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Im Fall eines versuchten Grunddelikts und versuchten Regelbeispielsist nach Ansicht des BGH ein versuchter besonders schwerer Diebstahl gegeben, was er wiederum mit der Tatbestandsähnlichkeit der Regelbeispiele begründet.[338] Im Unterschied zu der Fallkonstellation, in der das Grunddelikt vollendet, aber das Regelbeispiel nur versucht ist, ist diese Lösung insoweit akzeptabel, da sie zum einen zur Folge hat, dass dem im versuchten Regelbeispiel hervorgetretenen erhöhten Handlungsunrecht Rechnung getragen werden kann[339] und sie zum anderen dazu führt, dass eine Berücksichtigung des dem vollendeten Regelbeispiel gegenüber geringeren Erfolgsunrechts durch Strafmilderung möglich ist.[340] Jedoch kommt man dann auch zu dem unbefriedigenden Ergebnis, dass man dann – sofern man für das vollendete Grunddelikt einen Eintritt der Regelwirkung ablehnt – selbst unter Berücksichtigung der Strafmilderung nach § 23 Abs. 2 StGB bei einem Eintritt des Erfolges zu einem geringeren Strafrahmen kommt (bis fünf Jahre statt bis siebeneinhalb Jahre).
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cc) Nach § 243 Abs. 2 StGB ist „in den Fällen des Absatzes 1 Satz 2 Nr. 1 bis 6 ein besonders schwerer Fall ausgeschlossen, wenn die Tat sich auf eine geringwertige Sache[341] bezieht“.[342] Dieser (zwingende) Ausschluss gilt über den Wortlaut hinaus wohl auch für unbenannte schwere Fälle nach § 243 Abs. 1 S. 1 StGB.[343] Dies begründet sich zum einen daraus, dass es dem Willen des Gesetzgebers widerspräche eine (vermeintliche) Beschränkung auf benannte Fälle vorzunehmen – vielmehr beruht der Wortlaut des Abs. 2 auf einer Umformulierung anlässlich der Aufnahme der Nr. 7 ins Gesetz –, zum anderen, weil sonst ein zu enges Verständnis auch die entsprechende Anwendung in anderen Fällen ad absurdum führen würde.[344]
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Die Bestimmung der objektiven Geringwertigkeitder Sache erfolgt wie bei § 248a StGB grundsätzlich nach ihrem Verkehrswert, also dem Verkaufswert zum Tatzeitpunkt,[345] und muss bis zu einer Grenze von etwa 50 Euro angenommen werden.[346] Zwischen den unterschiedlichen Regelbeispielen wird kein unterschiedlicher Maßstab angelegt, auch finden individuelle Affektionsinteressen keine Berücksichtigung. Bedeutsam ist allein der Wert des Tatobjekts, etwaige weitere Schäden durch die Tat bleiben außer Betracht.[347] Im Falle des Diebstahls von verbotenen Sachen, wie z.B. Drogen[348] (falls man diese Möglichkeit bejaht), ist maßgeblicher Wert der jeweilige Schwarzmarktpreis.[349] Beim Diebstahl mehrerer Sachen erfolgt zur Bestimmung der Geringwertigkeit nur dann eine Zusammenrechnung, wenn es sich um einen einzigen Diebstahl handelt.[350] Bei Mittäterschaft ist auch der Gesamtwert der Tatbeute entscheidend und nicht etwa der Anteil der jeweiligen Täter.[351] Im Falle von Sachen, die mangels Bestimmung zum Verkauf keinen Verkehrswert besitzen, wie dies etwa bei Dokumenten, Pässen, Formularen oder Akten, aber auch den Tatobjekten der Nr. 4 und Nr. 5 der Fall ist, wird teilweise die Meinung vertreten, der Abs. 2 sei mit der Folge zu verneinen, dass ein besonders schwerer Fall nie ausscheiden kann.[352] Die Gegenansicht in der Literatur stellt darauf ab, ob ein hypothetischer Marktwert bestimmbar ist,[353] wobei bei amtlichen Dokumenten u.U. auch die Höhe der zur Ausstellung des Dokuments zu zahlenden Kosten herangezogen werden könnten.[354] Insbesondere unter Beachtung der Tatsache, dass im Rahmen des Abs. 2 keine Differenzierung zwischen den Regelbeispielen erfolgt und auch nur die Nr. 7 ausdrücklich vom Anwendungsbereich ausgeschlossen wurde, ist mit Blick auf die Tatobjekte in den Fällen der Nr. 4 und Nr. 5 zumindest auf den illegalen Verkaufswert der Sache abzustellen.[355]
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Die objektive Geringwertigkeit muss der Täter auch subjektivin seinen Vorsatz aufgenommen haben.[356] Irrt der Täter über die Geringwertigkeit, so finden nach h.M. die Irrtumsregeln nicht analog zu Gunsten des Täters Anwendung, mit der Folge, dass keine Anwendung des Abs. 2 stattfindet.[357] Jedoch ist zumindest bei einem Folgen dieser Ansicht der Irrtum im Rahmen der Gesamtwürdigung der Tat angemessen zu berücksichtigen, mit der Folge, dass hierdurch die Indizwirkung entfallen kann.
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Fälle, in denen sich der Vorsatz hinsichtlich des Tatobjektsbzw. dessen Werts während der Tatausführung ändert, sind teilweise umstritten. Als Quintessenz kann man hierzu sagen, dass es sich bei dem Tatobjekt von Beginn des Versuchs bis zur Vollendung der Wegnahme um eine „objektiv und subjektiv geringwertige“ Sache handeln muss, damit Abs. 2 Anwendung findet. Im Falle einer Änderung zwischen Versuchsbeginn und Vollendung, tritt bei Verwirklichung eines Regelbeispiels immer die Regelwirkung des Abs. 1 ein. Falls der Täter in ein Gebäude einbricht, sich dabei keine Gedanken über den Wert der Sachen macht und er anschließend dann eine objektiv und subjektiv geringwertige Sache an sich nimmt, so entfaltet Abs. 2 seine Wirkung.[358] Wenn ein Vorsatzwechsel stattfindet, ist nach zutreffender h.M. für die Anwendung des Abs. 2 entscheidend, ob sich der Vorsatz während der Wegnahme, also vom Versuchsbeginn bis zur vollendeten Wegnahme, auf eine geringwertige Sache bezogen hat.[359] Richtet sich der Vorsatz des Täters zunächst auf eine wertvolle Sache und wechselt dieser dann aber und er nimmt eine geringwertige an sich, so ist Abs. 2 nicht einschlägig, denn der Vorsatzwechsel hat nach dem Eintritt des Versuchsstadiums stattgefunden, es bleibt bei der Bestrafung wegen eines besonders schweren Falles.[360] Im umgekehrten Fall hingegen, in dem der Täter zunächst nur eine geringwertige Sache wegnehmen will und dann doch eine wertvolle Sache wegnimmt, ist das Ergebnis das Gleiche, denn auch hier bezieht sich der vollendete Diebstahl nicht auf eine geringwertige Sache.[361]
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Man wird dagegen unter Wertungsgesichtspunkten Abs. 2 in Fallkonstellationen des rücktrittsähnlichen Vorsatzwechselsanwenden müssen, in welchen der Täter bereits mit der Wegnahme einer wertvollen Sache begonnen, dann aber aus freien Stücken die wertvolle Sache gegen eine geringwertige austauscht: Dies hätte einen Rücktritt hinsichtlich des versuchten Diebstahls an der wertvollen Sache zur Folge mit der Konsequenz, dass in der Mitnahme der geringwertigen Sache – da sie ja auch auf einem neuen Tatentschluss beruht – insoweit eine neue Tat zu sehen ist, bei der Abs. 2 eingreift.[362]
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dd) Was die Teilnahme an einem Diebstahl in einem besonders schweren Fallangeht, so sind die Akzessorietätsregelungen analog anzuwenden und daher die tatbezogenen erschwerenden Umstände bei Kenntnis des Teilnehmers zuzurechnen.[363] Eine Ausnahme bildet die Gewerbsmäßigkeit nach Nr. 3, diese stellt ein täterbezogenes Merkmal dar, auf das § 28 Abs. 2 StGBanalog angewendet wird.[364] Vergleichbares wie für die Teilnahme gilt auch für die mittelbare Täterschaft.[365] Obwohl die Akzessorietätsregeln Anwendung finden, ist für jeden Beteiligten im Rahmen einer Gesamtbewertung das Vorliegen eines besonders schweren Falles gesondert zu prüfen.[366]
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ee) Da es sich bei § 243 StGB nicht um eine Qualifikation, sondern um eine bloße Strafzumessungsregelhandelt, besteht zwischen § 243 und § 242 StGB keine Gesetzeskonkurrenz, sondern Grunddelikt und Regelbeispiel bilden ein einheitliches Delikt.[367] Gleiches gilt, wenn mehrere Regelbeispiele gleichzeitig erfüllt werden. Eine Verbindung mehrerer Diebstähle zur Handlungseinheit durch eine Gewerbsmäßigkeit nach Nr. 3 findet nicht statt.[368]
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Sofern aber neben den §§ 242, 243 StGB noch andere Delikte verwirklicht werden, finden die allgemeinen KonkurrenzregelnAnwendung. In seiner neueren[369] Rechtsprechung vertritt der BGH die Auffassung, dass § 303 StGB von Taten nach Nr. 1 nicht konsumiert wird.[370] Dies vermag jedoch dann nicht zu überzeugen, wenn der durch die Sachbeschädigung verursachte Schaden über den des Diebstahls nicht hinausgeht. § 123 StGB hingegen kann als typische Begleittat angesehen werden. Im Falle eines Zusammentreffens von lediglich versuchtem Diebstahl im besonders schweren Fall und einer vollendeten Sachbeschädigung ist Idealkonkurrenz anzunehmen.[371] Im Fall der §§ 244, 249 StGB sind die §§ 242, 243 StGB subsidiär.[372]
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