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Indizienfür einen Zueignungswillen, oft aber erst zusammen mit weiteren Umständen, können etwa das Leugnen des Besitzes,[290] der Weitergebrauch eines gemieteten Autos nach Vertragsablauf,[291] das Fortschaffen sowie der Weitergebrauch eines sicherungsübereigneten Gegenstandes nach berechtigtem Herausgabeverlangen sein.[292]
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bb) Der Begriff der Zueignungist aber von jeher umstritten, und bis heute werden Auffassungen vertreten, die in vielfacher Hinsicht teils von den angegebenen Grundsätzen bereits im Ausgangspunkt abweichen (etwa das Erfordernis einer dauerhaften Enteignung bestreitend),[293] teils diese Grundsätze näher konkretisieren. Im Rahmen der Auslegung des heutigen – auf das Gewahrsamserfordernis verzichtenden und Drittzueignung ausdrücklich nennenden – Tatbestandes unter Berücksichtigung des Bestimmtheitsgebotes (Art. 103 Abs. 2 GG) muss darauf geachtet werden, für den Bürger aus der Formulierung nicht erkennbare Verhaltensweisen auszunehmen. Ebenso ist dem Gedanken zu folgen die Sachentziehung nicht allgemein, sondern nur unter weiteren Voraussetzungen unter Strafe zu stellen. Dass der Gesetzgeber des 6. StrRG den Bereich der Strafbarkeit ausgedehnt und im Einzelfall die Grenzziehung von der Teilnahme hin zur Täterschaft[294] verschoben hat, ist zwar rechtlich nicht zu beanstanden und erst recht nicht „durch Auslegung“ zu konterkarieren; an einer Verfeinerung der Grundsätze zur Zueignung besteht allerdings insoweit Bedarf, als sie allein die Grenze zur straflosen Sachentziehung noch nicht abschließend klären. Besonders ist eine weitere Ausarbeitung der äußeren Umstände erwägenswert, um klarzustellen, dass die Neufassung der Vorschrift keine Vorverlagerung des Vollendungszeitpunkts ins Versuchsstadium hinein bedeutet,[295] denn eine solche war vom Gesetzgeber nicht intendiert und wäre zudem systemwidrig.
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Hierzu wird im Einzelnen vertreten, ein altruistisches Verhalten aus dem Tatbestand auszunehmen bzw. einen wenigstens mittelbaren wirtschaftlichen Vorteil zu verlangen,[296] eine tatsächliche Rechtsgutsgefährdung zu fordern, in Abkehr von der Vereinigungstheorie nur mehr die Zueignung der Sachsubstanz und nicht mehr des in der Sache verkörperten Wertes ausreichen zu lassen,[297] nur unmittelbar den Besitz ändernde Handlungen als Zueignung anzusehen,[298] gar einen endgültigen Eigentumsverlust zu verlangen[299] oder zumindest einen „Enteignungsgefahrerfolg“.[300] Darüber hinaus wird eine Abgrenzung von Täterschaft und Teilnahme nach typischem Unrechtsgehalt statt nach allgemeinen Kriterien erwogen.[301]
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Eine denkbare und zugleich im Ergebnis ausgewogene und systematisch widerspruchsfreie Lösung könnte darin gesehen werden, bei der Zueignungsmanifestation – ähnlich wie bei den Gutglaubensvorschriften zum Eigentumserwerb an beweglichem Vermögen (§§ 932 ff. BGB) – auf die rechtsscheinbegründende Beziehung des Täters und des Begünstigten(Täter oder Dritter einer Drittzueignung) zur Sache abzustellen, mit der Folge, dass eine Postulation eines Gewahrsamserfordernisses (entgegen der Neufassung) vollkommen entbehrlich wird. Unter Bezugnahme auf diese Beziehung ist es möglich, zwei Regeln aus der Systematik von BGB und StGB sowie der sprachlichen Semantik zu entwickeln: Erstens ist das Verhalten des Täters nur dann als Manifestation einer Zueignungsabsicht zu sehen, wenn der Täter oder der Dritte einer Drittzueignung bei der Tathandlung im (unmittelbaren oder mittelbaren) Besitz der Sache ist oder wenn der Täter zurechenbar den Rechtsschein mittelbaren Besitzes setzt und eine scheinbare Geheißperson zur Übergabe der Sache veranlasst. Zweitens setzt eine erfolgreich vollendete Manifestation der Zueignungsabsicht voraus, dass der Begünstigte Eigenbesitz begründet.[302]
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cc) Weiterhin kann sich der Täter dieselbe Sache nach zutreffender Auffassung nicht mehrfach zueignen, sofern er nicht zwischenzeitlich seine Schein-Eigentümerstellung verloren hat.[303] Hierbei spielt es keine Rolle, ob die Erstzueignung eine Unterschlagung darstellt oder nicht.[304] Die Manifestation des fortwährend bestehenden Willens zur Schein-Eigentümerschaft ist technisch keine Zueignung, erfüllt also nicht erneut den Tatbestand. Diese „Tatbestandslösung“ trifft in der Literatur teilweise auf Kritik, stattdessen werden entsprechende Fälle im Wege der „Konkurrenzlösung“ als mitbestrafte Nachtat behandelt.[305] Dies hat zum einen zur Folge, dass eine Teilnahme an der zweiten Zueignung möglich ist, führt aber zum anderen zu kaum vermittelbaren Konsequenzen bei der Verjährung. Die Einführung der Subsidiaritätsklausel hat diese Frage ebenfalls nicht beantwortet, da diese zum einen nur das Verhältnis zu anderen Deliktstatbeständen betrifft und zum anderen nur die jeweils gleiche Tat vor Augen hat.[306]
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Anderes gilt aber in Fällen, in denen der Täter sich eine Sache zunächst selbst zugeeignet hat undsich späterentschließt, sie nunmehr einem Dritten zuzueignen. Hierin kann eine manifestationsfähige Willensänderung liegen, denn hier entsteht „neues Scheineigentum“.[307]
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aa) Der Täter kann die Sache wie beim Diebstahl auch einem Dritten zueignen.[308] Eine Drittzueignung ist jedenfalls zu bejahen, wenn der Täter die Sache einem Dritten verschafft, damit dieser sie behandelt, als wäre er Eigentümer. Problematisch ist hierbei aber die genaue Abgrenzung: So wird insbesondere auf der Grundlage des Ausreichens eines nur bedingten Vorsatzes einerseits sowie eines Verständnisses der Drittzueignung als bloße Ermöglichung fremder Selbstzueignung andererseits behauptet, es genüge, wenn sich in der Tathandlung – etwa einer bloßen Aufgabe der Sache – das Bewusstsein manifestiert, dass ein Dritter sich die Sache möglicherweise (bedingter Vorsatz!) aneignen werde.[309] Beide Ausgangspunkte sind problematisch und jedenfalls in ihrer Kombination falsch, weil sie so weder der gesetzgeberischen Intention[310] noch den herkömmlichen dogmatischen Grundsätzen entsprechen: § 246 StGB fordert eine Zueignung durch den Täter , dieser muss daher sowohl den Eigentümer enteignen als auch die Sache sich oder einem Dritten aneignen wollen und dies in der Tathandlung (und zwar außerhalb der seltenen Fälle des § 13 StGB mittels aktiven Tuns) manifestieren. Für einen Zueignungswillen ist dagegen nicht ausreichend, dass sich der Täter die bloße Ermöglichung fremder Sich-Zueignung vorstellt, denn die bloße Manifestation dieser Vorstellung erfüllt den Tatbestand nicht; die Vorsatzfrage stellt sich überhaupt nicht mehr.[311] Eine Vollendung der Drittzueignung ist regelmäßig anzunehmen, wenn der Dritte Eigenbesitz begründet hat.
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bb) Auch für die Unterschlagung stellt sich die Frage nach der Reichweite der Drittzueignungund ihrem Verhältnis zur Selbstzueignung durch die ausdrückliche Aufnahme der Drittzueignung im 6. StrRG (vgl. zum Diebstahl oben Rn. 67 ff.). Vor der Gesetzesänderung[312] wurde die Zuwendung an Dritte nur dann als Zueignung vom BGH angesehen, wenn sie dem Täter zumindest einen mittelbaren Vorteil brachte.[313] Nach aktueller Gesetzeslage ist für eine derartige Restriktion kein Raum mehr, weshalb für Vertreter (insbesondere Organe) juristischer oder natürlicher Personen damit je nach manifestiertem Zueignungswillen (den er selbst besitzen muss, § 14 StGB gilt nicht)[314] heute sowohl die Sich- als auch Drittzueignung in Betracht kommt.
d) Rechtswidrigkeit der Zueignung
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Die Zueignung muss rechtswidrigerfolgen, d.h. gegen die materiell zivilrechtlich gesollte Rechtszuordnung verstoßen; das zu § 242 StGB Gesagte gilt hier entsprechend. Die Rechtswidrigkeit der Zueignung ist Tatbestandsmerkmal, denn sie ist für das deliktstypische Unrecht maßgeblich, denn die Zueignung fremder Sachen mit Einwilligung ist integraler Bestandteil des Wirtschaftslebens. Das weitergehende allgemeine Verbrechensmerkmal der Rechtswidrigkeit der – objektiven und subjektiven Deliktstatbestand erfüllenden – Tat als solcher, muss zusätzlich erfüllt sein, hat aber regelmäßig keine große Bedeutung.
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