cc) Verüben eines Angriffs auf Leib oder Leben
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Ein Angriff auf Leib und Leben ist verübt, wenn eine unmittelbar auf den Körper zielende feindselige Handlung vorliegt, bei der die Gefahr einer Tötung oder einer nicht ganz unerheblichen Körperverletzungbesteht, und bei der es bereits zu einer Einwirkung auf Leib oder Lebengekommen ist.[451]
dd) Verüben eines Angriffs auf die Entschlussfreiheit
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Ein Angriff auf die Entschlussfreiheit ist verübt, wenn eine unmittelbar auf die Entschlussfreiheit zielende feindselige Handlung vorliegt, bei der die Gefahr einer Verletzung der Entschlussfreiheit besteht, und bei der es bereits zu einer Einwirkung auf dieses Schutzgut gekommen ist. Ein verübter Angriff auf die Entschlussfreiheit liegt somit bei allen Formen der Nötigungvor.[452] Erfasst sind damit Gewalt (etwa die Bedrohung mit einer Waffe)[453], auch Gewalt gegen Sachen (wie bei einer Autofalle)[454], und (auch eine konkludente[455]) Drohung. Nicht ausreichend ist ein allgemein aggressives Auftreten.[456]
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Streitig ist, inwieweit Täuschung und List als Angriffe auf die Entschlussfreiheiterfasst sind.[457] Die in der Literatur am weitesten gehende Ansicht will Täuschungshandlungen grundsätzlich berücksichtigen.[458] Dies ist jedenfalls zu weit: Nicht erfasst sind „bloße Täuschungen“, die nicht räuberischem, sondern betrugstypischem Verhalten entsprechen.[459] In der Literatur werden zum Teil Fälle von List und Täuschung aufgrund der gebotenen restriktiven Auslegung, der fehlenden Vergleichbarkeit von Angriffen auf die Psyche mit den auf Leib und Leben und der Nichterwähnung in § 316a StGB (anders als in anderen Tatbeständen, z.B. §§ 181, 234, 234a, 235 StGB) ganz aus dem Tatbestand ausgeschlossen.[460] Sie verengen das Tatbestandsmerkmal „Angriff auf die Entschlussfreiheit“ auf den Einsatz von Nötigungsmitteln.[461] Dem ist nicht zuzustimmen. In den Anwendungsbereich des § 316a StGB fallen solche täuschenden Handlungen, welche auf den Führer eines Kraftfahrzeugs oder einen Mitfahrer eine objektiv nötigungsgleiche Wirkung haben (sollen).[462] Es kommt hierfür nicht darauf an, ob diese Wirkung vorgetäuscht ist oder ob der objektiv Genötigte von einer Rechtswidrigkeit der Einwirkung ausgeht.[463]
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Die Rspr. verfolgt seit der Grundsatzentscheidung BGHSt 49, 8 ebenfalls einen restriktiven Kurs, sodass bloße List und Täuschung „regelmäßig“ noch keine Verübung eines Angriffs auf die Entschlussfreiheit darstellen.[464] Hierbei handele es sich trotz der verborgenen räuberischen Absicht um keine Behinderung oder Beeinträchtigung der Entschlussfreiheit, sondern vielmehr um das Bewirken einer falschen Vorstellung oder eines falschen Motivs bei weiterhin bestehender Willensentschlussfreiheit.[465]
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Um die Vergleichbarkeit zu den Angriffen durch Gewalt oder Drohung herzustellen, lässt sich zunächst sinnvoll danach differenzieren, ob dem Opfer fremde Motive oktroyiert werden sollen (dann Angriff auf die Entschlussfreiheit) oder er ausschließlich aus eigenen Motiven handeln soll (dann kein Angriff auf die Entschlussfreiheit).[466] Die wohl h.L. geht davon aus, dass Täuschungen dann tatbestandsmäßig sind, wenn bei Vorliegen der vorgespiegelten Umstände eine Rechts pflicht zu einer bestimmten Handlung bestünde; dann bestehe aufgrund des normativen Zwangs ein nötigender Charakter.[467] Insofern ist fraglich, ob der Entscheidung BGHSt 49, 8, 13 auch dahingehend zuzustimmen ist, dass trotz der Beförderungspflicht für Taxifahrer aus § 22 PBefG im Regelfall kein Angriff auf dessen Entschlussfreiheit vorliege, da der Taxifahrer meist eigene wirtschaftliche Interessen verfolge.[468] Eine nötigungsgleiche Zwangswirkung wird von der h.M. auch bei der strafbewehrten Hilfeleistungspflicht gemäß § 323c StGB für möglich gehalten. Nicht ausreichend ist hingegen die Schaffung einer nur moralischen Handlungspflicht (etwa das Vortäuschen einer Autopanne ohne Personenschaden).[469] Dieser differenzierenden Sichtweiseist zuzustimmen, auch wenn man ähnliche Fallgruppen als Maßstab heranzieht, etwa die Pseudobeschlagnahme oder der Trittbrettfahrer einer Erpressung. In all diesen Fällen steht nicht mehr die Täuschung oder List, sondern die Beugung der Willensfreiheit durch Nötigung im Vordergrund.[470] Nach den vorgenannten Kriterien ist zwischen den einzelnen Fallgruppen zu differenzieren: Das Vortäuschen einer Autopanne, das Gerieren als Anhalter oder sonst „schlicht täuschendes Verhalten“ wird nicht ausreichen, um einen Angriff auf die Entschlussfreiheit zu bejahen. Das Aufstellen falscher Halteschilder, das Vortäuschen eines Unglücksfalls mit Personenschaden oder einer Polizeikontrolle[471] sowie die Herbeiführung eines Rotlichtes bei einer Ampelschaltung[472] können als eine Art „psychische Autofalle“ aufgrund der Fremdbestimmtheit des Verhaltens erfasst werden. Die Vergleichbarkeit mit einer physischen Autofalle (Sperrung der Straße mit einem physisch unüberwindbaren Hindernis) ist dann gegeben.
d) Führer eines Kraftfahrzeugs oder Mitfahrer (Tatopfer/Tatsituation)
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Die Tatbestandsmerkmale Führer eines Kraftfahrzeugs oder Mitfahrer umschreiben zunächst eine Eigenschaft des Tatopfers. Zudem ist erforderlich, dass diese Eigenschaft genau zum Zeitpunkt der Verübung des Angriffs vorliegt, sodass auch die Tatsituationbeschrieben wird.
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Kraftfahrzeuge sind durch Maschinenkraft angetriebene, nicht an Gleise gebundene Landfahrzeuge ( § 1 Abs. 2 StVG, § 248b StGB),[473] die dem Transport von Menschen, Tieren oder Gütern dienen.[474] Straßenbahnen sind keine Kraftfahrzeuge, da sie an Gleise gebunden sind.[475] Zu den Kraftfahrzeugen gehören sowohl Vier-, Drei- und auch Zweiräder, sofern sie mit Motorkraft fortbewegt werden (z.B. Mofas,[476] Fahrräder mit elektronischen Antrieb). Ausgenommen sind damit einfache Fahrräder. Schwierigkeiten bestehen bei der Handhabung von zunehmend automatisiert fahrenden (autonomen) Fahrzeugsystemen. Hier entstehen Auslegungsprobleme sowohl beim Führer- als auch zum akzessorischen Mitfahrerbegriff ( Rn. 120). Maßgeblich ist wohl der Grad der Automatisierung.[477] Bei rein autonomen Fahrzeugsystemen müsste man schon überlegen, sie im Wege der teleologischen Reduktion aus dem Tatbestand des § 316a StGB insgesamt herauszunehmen, da sich jedenfalls bei komplett extern gesteuerten Fahrzeugen eine straßenverkehrstypische Gefahrenlage nicht realisiert und bei einem Raubangriff nur Individualrechtsgüter tangiert werden. Letztlich kann dies aber offen bleiben, da i.d.R. entweder keine Führereigenschaft oder jedenfalls kein Ausnutzen der besonderen Verhältnisse des Straßenverkehrs vorliegen.
cc) Führer eines Kraftfahrzeugs
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Führer eines Kraftfahrzeugs ist, wer es in Bewegung zu setzen beginnt, es in Bewegung hält oder allgemein mit dem Betrieb des Fahrzeugs und/oder mit der Bewältigung von Verkehrsvorgängen beschäftigt ist.[478] Erforderlich ist nach h.M. lediglich, dass das Fahrzeug in Betrieb genommen wurde, nicht aber, dass es sich in Bewegung befindet.[479] Insoweit wird nicht an den (engeren) Begriff des Führens in anderen Verkehrsdelikten wie §§ 315c, 316 StGB[480] angeknüpft.[481] Damit ist Führer eines Kraftfahrzeugs zunächst derjenige, der ein sich in Bewegung befindendes Fahrzeug steuert.[482] Befindet sich das Fahrzeug nicht mehr in Bewegung, so ist darauf abzustellen, ob das Opfer als Fahrer noch mit der Bewältigung von Betriebs- oder Verkehrsvorgängen befasst ist.[483]
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