtweiseliegt der Rspr. und wohl h.L.[529] zugrunde.[530] Der Führer muss also (in objektiver Hinsicht) im Zeitpunkt des Angriffs noch in einer Weise mit der Beherrschung seines Kraftfahrzeugs und/oder mit der Bewältigung von Verkehrsvorgängen beschäftigt sein, dass er gerade deshalb leichter zum Angriffsobjekt eines Überfalls werden kann.[531] Dies ergibt sich insbesondere aus der verkehrsbedingten Beanspruchung beim Führen eines Kraftfahrzeugs und die daraus resultierende Erschwerung der Gegenwehr.[532] Damit sind unstreitig Gefahren erfasst, die sich im fließenden Straßenverkehr ergeben können.[533] Hier liegt i.d.R. eine eingeschränkte Abwehrmöglichkeit beim Führer vor, weil er sich durch das Lenken des Fahrzeugs wegen der damit verbundenen Konzentration auf die Verkehrslage und die Fahrzeugbedienung auf den Verkehr konzentrieren muss.[534] Er gerät in ein Dilemma: Er kann sich des Angriffes erwehren und so den Verkehr gefährden oder den Angriff erdulden.[535] Einer besonderen Begründung durch den Tatrichter bedarf es deshalb in dieser Konstellation nicht.[536] Bei Mitfahrern (die i.d.R. nicht mit Verkehrsvorgängen beschäftigt sind) ist maßgeblich, ob diese aufgrund der spezifischen Verhältnisse des Straßenverkehrs in ihren Reaktionsmöglichkeiten (Flucht bzw. Gegenwehr) eingeschränkt sind.[537] So können die Abwehrmöglichkeiten insbesondere eingeschränkt sein, weil der Mitfahrer ein fahrendes Fahrzeug nicht ohne weiteres verlassen kann.[538]
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